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Intercity-Express (ICE)

Rundschau für Kultur+Technik • 2.6.2016

Voraussichtliche Lesezeit rund 8 Minuten.

Am 29. Mai 1991 wurde mit einer Sternfahrt von sechs ICE 1 nach Kassel-Wilhelmshöhe der Hochgeschwindigkeitsverkehr in Deutschland eingeläutet. Dem ging seit den 1970er Jahren eine umfassende Forschungs- und Entwicklungsphase voraus, an der die Bundesministerien für Verkehr und für Forschung und Technologie, die Deutsche Bundesbahn, heute Deutsche Bahn (DB), und ein Firmenkonsortium beteiligt waren. Ziel war neben der systematischen Erforschung des Rad-Schiene-Systems die Entwicklung eines 300 bis 350 km/h schnellen Hochgeschwindigkeitszuges, der aus zwei Lokomotiven als Triebköpfe und Zwischenwagen bestehen sollte. Realisiert wurden die lokomotivenähnlichen Triebköpfe durch ein von Krupp Industrietechnik geführtes Konsortium unter Beteiligung von Krauss-Maffei und Thyssen Henschel. Die elektrische Ausrüstung übernahmen AEG, BBC und Siemens. Die Lokomotivensparte von Krauss-Maffei wurde 2001 von Siemens übernommen.

1985: InterCityExperimental (ICE/V), Baureihe 410

Im März 1985 wurden die aerodynamisch geformten Triebköpfe des InterCityExperimental, Baureihe 410, an die DB übergeben. Mit einem Mess- und zwei Demonstrationswagen ging der Versuchszug 1986 in die praktische Erprobung. Einige Komponenten konnten aus den Lokomotiven der Baureihe 120 übernommen werden. Für die Höchstgeschwindigkeit von 350 km/h wurden neue Stromabnehmer entwickelt. Triebköpfe und Wagen wurden erstmals mit einer verschleißfreien Wirbelstrombremse sowie Scheibenbremsen gebremst, die Triebköpfe nutzten außerdem die generatorische Netzbremse zur Rekuperation, also zur Rückspeisung der Bremsenergie. Testfahrten wurden ab 1986 auf einem Teilstück der neuen Schnellfahrstrecke Hannover – Würzburg durchgeführt. Am 1. Mai 1988 fand zwischen Würzburg und Mottgers eine Rekordfahrt mit 406,9 km/h statt, die den bis dahin geltenden Rekord des französischen TGV um 26,5 km/h überbot.

1991: Intercity Express ICE 1, Baureihe 401

Die erfolgreichen Erprobungen des InterCityExperimental mündeten ab Mitte 1987 in 13 Hauptverträge der Deutschen Bundesbahn mit den Herstellern des Versuchszugs und weiteren Komponentenlieferanten. Siemens war zusammen mit AEG und BBC für die elektrische Ausrüstung der Triebköpfe verantwortlich. ICE-Baureihen im Vergleich Die Erfahrungen aus den Versuchsfahrten wurden in die Konstruktion des ICE 1 einbezogen.

Die DB bestellte in mehreren Tranchen 60 Triebzüge, die aus zwei 280 km/h schnellen Triebköpfen mit zwei zweiachsigen Drehgestellen und 9600 kW Leistung sowie zwölf Mittelwagen der 1. und 2. Klasse bestanden, darunter ein Speisewagen mit erhöhtem Dach. Die wegen der Tunnel druckdichten Züge haben 673 Sitzplätze und sind 358 m lang. Siemens rüstete die Triebköpfe 401 051 bis 401 090 und 401 551 bis 401 590 mit GTO-Stromrichtern aus. Jeder Stromrichter hat eine Leistung von 2400 kW. Durch den Einsatz von GTOs anstelle von Thyristoren konnte die Anzahl der Halbleiter um 90 % reduziert und die Triebkopf-Masse um etwa zwei Tonnen verringert werden. Der erste Triebkopf mit der Nummer 401 001 wurde am 26.9.1989 von Krauss-Maffei in München-Allach, heute das Lokomotivenwerk von Siemens, an die DB übergeben.

Die 1989 von Siemens übernommene Duewag produzierte im Werk Krefeld rund ein Viertel der komfortablen Mittelwagen, insgesamt 168 Exemplare (von 694). Sie boten einen völlig neuen Reisekomfort mit Musik- und Radioprogrammen an jedem Platz und einem Fahrgastinformationssystem über Flachbildschirme (LCD-Displays).

Am 2. Juni 1991 nahm die DB mit zunächst 25 ICE 1 den Hochgeschwindigkeitsverkehr auf. Durch die Neubaustrecken Hannover – Würzburg (324 km) und Mannheim – Stuttgart (99 km) verkürzten sich die Reisezeiten auf Nord-Süd-Verbindungen um ein bis zwei Stunden. Die Züge mit ihrem hohen Komfort fanden so großen Zuspruch, dass teilweise ein 13. Mittelwagen eingefügt werden musste.

1996/1998: ICE 2, Baureihe 402

Aus Wirtschaftlichkeitsüberlegungen entschied sich die DB für die neuen geplanten ICE-Linien Berlin – Hannover – Köln und Berlin – Hannover – Bremen für sogenannte Halbzüge, die bei Bedarf das Flügelzugprinzip wiederbelebten. Bis heute werden beispielsweise zwei aus Berlin kommende ICE 2 in Hamm getrennt und fahren als Flügelzüge über das Ruhrgebiet nach Düsseldorf oder über Wuppertal nach Köln.

Die 44 Züge bestehen aus einem Triebkopf, sechs Mittelwagen und einem Steuerwagen. Der Triebkopf der Baureihe 402 entsprach weitgehend dem der Baureihe 401, hat aber eine selbsttätige Kupplung hinter den Bugklappen, um die Halbzüge ohne manuellen Eingriff trennen und kuppeln zu können. Die Triebköpfe wurden bei ABB in Kassel und Krauss-Maffei in München im Rohbau erstellt und bei Siemens in Essen fertiggestellt. Seit 1996 gehörte die Essener Krupp Verkehrstechnik zu Siemens.

Ein Teil der Zwischenwagen wurde bei der damaligen Siemens-Tochter Duewag in Krefeld gefertigt, insgesamt 121 Großraumwagen der 1. und 2. Klasse der Baureihe 806. Die neu entwickelten Steuerwagen wurden bei ARG in Nürnberg gefertigt. Die nur 205 m langen ICE 2-Züge haben ein neues Bordrestaurant ohne erhöhtes Dach. Die ersten Züge wurden ab dem 29.9.1996 auf der Strecke Frankfurt/Main – Bremen eingesetzt. Seit 1998 prägen die ICE 2 das Bild auf dem wachsenden Hochgeschwindigkeitsnetz, das seitdem auch die Schnellstrecke Hannover – Berlin umfasst.

1999 – 2001: ICE 3, Baureihen 403 und 406

Die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke Köln – Rhein/Main mit einigen Steilabschnitten mit 40 ‰ Neigung, die gewünschte Höchstgeschwindigkeit von 330 km/h sowie die international auf 17 Tonnen begrenzte Achslast führte beim ICE 3 zu einem völlig neuen Zugkonzept: dem Hochgeschwindigkeitszug mit verteiltem Antrieb.

Die unter der Federführung von Siemens zusammen mit Adtranz (ABB Daimler Benz Transportation) entwickelten Züge haben gegenüber den Vorgängern viele Vorteile. Beim ICE 1 und ICE 2 wurde der Zug von zwei oder einer Lok mit je vier Achsen angetrieben. Weil beim ICE 3 die vier Achsen jedes zweiten Wagens angetrieben sind, hat der Triebzug eine höhere Beschleunigung bei geringerer Kraftschlussbeanspruchung und kann beim generatorischen Bremsen, wenn die acht Fahrmotoren als Generator arbeiten, Energie in die Fahrleitung zurückspeisen. Ein weiterer Pluspunkt ist das höhere Sitzplatzangebot bei gleicher Zuglänge.

Der ICE 3 der DB ist der erste europäische Hochgeschwindigkeitszug, bei dem Antrieb, Transformatoren und Stromrichter unterflur eingebaut sind. Ein angetriebener Endwagen mit dem Führerraum, ein Trafowagen ohne Antrieb und ein angetriebener Stromrichterwagen bilden eine Funktionseinheit. Ergänzt werden die symmetrischen Zughälften durch jeweils einen Mittelwagen. Der rund 200 m lange Triebwagenzug ist 330 km/h schnell.

Neben den 37 Einsystemzügen der Baureihe 403 für das in Deutschland, der Schweiz und Österreich gebräuchliche Oberleitungsnetz mit 15 kV/16,66 Hz, betreibt die DB 13 Mehrsystemzüge im internationalen Verkehr mit den Niederlanden, Belgien und Frankreich. Auch die Nederlandse Spoorwegen (NS) verfügt über vier gleichartige Modelle. Erstmals in Europa sind die nicht angetriebenen Wagen dieser Hochgeschwindigkeitszüge mit Wirbelstrombremsen ausgerüstet. Zum ersten Mal wurden umweltfreundliche Klimaanlagen ohne chemische Kältemittel eingesetzt. Die Züge verfügen über ein Fahrgastinformationssystem. Die Lounge im 1. Klasse Endwagen bietet Platz für zusätzliche Sitzplätze und freie Sicht durch den Führerraum auf die Strecke.

1999 – 2000, 2004: Neigezug ICE T, Baureihen 411 und 415

Parallel zum ICE 3 entwickelte das von Bombardier DWA geführte Konsortium IC NeiTech mit Duewag, Fiat und Siemens elektrische Neigezüge. Sie ähneln im Design dem ICE 3 und werden auf kurvenreichen Altbaustrecken eingesetzt, um die Fahrzeiten um 10 bis 20 % zu verkürzen. Höhere Bogengeschwindigkeiten werden durch eine von Fiat entwickelte Neigeeinrichtung erreicht, die den Zug bis zu acht Grad zur Innenseite der Kurve neigt. Durch diese Technik legt sich der Zug wie ein Motorradfahrer in die Kurve und kompensiert die höheren Fliehkräfte für die Fahrgäste. Die Traktionsausrüstung des 230 km/h schnellen ICE T wurde wie beim ICE 3 unterflur angeordnet. Wegen der gleichmäßigen Masseverteilung erhielten die Endwagen Transformatoren und Stromabnehmer. Der Stromabnehmer neigt sich in Bögen nicht zur Seite, sondern folgt auf einer beweglichen Basis der Fahrleitung. Der Fahrmotorwagen verfügt über zwei Motoren, die jeweils einen Radsatz pro Drehgestell über Gelenkwellen antreiben. Der Mittelwagen mit Bordbistro oder Restaurant hat keinen Antrieb.

Die DB bestellte zunächst 32 siebenteilige und elf fünfteilige Neigezüge ICE T und setzte sie ab 1999 im ICE-Verkehr auf kurvenreichen Strecken ein. 28 weitere, ebenfalls für 230 km/h geeignete Triebwagenzüge der Baureihe 411 erhielt die DB ab 2004.

2000: ICE TD, Baureihe 605

Vom ICE T abgeleitet wurde eine vierteilige dieselelektrische Version mit Neigetechnik für nicht elektrifizierte Fernverkehrsstrecken. Die 20 ICE TD der Baureihe 605 haben Endwagen mit jeweils zwei Dieselmotoren, welche die Generatoren für die jeweils zwei Fahrmotoren in einem Drehgestell aller vier Wagen antreiben. Die Züge wurden im Konsortium ICT-VT von Bombardier, Siemens und Duewag hergestellt und im Jahr 2000 in Dienst gestellt. Heute werden die ICE TD vor allem im Dänemark-Verkehr eingesetzt.

2010: Neuer ICE 3, Baureihe 407

Für den internationalen Hochgeschwindigkeitsverkehr bestellte die DB 2009 bei Siemens den Velaro D, eine neue Generation von Viersystemzügen für eine Geschwindigkeit bis zu 320 km/h, die auf der Konzeption und den Erfahrungen des ICE 3 aufbaut sowie auf den in Spanien, China und Russland erfolgreich eingesetzten Varianten basiert.

Die 17 bestellten ICE-Züge der Baureihe 407 haben Endwagen mit einem markanten Kopf und wurden durch ein höheres Dach aerodynamisch optimiert, was neben weiteren Verbesserungen zu einem reduzierten Energiebedarf beiträgt. 30 Sitzplätze mehr als im Mehrsystem-ICE 3 tragen darüber hinaus zu einem noch wirtschaftlicheren Betrieb bei. Die Wagenkästen bestehen aus Aluminium.

Die Anordnung der Sitze und Tische kann bei Bedarf auf Seiten- und Bodenschienen auf der rund 18 m langen Nutzfläche der Wagen frei verschoben werden. Die flexible Innenraumgestaltung der neuen ICE 3-Baureihe 407 macht den Zug zukunftssicher, denn während der mindestens 30 Betriebsjahre können sich die Anforderungen an die Sitzanordnung und Raumgestaltung noch mehrfach ändern.

2017 – 2020: ICE 4, Baureihe 412/812

Größte Flexibilität bei Zuglängen und Strecken waren die Grundlage für die Bestellung 115 Triebzügen im Jahr 2011 durch die DB. Die Züge, die zunächst mit dem Arbeitstitel ICx geplant wurden, unterscheiden sich durch ein neues Antriebskonzept von den bisherigen ICE-Modellen.

Für den Antrieb des ICE 4 sorgen sogenannte Powercars, das sind buchstäblich Triebwagen, die je nach Leistungsbedarf und Länge des Zuges eingereiht werden können. Die Hälfte des Zuges kann aus Powercars bestehen, die neben zwei angetriebenen zweiachsigen Drehgestellen nahezu die komplette Traktionsausrüstung mit Transformator und Stromrichter an Bord haben. Nur der Stromabnehmer befindet sich auf einem der Zwischenwagen. Endwagen mit Führerständen sowie ein Restaurant- und Servicewagen vervollständigen den ICE 4. Sie werden zum Teil von Bombardier zugeliefert.

So können beispielsweise siebenteilige Züge mit drei Powercars eine Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h, zwölfteilige mit sechs Powercars 250 km/h erreichen. Durch die größere Wagenlänge von 28 m erhöht sich trotz eines Wagens weniger die Sitzplatzkapazität gegenüber den anderen ICE-Modellen. In einem 200 m langen Siebenteiler sind beispielsweise 456 Sitzplätze. Ein 346 m langer Zwölfteiler böte 830 Plätze, fast das Doppelte eines ICE 3. Am 4.12.2015 stellte die DB den ersten ICE 4 vor. Ab 2017 sollen die ersten sieben Züge in den Regelbetrieb gehen.

Quelle:  Siemens

• Auf epilog.de am 4. Juni 2016 veröffentlicht

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