Handel & IndustrieFabrikation

Die Herstellung der Kerzen

Prometheus • 1.6.1892

Voraussichtliche Lesezeit rund 8 Minuten.

Einen gewaltigen Aufschwung hat in neuerer Zeit die Fabrikation der Kerzen erfahren, die früher immer nur aus Wachs und Talg hergestellt wurden, jetzt aber auch aus Stearin, Stearinsäure, Walrat und Paraffin verfertigt werden. Die Hauptbedingung, die man von einer guten Kerze verlangt, ist, dass sie möglichst hell, aber doch sparsam brenne. Sie darf weder knistern noch flackern, nicht laufen und rauchen, nicht stinken und zerbröckeln, darf nicht schmierig anzufühlen sein und muss äußerlich eine schöne weiße Farbe besitzen, oder diese doch nach Monatsfrist erhalten. Alle diese Eigenschaften werden bedingt durch die gute Beschaffenheit des Kerzenmaterials und des Dochtes, sowie durch die verhältnismäßige Dicke des letzteren.

Der Docht besteht in der Regel aus Baumwolle, seltener aus Leinengarn, Binsenmark u. dgl. und dient dazu, das flüssige Leuchtmaterial durch Kapillarität der Flamme zuzuführen. Er muss ein gleichmäßiges, nicht zu starkes und nicht zu schwaches Aufsteigen des geschmolzenen Fettes veranlassen und andererseits beim Verbrennen möglichst wenig kohlige Materie hinterlassen. Deshalb darf ein Docht nie Wolle oder Seide enthalten, weil diese nur sehr schwer vollständig verbrennen, vielmehr eine geschmolzene kohlehaltige Substanz bilden, welche die Leuchtkraft der Flamme bedeutend beeinträchtigen würde. Seine Beschaffenheit muss sich nach dem Kerzenmaterial, besonders nach dessen Schmelzpunkt und nach der Stärke der Kerzen richten. Bei verhältnismäßig zu dicken Kerzen bleibt an der Peripherie derselben ein ungeschmolzener Rand, innerhalb dessen sich zu viel flüssiges Fett ansammelt, durch welches die Flamme verkleinert wird, während beim endlichen Zusammenbrechen des Randes der Überschuss des flüssigen Fettes herabrinnt. Ist die Kerze im Verhältnis zum Docht zu dünn, so schmilzt das Fett zu schnell, rinnt herab und bildet nicht das erforderliche Bassin, aus welchem der Docht gleichmäßig gespeist wird. Talgkerzen erhalten wegen der leichten Schmelzbarkeit des Materials einen dickeren Docht, um die Flamme möglichst über das Fett hinaufzurücken. Die Kerzendochte mussten früher, als sie noch gedreht wurden und nicht vollständig verbrannten, geputzt werden, sobald sie die Flammen überragten;, die jetzt gebräuchlichen geflochtenen Dochte beugen sich beim Brennen oder drehen sich los und die einzelnen Fäden neigen sich nach und nach bis an den äußeren Saum der Flamme, wo die Verbrennung schnell erfolgt. Bei Talglichten hat man eine Schnur oder einen Faden von faserigem Material den Docht entlang gelegt und beide mit einem feinen Faden zusammengebunden. Die Verbrennung dieser Dochte wird noch sehr beschleunigt durch Tränken mit salpetersaurem Wismut, Borax oder einer Lösung von 60 g Borax, 30 g Chlorkalium, 30 g salpetersaurem Kali und 30 g Salmiak in 3,5 l Wasser. Wachskerzen erfordern sehr dünne Dochte, welche man vorteilhaft aus ungebleichter türkischer Baumwolle fertigt, da diese dem während der Verbrennung sehr erhitzten Wachs besser widersteht als gewöhnliche Baumwolle. Tränkt man diese Dochte mit Borax, so wird die Flamme noch weißer und der Docht verzehrt sich selbst, da das Borax mit der Asche desselben zu kleinen glasartigen Kügelchen zusammenschmilzt, die bald abfallen. Nach dem Vorschlag Payens wird der Docht mit einer Borsäurelösung, die 5 – 6 g im Liter enthält, getränkt. Beim Brennen der Kerze schmilzt die als Asche des verbrannten Dochtanteiles übrig bleibende Borsäure zu einer Perle, deren Gewicht den verkohlten Docht aus der Flamme heraus biegt, wo er in Berührung mit dem Luftsauerstoff vollständig verbrennt und so den Gebrauch einer Lichtputzschere, die früher nie fehlen durfte, entbehrlich macht.

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• Auf epilog.de am 7. Mai 2024 veröffentlicht

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