Daseinsvorsorge – Kommunalwirtschaft
Gewerbliche Verwertung städtischer Abfälle
Das Neue Universum • 1899
Die Beseitigung des Straßenkehrichts und der festen Abfälle im Haus ist eine Aufgabe, die den städtischen Verwaltungen viel Kopfzerbrechen macht. Früher hat man sich damit begnügt, den Straßen- und Hauskehricht einfach aus der Stadt zu entfernen und an irgend einem Ort der Umgebung aufzuhäufen. In der Umgebung großer Städte sind diese Abladeplätze für Müll und Straßenkehricht mit der Zeit zu wahren Bergen angewachsen, und durch ihren Geruch, durch ihre vom Winde verwehten Bestandteile bilden sie geradezu eine Gefahr für den Gesundheitszustand, um so mehr, als es auch noch vorkommen kann, dass ihre verwesenden organischen Stoffe durch den Regen ausgelaugt werden, in den Boden gelangen und das Grundwasser vergiften. In anderen Fällen bemüht man sich, die Kehrichtmassen auf weitere Entfernung fortzuschaffen. So pflegen die Küstenstädte ihre Abfallstoffe häufig außerhalb der Hafenmündungen ins Meer zu verschütten, und in Berlin wird der Kehricht jetzt, nachdem die Versuche, ihn zu verbrennen, vorläufig nicht zu dem gehofften Erfolg geführt haben, durch große Schiffe die Spree aufwärtsgefahren und an einem unbewohnten, von der Stadtverwaltung angekauften Platz aufgehäuft.
Aber auch diese Beseitigungsmethode hat ihre Nachteile, sie stellt sich zu teuer und verleitet die mit der Müllbeseitigung beschäftigten Unternehmer, ihre Fuhrwerke, häufig während der Nacht, in unmittelbarer Umgebung der Städte auf abgelegenen Straßen oder Grundstücken zu entleeren, wodurch die vorhandenen Übelstände noch vergrößert werden. In den letzten Jahren hat man deshalb, um die Kosten der Müllbeseitigung zu verringern, sich vielfach bemüht, Methoden zur Verwertung des Kehrichts für gewerbliche Zwecke ausfindig zu machen. Das einfachste und gründlichste System der Beseitigung ist zweifellos die Kehrichtverbrennung. In England, wo der stark mit Kohlenresten untermischte Kehricht der Haushaltungen die gesamten städtischen Abfälle leicht verbrennlich macht, ist dieses System vielfach und mit großem Nutzen durchgeführt worden. Die gesamte Müllabfuhr wird unsortiert in besondere, für diesen Zweck konstruierte Öfen geschüttet, und die erzeugte Hitze ist nicht nur groß genug, um den Müll bis auf unbedeutende Aschenreste zu verbrennen, sondern auch hinreichend, um noch Dampfkessel zu heizen oder anderen nutzbringenden Zwecken zu dienen. So heizt das Elektrizitätswerk von Shoreditch seine Kessel lediglich mit den Abgasen der Müllverbrennungsanlage, indessen sind die hierzu verwendeten Öfen sehr kostspielig, und nicht überall enthält der Kehricht so viel brennbare Bestandteile wie in England. In den meisten deutschen und französischen Städten würde man nach den vorhergegangenen Versuchen gezwungen sein, dem Kehricht bedeutende Mengen von Kohle hinzuzusetzen, um die Verbrennung zu ermöglichen, und dadurch wird auch diese Art der Beseitigung so kostspielig, dass man sich nur in Ausnahmefällen, wenn es gar keine andere Möglichkeit der Entfernung mehr gibt, dazu verstehen kann.
In den amerikanischen Städten, wo man ebenfalls bestrebt ist, sich des Kehrichts auf eine möglichst hygienische Weise zu entledigen, sucht man durch besondere Prozesse dem Haus- und Straßenkehricht einerseits die düngenden, andererseits die fettreichen Bestandteile zu entziehen, um sie für gewerbliche Zwecke nutzbar zu machen. Eine Müllverbrennung würde auch hier nur durch einen Zusatz von Kohle zu ermöglichen sein, weshalb man von dem englischen System von vornherein absieht. Diejenigen Häuser, welche sich der öffentlichen Kehrichtbeseitigung anschließen wollen, werden angehalten, den Kehricht schon bei der Aufhäufung derart zu sondern, dass die Asche einerseits, die organischen Bestandteile, wie Speisereste und dergleichen andererseits, und endlich die nutzbaren Abfälle an Glas, Lumpen usw. für sich abgefahren werden können. Die letzteren werden vielfach von speziellen Gewerbetreibenden abgeholt und verwertet. Die Asche wird mit einem Zusatz von Kohle verbrannt oder zu Dünger verarbeitet, und die Küchenabfälle werden durch besondere chemische Verfahren entweder auf ihren Fettgehalt behandelt oder ebenfalls in Dünger verwandelt. In New York ist eine besondere Fabrik im Betrieb, welche bedeutende Kehrichtmengen nach dem System Arnold verarbeitet. Der Kehricht wird in einen großen eisernen Behälter geschüttet und hier sieben Stunden lang durch Dampf von 4 Atmosphären Druck ausgelaugt. Die entweichenden Dämpfe schlagen sich in einem anderen Behälter nieder und setzen hier die dem Kehricht entzogenen Bestandteile ab. Nach dem Trocknen und Pressen enthält der Bodensatz der Niederschlagspfanne sämtliche düngendend Bestandteile des Kehrichts in konzentrierter Form.
Wenn es nach diesen neuen Methoden fast überall in großen Städten möglich ist, den Kehricht nutzbringend oder doch ohne besondere Opfer zu beseitigen, so ist die Frage für eine kleine Stadt erheblich schwerer zu lösen. Welche Öfen oder Apparate man auch zur Verarbeitung des Kehrichts in Anwendung bringen mag, sie erfordern alle, wenn ihre Anlage sich bezählt machen soll, einen ununterbrochenen Betrieb, der nur durch eine verhältnismäßig bedeutende Kehrichtmenge gewährleistet werden kann. Hier und da ist es wohl für mehrere benachbarte Städte möglich oder ratsam, sich zur Anlage eines gemeinsamen Kehrichtofens zu verbinden, doch ist auch das nur anzuraten, wenn Kanäle oder Flüsse einen sehr billigen Transport der Abfälle zu dem gemeinsamen Ofen erlauben.
Für solche Fälle, in denen nur mäßige Kehrichtmengen zu beseitigen sind, ist das Freyersche System der Kehrichtverarbeitung von großem Wert. Ein Freyerscher Ofen zur täglichen Beseitigung von 10 t Abfallstoffe stellt sich ungefähr auf 12 000 Mark [rd. 100 000 € in 2024], und die bei der Verbrennung erzeugten Heizgase genügen theoretisch, um 50 – 60 PS hervorzubringen. Die in Wirklichkeit als Nebenprodukt der Verbrennung erzeugte Kraft hält sich jedoch in meist bescheideneren Grenzen. Nutzbringender als diese Kraftausbeute gestaltet sich in vielen Fällen die Verarbeitung des Kehrichts selbst, indem die dabei entstehenden Produkte, künstlicher Dünger, Schmieröle oder andere Fettstoffe und endlich die aus den Verbrennungsresten hergestellten Aschenziegel, nicht nur eine kostenlose Müllbeseitigung ermöglichen, sondern den Unternehmern auch noch Überschüsse einbringen. Unsere Abbildung gibt das Innere einer solchen Fabrik zur Verarbeitung städtischer Abfälle wieder.
Die in dieser Anstalt zu verarbeitenden Kehrichtmengen werden schon am Orte ihrer Entstehung nach trockenen, brennbaren Stoffen einerseits und nach fettreichen, organischen, verweslichen Bestandteilen andrerseits getrennt. Die brennbaren Kehrichtmengen, wie Ofenabfälle, Papier, Lumpen und dergleichen finden ihren Weg in die Anstalt bei A, die vorhin bezeichnete zweite Klasse von Abfallstoffen, besonders die Küchenabfälle umfassend, bei M. Verfolgen wir zuerst den kurzen Weg der bei A gelagerten Kehrichtmassen. Aus dem Wagen fallen die brennbaren Massen auf ein endloses Tuch B, um durch einen breiten Elevator direkt dem Verbrennungsofen D zugeführt zu werden. Die hier erzeugte Hitze dient zum Betriebe des kleinen Dampfkessels d und der daneben liegenden Maschine d’, deren Treibwelle sämtliche Apparate der Fabrik in Tätigkeit erhält. Nicht so einfach ist der Weg der bei M in kleinen Transportwagen zugeführten organischen Abfälle. Sie fallen gleich nach ihrer Ankunft in einen großen Dämpfraum oder Kessel N, der in bestimmten Perioden, während die Dampfmaschine stillsteht, durch die im Dachgeschoss und neben dem Kessel sichtbare Dampfleitung v von d aus gespeist wird. Der mehrere Stunden von Dampf durchzogene Kehricht gibt seinen Gehalt an Fett und Düngesalzen an den Dampf oder das sich im Kessel N niederschlagende Wasser ab, welches durch den unteren Hahn des Siedeapparates in bestimmten Zwischenräumen abgelassen wird und in den Trog O gelangt. Der Inhalt dieses offenen Behälters scheidet sich nach kurzem Stehen in einen festen Bodensatz und eine darüber stehende Jauche, von denen der erstere die düngenden, die letztere die fettreichen Bestandteile enthält. Die Flüssigkeit wird durch eine Pumpe p in das Dachgeschoss befördert und hier in großen Pfannen P P einem abermaligen Dekantierungs- oder Klärungsprozess unterworfen, dessen fettreiche Rückstände zu Ölkuchen gepresst werden. Die festen Rückstände des Bassins O werden nach der Entfernung des darüber stehenden Wassers ausgeschaufelt, in dem Trommelofen R durch Dampfheizung getrocknet und als Düngemittel verkauft. Auf dem Lagerraum F sehen wir große Vorräte dieser getrockneten Rückstände in Säcken aufgespeichert.
