Handel & IndustrieHandwerk

Neue Erfindungen und Kulturfortschritte

Eine Umwälzung in der Gerberei

Von Max Wirth

Über Land und Meer • März 1878

Zu deren Herstellung ist die Rinde junger Eichen erforderlich; längst aber hat man sich auch mit der Rinde anderer Baumarten begnügt, seitdem die Ausrottung der Eichen immer größere Fortschritte gemacht hat. Schon lange hat einerseits der steigende Preis der Baumrinde, andererseits das Interesse der Forstwirtschaft darauf hingedrängt, nach einem Surrogat der Gerberlohe zu forschen oder vielmehr ein neues Verfahren zu entdecken, welches die Anwendung der Lohe entbehrlich macht.

Zuerst ist von Nordamerika aus eine Methode der Gerberei mit Hilfe von Alaun in Gebrauch gekommen. Es wird indessen darüber geklagt, dass das betreffende Produkt der genügenden Solidität entbehre. Der Ersatz der Lohe ist daher noch bis in die jüngste Zeit als ein ungelöstes Problem betrachtet worden.

Erst jetzt soll es Prof. Dr. Friedrich Knapp in Braunschweig, dem Schwager von Justus Liebig, gelungen sein, ein Verfahren zum Gerben von Häuten zu erfinden, durch welches eine rein mineralische Gerbung an die Stelle der Lohgerbung tritt. Bei diesem Verfahren ersetzt nicht bloß ein billigeres das bisher verwendete teure Material, sondern nach den bis jetzt gemachten Erfahrungen wird bei gleicher Solidität des Produkts auch noch eine bedeutende Ersparnis an Zeit und Arbeitskraft erzielt. Professor Knapp bedient sich nämlich zum Garmachen des Leders eines auf eigentümliche Weise dargestellten basisch schwefelsauren Eisenoxids, welches sich jedoch von dem unter ähnlichem Namen im Handel vorkommenden Eisensalz im Aussehen und auch in seinen sonstigen Eigenschaften ganz wesentlich unterscheidet. Da Knapp seine Erfindung durch Patente gesichert hat, so dürfen wir folgende nähere Mitteilungen über sein Verfahren verraten.

Zur Darstellung jenes spezifischen Eisensalzes setzt man zu einer kochenden Lösung von Eisenvitriol die zur Oxidation erforderliche Menge Salpetersäure und fügt, nachdem die Gasentwicklung aufgehört und das Eisenoxid sich gebildet hat, der Lösung wieder Eisenvitriol bei. Man erhält nun eine gelbrote Flüssigkeit, welche abgedampft das trockene Eisen­oxid­salz als einen klaren, tief rotgelben Firnis ergibt. Die rohen Häute werden zum Garmachen in die kalt gewordene, passend konzentrierte Losung des Eisen­oxid­salzes eingehängt und die Gare ist, je nach der Stärke der Häute, in zwei bis vier Tagen erreicht, ohne dass ein Bewegen oder ein Versetzen der Häute oder eine der übrigen bisher erforderlichen Zwischenarbeiten nötig ist.

Bei der auf diesen Prozess folgenden Zurichtung fällt das Einschmieren der Häute, das Aushängen in der Trockenstube, das Walken in der Tonne, das Abstoßen des Fettes und die übrigen mit der Hand ausgeführten Reinigungsmanipulationen weg. Nur das Falzen und Schlichten wird beibehalten. Der Ersatz der Handarbeit wird dadurch erzielt, dass die Schmiermittel dem Leder in Form von Lösungen durch einfaches Tränken beigebracht werden und dass das Trocknen und Wallen gleichzeitig geschieht. Zu den Fettlösungen können außer den bisher gebräuchlichen Schmiermitteln auch noch Stearin und Paraffin benutzt werden, welche bisher zu diesem Zweck keine Verwendung fanden.

Um die gelösten Fette in das Leder einzutreiben, nachdem sie sich mit der auf der Faser der Haut vorhandenen Eisenlösung zu einer Eisenseife verbunden, hat der Erfinder eine eigentümliche Trommel konstruiert. Diese Trommel besteht aus einem um hohle Zapfen rotierenden Walkfass, welches durch diese hohlen Zapfen mit einem Ventilator verbunden ist. Bei der Drehung der Trommel wird gleichzeitig der Ventilator in Bewegung versetzt und dieser treibt während des Walkens Luft durch die Häute, welche auf diese Weise gleichzeitig gewalkt und getrocknet werden.

Wie man sieht, besteht sonach das Verfahren aus drei Teilen: dem Ersatz der Gerberlohe durch einen neuen, unschädlichen Stoff, in einem veränderten Gerbverfahren selbst und in einem hierbei angewendeten neuen Apparat.

Da schon der Name des Erfinders dafür bürgt, dass wir es mit einer ernsten, beachtenswerten Neuerung zu tun haben, so werden die Gerber wohl tun, ihre Aufmerksamkeit bei Zeiten dem neuen Verfahren zuzuwenden, wenn wir nicht aufs Neue mit Klagen über Bedrohung des Kleingewerbes belästigt werden sollen und wenn überhaupt die jetzt bestehenden Gerbereien verhüten wollen, dass sofort neue Unternehmen sich der Sache bemächtigen und den alten Gerbereien zuvorkommen. Die neue Erfindung wird dann nach allen Seiten hin Segen verbreiten.

• Auf epilog.de am 11. Dezember 2025 veröffentlicht

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