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Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit

Eine neue Akkumulatorenbahn

Die Gartenlaube • 1896

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

In allen Großstädten werden elektrische Straßenbahnen eingeführt. Wie groß aber auch ihre Vorzüge gegenüber den Bahnen mit Pferdebetrieb sein mögen, ganz und gar befriedigen sie die Menschen nicht. Augenblicklich werden zumeist Bahnen mit oberirdischer Stromzuführung gebaut und man empfindet das Gewirr der Drähte, das die Straßen durchzieht, als einen Übelstand. Eifrig ist man darum bestrebt, andere Systeme der elektrischen Straßenbahnen zu vervollkommnen, um die vorhandenen durch bessere zu ersetzen.

Vortreffliche Erfahrungen hat man auf diesem Gebiete mit der unterirdischen Stromzuführung gemacht. Besonders gerühmt wird in dieser Hinsicht die von der Firma Siemens & Halske gebaute  Budapester Bahn. Diese Systeme sind jedoch verhältnismäßig teuer und haben auch technische Übelstände im Gefolge, so dass sie die Straßenbahnen mit oberirdischer Stromzuleitung nicht verdrängen können. Aus ähnlichen Gründen ist auch die Einführung von Bahnen mit Akkumulatorenbetrieb erschwert, obwohl sie seit langer Zeit als Ideal einer elektrischen Bahn gelten. Stellt man eine entsprechende Zahl solcher Kraftkasten in einen Wagen ein und verbindet sie mit dem Motor, dann rollt das Fahrzeug vermöge seiner inneren Kraft selbstständig dahin. Es bedarf keiner Stromzuleitung und keiner Stromrückleitung.

Bis vor etwa zwei Jahren waren aber die Akkumulatoren zu wenig haltbar und zu schwer, um zu praktischen Ergebnissen führen zu können. Die erste große Akkumulatorenbahn, die inzwischen günstige Resultate ergeben hat, befindet sich zu Paris. In Deutschland wurden im vergangenen Jahre von der ›Akkumulatoren-Aktiengesellschaft‹ in Hagen und Berlin Versuche angestellt, deren Ergebnisse aber noch nicht allen Wünschen entsprechen. Die Frage des Akkumulatorenbetriebes wird gelöst sein, wenn es gelingt, so widerstandsfähige Akkumulatoren herzustellen, dass sie durch die Bewegung des Fahrzeugs, in dem sie sich befinden, nicht leiden. Dass sie ferner nicht zu schwer in ihrem Aufbau und dennoch fähig sind, eine starke Ladung, welche für längere Zeit genügt, in sich aufzunehmen. Nur so kann sich der Akkumulatorenbetrieb zu einem wirtschaftlichen gestalten. Es scheint, als wenn der letzte Teil dieser Bedingungen durch den Akkumulator erfüllt wird, welchen augenblicklich die ›Neuen Berliner Elektrizitätswerke‹ zum Antrieb eines Fahrzeuges verwenden, das auf der Charlottenburger Bahnstrecke Westend bis zum sogenannten Knie bei Berlin versuchsweise in Tätigkeit ist. Die Strecke ist außerordentlich günstig gewählt. Sie hat fast keine Krümmungen, und ihre größte Steigung verhält sich auf einem 500 Meter langen Teil nur wie 1 zu  28. Sodann muss ganz besonders hervorgehoben werden, dass sich die Geleise in einem durchaus tadellosen Zustande befinden und mit einer Vorsicht gebaut sind, wie man es sonst nur bei Lokomotivbahnen findet.

Akkumulatorenbahn

Der Wagen ist für 28 Personen eingerichtet und hat bei vollkommener Besetzung ein Gewicht von 12 Tonnen. Auf Grund der Polizeivorschrift bewegt er sich mit einer Geschwindigkeit von 12 Kilometern in der Stunde, die aber – wie bei allen elektrischen Bahnen – sehr beträchtlich überschritten werden kann. Der Betriebsmechanismus entspricht im Allgemeinen den bei diesen Systemen bekannten Einrichtungen. Ein Elektromotor mit einer Leistung von 30 Pferdekräften befindet sich unter dem Fahrzeuge und überträgt seine Bewegung auf die Laufräder. Die Bewegungsenergie entfalten 2 Batterien von je 62 Zellen der neuen Akkumulatorenart, welche, wie gebräuchlich, unter den Sitzplätzen aufgestellt sind. Sie speisen außerdem noch 4 Glühlampen von je 16 Normalkerzen und 2 Scheinwerfer, die vorn und hinten am Wagen angebracht sind und die Fahrstrecke zur nächtlichen Stunde weithin mit hellem Licht überfluten können. Eine vortreffliche Eigenschaft der hier zur Verwendung gelangenden Akkumulatoren besteht darin, dass sie während der Speisung im Fahrzeuge verbleiben und nicht wie bei früheren Systemen ausgewechselt werden müssen. Es ist nur nötig, sie nach Erschöpfung mit dem Speisekabel eines Elektrizitätswerks zu verbinden.

Wie die Versuche in Charlottenburg gelehrt haben, genügt eine Ladung für einen Betrieb von 16 bis 18 Stunden; also für zwei Tage. Bisher wurden mit dieser Energie täglich 21 Doppelfahrten von je 5,1 Kilometern Länge ausgeführt und somit eine Strecke von 107 Kilometern zurückgelegt. Man sieht aus dem Vorstehenden, wie außerordentlich bequem sich die Speisung gestalten würde, wenn sehr viele Fahrzeuge in Betrieb gestellt werden sollten. Es wäre, beispielsweise in Berlin, dann nur nötig, einen Kabelstrang von den Berliner Elektrizitätswerken nach der Station abzuzweigen. In wenigen Stunden würden dann die Akkumulatoren befähigt sein, kraftstrotzend ihren Dienst zu tun.

Über die Einrichtung der neuen Akkumulatoren ist wenig zu sagen; sie entsprechen im Allgemeinen dem Fauretypus. Eine jede Zelle setzt sich aus 10 Bleiplatten von 3 Millimeter Dicke zusammen. Um die Füllmasse gut halten zu können, hat man den Platten die Gitterform gegeben. Die 124 Zellen, welche in die Wagen eingestellt sind, stellen noch immerhin das respektable Gewicht von 3360 Kilogramm dar. Ob sich die Batterie bei längeren Versuchen tatsächlich als widerstandsfähig zeigen wird, kann natürlich erst ein längerer Betrieb lehren. Das aber muss dem neuen Unternehmen zugegeben werden, dass die Ruhe, mit der sich der Wagen bewegt, und die Sicherheit, mit der er im Augenblicke den Regulierungsvorrichtungen folgt, bisher von keinem anderen System erreicht worden sind.

• Franz Bendt

• Auf epilog.de am 7. September 2016 veröffentlicht

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