FeuilletonJournalismus & Nachrichtenwesen

Die ›Times‹

Ein Kapitel aus der Geschichte des englischen Zeitungswesens

Die Abendschule • 28.5.1880

Voraussichtliche Lesezeit rund 9 Minuten.

In keinem Land hat sich das Zeitungswesen so großartig entwickelt, wie in England. Bereits zur Zeit der Königin Elisabeth gab es gedruckte Kriegsberichte, die in einer gewissen Regelmäßigkeit erschienen und einen Zeitungscharakter trugen, und im 17. Jahrhundert blühte in London schon eine völlig entwickelte Presse, begünstigt durch den großen Verkehr und das rege politische Leben der Hauptstadt. Nach unseren heutigen Begriffen sahen freilich diese Blätter mit den zum Teil höchst wunderlichen Namen: Der wöchentliche Entdecker, Der Mann im Mond, Die wöchentlichen Neuigkeiten, Die geheime Eile etc., noch recht bescheiden aus; sie brachten nur sehr dürftige politische Nachrichten, über die Verhandlungen des Parlaments gar keine Berichte und druckten auch nicht selten bei gänzlichem Mangel an Stoff, um ›auszufüllen‹, ein oder mehrere Kapitel aus der Bibel ab, aber sie erfreuten sich doch schon der allgemeinen Beachtung des Publikums und gewannen sodann mit jedem Jahrzehnt einen immer größeren Einfluss auf die öffentliche Meinung. Beim Beginn des 18. Jahrhunderts gaben sie bereits sehr oft bei politischen und städtischen Angelegenheiten mit ihren Ansichten den Ausschlag und von 1769 an, in welchem Jahre die ›Junius-Briefe‹ im Public Advertiser erschienen, die ein europäisches Aufsehen durch ihre Angriffe auf die Regierung erregten, waren sie eine Macht.

In dieser Zeit lebte in London ein intelligenter Buchdrucker namens John Walter, der in Gemeinschaft mit einem Henry Johnson ein neues System des Setzens erfunden hatte, das sogenannte logografische System, welches darin bestand, dass solche Worte oder Endungen von Worten, welche viel gebraucht zu werden pflegen, in ein Stück gegossen waren, wodurch das Zusammensetzen aus einzelnen Buchstaben erspart werden sollte. Walter versprach sich davon eine große Erleichterung, sobald sich nur ein Setzer alle die Wörter, welche ›logografisch‹ gegossen worden waren, gemerkt hätte, ließ sich ein Patent auf die Erfindung geben und beschloss, den Vorteil, den er nun vor seinen Kollegen vorauszuhaben glaubte, dadurch auszunutzen, dass er eine Zeitung gründete. Er nannte sein neues Blatt Daily Universal Register und trat mit demselben 1785 hervor. Allein die Verhältnisse waren seinem jungen Unternehmen nicht günstig, er hatte mit den verschiedensten Missständen zu kämpfen und schließlich suchten ihm auch noch seine Kollegen den Boden zu untergraben und sein logografisches System lächerlich zu machen. Das aber ließ sich Walter auf keinen Fall antun und verteidigte sich daher mehrmals öffentlich energisch gegen diese Angriffe. Dadurch zog er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, man bedauerte ihn als einen von Neid und Missgunst Verfolgten und begann sich dabei für seine Zeitung zu interessieren. Das Interesse wuchs, als man fand, dass das Blatt stets gut redigiert war und die neuesten Ereignisse immer völlig unparteiisch besprach. Damit hatte aber Walter auch schon gewonnen und setzte nun alles daran, immer noch Besseres zu liefern. Seine neue Erfindung erwies sich zwar schließlich als unpraktisch und er ließ sie, nachdem er sie einige Jahre angewendet, wieder fallen, und kehrte zur alten Methode des Setzens zurück, sie hatte aber doch die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn gezogen und dies war ja von unberechenbarem Vorteil.

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• Auf epilog.de am 14. Februar 2024 veröffentlicht

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