Handel & Industrie
Die großen Modewaren-Handlungen in Paris
Die Abendschule • 21.2.1879
Paris schwingt bekanntlich das Zepter der Mode über die ganze zivilisierte Welt. Der Verbrauch ist ungeheuer, und dies fordert den Unternehmungsgeist heraus, sich an der Produktion aller dieser Modeartikel, aber gleichwohl mehr oder weniger kostbaren Dinge zu beteiligen, aus welchen die Toilette unserer modernen Damen und Herren besteht. Paris versorgt ja damit nicht nur seine eigene Bevölkerung und diejenige von Frankreich, sondern unmittelbar oder mittelbar sozusagen noch die ganze Welt. Dadurch entstanden im Laufe der Zeit jene kolossalen Modewaren-Handlungen und Konfektions-Geschäfte, welche in den belebtesten und elegantesten Straßen von Paris wahre Paläste einnehmen und mit großer Eleganz, tadellosem Geschmack, sowie mit anerkennenswerter Umsicht eingerichtet, mit einem an Reichtum und Mannigfaltigkeit staunenswerten Warenlager versehen und mit Ordnung und Pünktlichkeit geleitet sind.
Viele dieser riesenhaften Etablissements, welche sich an Großartigkeit der Anlage wie an Reichtum der Warenlager gegenseitig zu überbieten suchen, sind Aktien-Unternehmungen, andere gehören Konsortien von reichen Fabrikanten und Kapitalisten, einige wenige sind das Eigentum von einzelnen Männern, die als kaufmännische Genies oder glückliche Spekulanten aus geringen Anfängen sich zu reichen Leuten emporgearbeitet haben und nun ihre Erfahrungen und ihr Kapital in solchen großen Etablissements glänzend verwerten.
Alles in diesen großen Palastmagazinen ist darauf berechnet, das Publikum zu reizen, zu blenden, die Eigenliebe und Eitelkeit zu kitzeln, die Käufer anzulocken und in einen gewissen Rausch der Eitelkeit zu versetzen. Hunderte von jungen Commis und Ladenmädchen, Dames du Comptoir usw., lauter gewandte Verkäufer, bedienen das Publikum in der zuvorkommendsten Weise, während Dutzende von Musterreisenden die Provinz und das Ausland abpatrouillieren, um Bestellungen aufzunehmen. Zahlreiche Commis sind nur allein mit dem unentgeltlichen Versenden der mehr oder minder umfangreichen, oft ganze Broschüren bildenden illustrierten Kataloge an Adressen beschäftigt, welche man mittelst eigener Agenten oder der Adressbücher in allen größeren Städten gesammelt hat.
Die Mehrzahl dieser Riesenmagazine sind der Beschaffung der Frauentoilette gewidmet, aber es gibt auch derartige Modehandlungen für Männer, und eines der neuesten und großartigsten dieser Etablissements sind die Grands Magazins de la Belle Jardiniére, welche ein ganzes Häuserquadrat am Quai de la Mégisserie, zwischen der Rue du Pont Neuf und Rue des Bourdonnais einnehmen. Dieses Etablissement, ganz in der Nähe des Louvre, der Isle du Palais, des Tour de St. Jacques und der Rue de Rivoli gelegen, ist 1827 von einem gewissen Pierre Parissot als der erste Laden fertiger Kleider für den Arbeiter entstanden, erweiterte sich allmählich zu einem sogenannten Konfektions-Geschäft und nahm mit der Zeit einen solchen Aufschwung, dass das Geschäft nun das erwähnte kolossale Gebäude einnimmt, und das mit einem Aufwand von mehreren Millionen erbaut, etwa ein Personal von über 500 Personen im Haus beschäftigt, speist und teilweise logiert, während auswärts noch etwa 3000 Personen für dasselbe arbeiten.
Alle Kleidungsstücke und Toilettengegenstände für Männer und Knaben: von den Socken, Hemden, Unterkleidern, Stiefeln und Schuhen bis zu den Hüten, Mützen, Handschuhen, Schirmen, Pelzwerk, Krawatten, Halskrägen usw. sind in jeder Größe und Feinheit in diesem Etablissement vorrätig oder werden auf Bestellung angefertigt, so dass man sich in einer halben Stunde fix und fertig in den elegantesten Pariser umwandeln kann. Dabei ist das Ganze in seiner inneren Organisation ein wahres Muster menschlichen Scharfsinns und raffinierter Kombination, so dass eine Detailschilderung desselben uns weit über unseren Rahmen hinausführen würde. Es dürfte aber zum Verständnis im Allgemeinen genügen, wenn wir noch nachstehende kurze Erläuterungen beifügen.
Die Keller enthalten die Luftheizung, die Heiz- und Maschinenräume der Dampfmaschinen. Im Souterrain sind Magazine des Westen-, des Hemden-, des Mützen- und des Hutgeschäfts und die Tuchlager. Im Erdgeschoss Zweig der Knabenkleider; Eingang; Zugang zur Haupttreppe; Bezirk der Handschuhe, Krawatten, Regenschirme. Erste Etage: Bezirk der Livreen, der Jaquettes, der schwarzen Fräcke, der großen Kleidungsstücke; Zuschneider und Bezirk für bestellte Arbeit. Zweite Etage: Magazine der unteren Bezirke; Werkstätten der Zuschneider für die Konfektion; Magazine der Beinkleider und Westen. Dritte Etage: allgemeine Magazine. Vierte Etage und Giebelräume: Speise- und Konversationsräume der Angestellten; Privatwohnungen derselben, Magazine.