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City- und Süd-London-Bahn

Prometheus • 31.12.1890

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Die unterirdische Bahn, welche die Londoner City mit dem Stadtteile Stockwell verbindet, wurde im November 1890 nach überraschend kurzer Bauzeit dem Verkehr übergeben. Überraschend kurz, wenn man bedenkt, dass es galt, zwei Stollen von je 3 m Durchmesser in einer Tiefe von 15 – 20 m, und obendrein zum Teil unter der Themse, vorzutreiben, diese Stollen mit 140 000 Eisenringen auszukleiden, welche die Stelle der Ausmauerung vertreten und zugleich das Eindringen des Grundwassers verhüten, zahlreiche Haltestellen neben den zugehörigen Aufzügen, sowie das Elektrizitätswerk anzulegen, welches den zur Fortbewegung der Züge erforderlichen Strom liefert, endlich die hydraulischen Maschinen zu den Aufzügen aufzustellen. Einen Begriff von dem Umfang der Arbeit erhält man, wenn man hört, dass 30 000 t Eisenplatten in die Erde versenkt wurden, deren Verbindung 1½ Millionen Nietungen beanspruchte.

LokomotiveAbb. 1. Durchschnitt durch eine Lokomotive zur Veranschaulichung der Anordnung der Elektromotoren.
Elektromotor-LokomotiveAbb. 2. Elektromotor-Lokomotive.
PersonenwagenAbb. 3. Inneres der Personenwagen.

Die Reisenden, welche die Bahn zu benutzen wünschen, bedienen sich entweder der Stationstreppen oder der eben erwähnten Wasserdruckaufzüge, welche 100 Menschen, d. h. die volle Ladung eines Zuges, mit einem Male zu befördern vermögen. Ein solcher Zug besteht aus drei Wagen und einer besonderen elektrischen Lokomotive, deren Äußeres Abb. 2 veranschaulicht. Die Stockwell-Bahn weicht also hierin von den oberirdischen elektrischen Bahnen ab, bei denen die Elektromotoren mit den Personenwagen selbst verbunden sind. Dieser selbstständige Elektromotor-Wagen wiegt zehn Tonnen und hat zwei Achsen (Abb. 1), auf welchen die Elektromotoren direkt sitzen, so dass eine Übertragung, wie sie bei den Straßenbahnen erforderlich, hier wegfällt. Die Geschwindigkeit dieser Motoren beträgt 190 U/min, wenn der Zug 24 km/h laufen soll. Sie weisen 100 PS auf und ermöglichen eine Schnelligkeit von 40 km/h. Den vom Elektrizitätswerk kommenden Strom empfangen sie aus einer Mittelschiene. Den Rückstrom befördern die Laufschienen. Das eben erwähnte Werk enthält Dampfmaschinen von 275 PS und drei Dynamomaschinen. Der Strom reicht sogar zu einen Zwei-Minuten-Betrieb der Bahn aus.

Dieser Betrieb ist insofern sehr sicher, als die Anlage zweier Tunnel Zusammenstöße unmöglich macht, als eine Entgleisung das Umfallen der Wagen nicht zur Folge haben könnte, da die Wagen den Querschnitt des Tunnels fast ganz ausfüllen, und als die Blocksignalbeamten den Strom absperren können, wodurch der Zug von selbst zum Stillstand kommt. Wagen und Lokomotiven sind überdies mit Westinghouse-Bremsen versehen.

Stockwell-StationAbb. 4. Stockwell-Station.
Kennington-BahnhofAbb. 5. Kennington-Bahnhof.

Die Unternehmer der Bahn legten von vornherein großes Gewicht darauf, dass die Züge zugleich als Saug- und Druckpumpen wirken und damit eine gute Lüftung des Tunnels herbeiführen sollten. Demgemäß sind die Wagen, deren Inneres Abb. 3 veranschaulicht, möglichst dem Querschnitt der Tunnels angepasst. Da sie stets unterirdisch verkehren und elektrisch erleuchtet sind, fallen die eigentlichen Fenster fort; ersetzt sind sie durch schmale Schiebefenster, die wohl Lüftungszwecken dienen. Die einzelnen Wagen sind durch vergitterte Plattformen miteinander verbunden. Wir geben in unseren Abb. 4 u.5 auch eine Ansicht des unterirdischen Bahnhofs zu Stockwell, wo vorläufig die Bahn endet, sowie eine solche des Bahngebäudes der Station Kennington zur ebenen Erde.

Die große Bedeutung der Bahn liegt einmal in der oben gekennzeichneten Bauart, noch mehr aber in dem dadurch gelieferten Beweis, dass die Elektrizität auch dem stärksten Stadtbahnverkehr gewachsen ist.

• Auf epilog.de am 1. Februar 2024 veröffentlicht

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