Forschung & Technik – Elektrotechnik
Weihnachtsmarkt und Elektrizität
BEW-Mitteilungen • Dezember 1910
Vor kaum vier Stunden hatte der Express meinen alten Studienfreund nach Berlin gebracht. Er kam aus dem Süden; mit dem Gewicht eines Mannes, der Kreisarzt, Familienvorstand und im Nebenberuf Landwirt ist, in Miene und Haltung den festen Vorsatz, sich von nicht überraschen zu lassen. Im Laufe des Abends erwähnte er, dass er seit etwa zwei Monaten elektrisches Licht im Haus habe. Die Sache interessierte mich, und als wir später in die raue Novembernacht hinaus traten, fragte ich meinen Freund: »Wer liefert Dir die Elektrizität nach Deinem etwas abgelegenen Wohnhaus?«
»Ein Wasserkraft-Elektrizitätswerk, das etwa 1000 Kilowatt abgibt.«
»Das Werk liegt doch in guten Händen?«
»Ist Eigentum einer großen Gesellschaft, die in ganz Deutschland Überlandzentralen betreibt, für genügende Dampfreserven ist gesorgt.«
»Unbedingte Betriebssicherheit ist allerdings eine große Hauptsache.«
»Abgesehen von den elektrischen Bädern, die ich in meinem Sanatorium anordne, war es hauptsächlich die größere Bequemlichkeit, die mich dazu veranlasste, zum elektrischen Licht überzugehen.«
»Aber die Einrichtung der Anlage war wohl außerordentlich störend?«
»Kaum, es ging eigentlich merkwürdig rasch; außerdem war es in den Ferienmonaten. Um die zehn Zimmer, Flur, Keller und Küche, zwei Bodenkammern zu installieren, waren die Monteure noch nicht 14 Tage im Haus. Meine Frau, die eigentliche Mutter des Gedankens, war damals bei Verwandten. Du hättest ihre Freude sehen sollen über die neuen Kronen und die gemütlichen kleinen Stehlampen, die sie bei ihrer Rückkunft vorfand. Und ich muss allerdings sagen: Auch mir ist seither wohler, besonders der Kinder wegen; man hört so viel von allerlei unvorsichtigem Umgehen mit der offenen Flamme. Die Treppenbeleuchtung ist übrigens etwas sehr Angenehmes.«
Modell des elektrischen Haartrockners zur Erzeugung warmer Luft.
»Ich begreife wohl, dass Du die elektrische für die unbedenklichste aller Beleuchtungsarten hältst. Die Starkstromtechnik ist durch eine fünfundzwanzigjährige Erfahrung zu einem Material gelangt, mit dem es schlechterdings nicht mehr möglich ist, bedenkliche Anlagen zu liefern; das beweisen schon die niedrigen Prämien, die die Feuerversicherungen da fordern, wo elektrische Beleuchtung angewendet wird. Aber Du sprichst immer nur vom elektrischen Licht, als wenn dessen überlegene Eigenschaften nicht längst festständen, und als wenn nur das allein den Anschluss an ein Elektrizitätswerk rechtfertigte. Glaube mir nur, wenn wir Elektriker keine andere Aufgabe hätten, als nur Glühlampen zu installieren, so wären wir arme Tröpfe. Wir wollen mehr, können auch weit mehr als uns gemeinhin zugetraut wird und es ist eigentlich unbegreiflich, woran es liegt, dass selbst ein Publikum, das doch sonst einem vernünftigen Fortschritt zugewandt ist, nicht stärker von den Vorteilen Gebrauch macht, die sich durch eine konsequente und vielseitige Nutzanwendung der Elektrizität in Haus und Wirtschaft erzielen lassen.
Letzte Form eines elektrischen Zigarrenzünders mit Aschenbecher in Bronze. Ich behaupte nicht zu viel, wenn ich sage: Der elektrische Strom ist eine Hilfe im Haus, wie sie bereitwilliger, kräftiger und zuverlässiger nicht gefunden werden kann.«
Um mit Kleinigkeiten zu beginnen: Würde es z. B. Deine Behaglichkeit sehr beeinträchtigen, wenn auf Deinem Schreibtisch ein elektrischer Zigarrenanzünder stände, dessen Du Dich und jeder, der Streichhölzer für ein notwendiges Übel ansieht, nach Belieben bedienen könnte? Oder ziehst Du es vor, nach Zündhölzern zu suchen, die immer an einem anderen Platz liegen und deren glimmende Reste versehentlich in den Papierkorb wandern? Würde es Deinen Ehefrieden stören, wenn Du Deiner schönen Frau eines jener famosen elektrischen Bügeleisen zum Präsent machen würdest, das blitzsaubere, kleine Ding, mit dem sie sich vor dem Theater noch schnell die Spitzen glätten könnte, ohne sich durch Spiritus, Kohle oder dergleichen vorher die Stimmung zu verderben?
Elektrische Wärmeplatte (Rechaud), vernickelt, zum Warmhalten von Speisen etc. Liegt auf ihrem Toilettentisch eine elektrische Brennschere? Es gibt jetzt solche, die die Heizspirale direkt in den Schenkeln tragen und die man deshalb direkt an die Leitung anschließen kann. Oder der neue Haartrockner, ein höchst handlicher Apparat, der einen heißen, starken Luftstrom erzeugt? Habt Ihr noch keinen Versuch gemacht mit den hübschen Rechauds aus Nickel? Ihr brauchtet eine Omelette soufflé nicht kalt werden lassen. Den Tee, den Kaffee oder die Milch könntet Ihr auf dem Frühstückstisch selbst zubereiten, ohne immer jemand hochnotpeinlich für das Aufsetzen der Wärmemütze verantwortlich zu machen. Und könntest Du nicht einen Schnellwasserwärmer in Küche und Sprechzimmer gut brauchen?«
Elektrische Kaffeemaschine.
»Nun ja«, unterbrach mich mein Freund. »Wenn man das so hört, so könnte man fast zu der Ansicht kommen, dass es einen Elektrizitätsanschluss schlecht ausnutzen heißt, wenn man sich die Kraft, die man nun einmal im Haus hat, nicht zu hundert kleinen Dienstleistungen heranzöge. Es wird auf diese Weise zweifellos gelingen, die Elektrizität zu popularisieren, aber ob mit Zigarrenanzündern und Kaffeemaschinen die Dienstbotenfrage gelöst werden wird, scheint mir vorläufig zu optimistisch gedacht.«
»Nun, es wäre nicht die erste Frage, die wir gelöst hätten, aber die ist es auch im Grunde genommen nicht, die uns am Herzen liegt. Wir tun eben das Unsere an der Entwicklung der Technik und unsere Mühe ist nicht vergeblich, wenn wir einem Hausmeister eine Bohnermaschine liefern, die in der Hand einer einzigen Person die Arbeit von sechs kräftigen Leuten leistet. Was sparen nicht größere Haushaltungen durch Verwendung der elektrischen Vakuumentstäubung an Zeit und Personal – und damit an Geld? Genau so ist es mit dem elektrischen Antrieb von Waschmaschinen, der sich, wie man hört, sehr rentieren soll. Ich meine, das alles lässt doch den Schluss zu, dass es sich unter allen Umständen empfiehlt, auf dem einmal eingeschlagenen Weg fortzuschreiten und elektrische Kraft und Wärme möglichst auf alle Funktionen eines Haushalts zu übertragen. Auf eins noch möchte ich nicht versäumen, Dich aufmerksam zu machen: auf den Haushaltungsmotor.«
Die neue Ausstellung der AEG für Haushalt und Werkstatt in der Königgrätzer Straße.
»Was ist das, ein Haushaltungsmotor?«
»Mit diesem etwas schwerfälligen Namen wird ein kleiner Elektromotor von etwa 20 cm Höhe und Breite bezeichnet, der auf einem leichten, aber festen Gestell befestigt ist und sich ohne weiteres dorthin tragen oder auch fahren lässt, wo irgendeine kleine Haushaltungsmaschine in Bewegung gesetzt werden soll. Eine Bajonettkupplung verbindet den Motor mit der zu treibenden Vorrichtung. Das kann in unserem Falle eine Teigrührmaschine, ein Fleischwolf, ein Eierschläger, eine Brötchen-Reibemaschine, ein Kartoffelschäler oder auch eine Speiseeismaschine sein. Aber, alle Wetter, was halte ich Dir da einen langen Vortrag, anstatt Dich in die neue Ausstellung der AEG zu schicken, die in der Königgrätzer Straße 4, gar nicht weit von hier, eröffnet wurde. Du wirst dort alles finden, was mit der Verwendung der Elektrizität in Haus und Wirtschaft nur irgendwie in Zusammenhang steht. Weihnachten steht vor der Tür. Du hättest dort also die beste Gelegenheit, Dir einige Sachen auszusuchen, und als Geschenk nach Hause zu bringen.
Wir waren während unseres Gespräches ziemlich weit in den Tiergarten hineingeraten; eine herbeigerufene Elektro-Droschke nahm endlich meinen Begleiter auf. Wir verabschiedeten uns, und als sich der Wagen in Bewegung setzte, fragte ich meinen Freund, ob ich ihn morgen zum Besuche der AEG-Ausstellung abholen könnte. Bejahende Handbewegung: »Also bitte morgen in der AEG, Königgrätzer Straße*.«
*) die heutige Ebertstraße