Bau & ArchitekturTunnel

Tunnelprojekte im Tiergarten

Jahrhundertwerk wird jetzt zügig realisiert

Berliner Wirtschaft • November 1995

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Mit dem Bau der Tiergartentunnel ist ein Schlüsselprojekt der Stadtmitte begonnen worden. Nach dem Abschluss des Planstellungsverfahrens machte Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl eigenhändig den ersten Spatenstich. Der Tunnelbau ist notwendig, um die Verkehrsprobleme bis zur Jahrtausendwende im Zentrum Berlins bewältigen zu können. Im Laufe des Jahres 1998 müssen die Tunnel, die ganz oder teilweise in offener Bauweise errichtet werden, im Rohbau fertiggestellt sein, damit die Regierungsbauten wie z. B. das Bundeskanzleramt errichtet und pünktlich zum Umzug nach Berlin fertig werden.

Die jetzt begonnenen Tiergartentunnel sind ein wichtiges Element des Berliner Verkehrssystems und vervollkommnen das seit über 100 Jahren geplante und gebaute Bahnsystem der Stadt. Verwirklicht werden dabei zum Teil alte Pläne aus den 1920er Jahren. Der Nord-Süd-Tunnel für die Eisenbahn durch den Tiergarten ist aber nicht nur eine wichtige innerstädtische Verbindung bzw. Eisenbahntrasse für den Verkehr in der Region, sondern gleichzeitig einer der wichtigsten Teilabschnitte im transeuropäischen Eisenbahnnetz, in dessen Bereich am neuen Lehrter Bahnhof ein Umsteigen auf Züge im europäischen Ost-West-Verkehr schnell und reibungslos möglich werden wird. In diesem Zusammenhang äußerte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen die Hoffnung, dass im Jahre 2000 in einer ersten Ausbaustufe der Bahntunnel in Betrieb genommen werden kann als wichtiger Ausgangspunkt für das Verkehrsprojekt deutsche Einheit Nr. 8, der ICE-Verbindung von Berlin über Halle–Leipzig–Erfurt–Nürnberg bis nach München in vier Stunden.

Im Bereich des Tiergartens, insbesondere im Spreebogen, werden die Tunnel für die Fern-, Regional- und U-Bahn, später auch für die S-Bahn sowie für die Bundesstraße 96 gebündelt und effektiv vernetzt. Während für den Bahntunnel fast 4 Mrd. DM vorgesehen sind, stehen für den Straßentunnel lediglich 730 Mill. DM zur Verfügung. Durch die Bundesstraße 96 in Tunnellage werden, allerdings kreuzungsfrei, nicht mehr und nicht weniger Autos fahren können, als über die heutige Entlastungsstraße, die nach seiner Fertigstellung zurückgebaut werden soll. Damit wird der Tiergarten dann wieder vereinigt und die Innenstadt entlastet. Der Tunnel entlastet auch das Regierungsviertel vom Autoverkehr und schafft auch eine schnelle und reibungslose Nord-Süd-Verbindung.

Züge sollen durch die Mitte rollen

Neben dem 2,4 km langen Autotunnel mit zwei Fahrstreifen in jeder Richtung wird ein 2,7 km langer Fern- und Regionalbahntunnel errichtet. Er besteht aus teilweise vier Tunnelröhren, die im Schildvortrieb gebaut werden, und in offener Weise errichteten Abschnitten, die sogar sechsgleisig sind. Auch ein U-Bahn-Tunnel für die Linie 5 entsteht unter dem Tiergarten. Allerdings wird, nachdem der Bausenator die Aufträge für den Schildvortrieb zwischen Platz der Republik und Pariser Platz gestoppt hat, nur ein kleiner Abschnitt im Spreebogen und unterhalb der Spree errichtet, im Bereich der gemeinsamen Tunnelbauten für den Eisenbahn- und Straßenverkehr.

Verkehrsknotenpunkt Lehrter Bahnhof

Zu einem Verkehrsknotenpunkt zwischen der Ost-West-Stadtbahn und der neuen Nord-Süd-Fernbahnverbindung wird der Lehrter Bahnhof [seit 2002: Hauptbahnhof] ausgebaut. Als zentraler Fern- und Regionalbahnhof unter der Erde mit vier Bahnsteigen für den Fern- und Regionalverkehr ist er zugleich Umsteigebahnhof zur eventuell gebauten U-Bahn-Linie 5, Ost-West-Fernbahn und den S-Bahn-Linien auf der Stadtbahn. Rund um den Lehrter Bahnhof wird ein attraktives Bahnhofsviertel mit Hotels, Wohnungen und Büros entstehen. Die Spree wird im Bereich des Spreebogens unterquert, wozu eine gemeinsame Baugrube für Fernbahn, U-Bahn und die B 96 eingerichtet wird. Potsdamer PlatzGrafik: PVZBAm Potsdamer Platz werden künftig nicht nur Züge im bereits existierenden S-Bahnhof halten, sondern im neuen Regionalbahnhof auch Züge aus der näheren und weiteren Umgebung Berlins. Während der Bauzeit der unter der Spree liegenden Tunnelabschnitte wird die Spree für zwei Jahre bis Ende 1997 über ein neues, sich nördlich anschließendes Bett umgeleitet. Die Umleitung gewährleistet den ständigen Flusslauf und die ungehinderte Durchfahrt der Binnenschifffahrt für den Ausflugs- und Frachtverkehr. Nach Fertigstellung der Baugruben und Bauwerke im Spreebereich werden die Spree zurückverlegt und die Uferbereiche wiederhergestellt.

Am Potsdamer Platz schließlich entsteht ein unterirdischer Regionalbahnhof mit zwei Bahnsteigen und einem Fußgängerüberweg. Umsteigemöglichkeiten ergeben sich hier zur S 1, S 2 und U 2. Dabei sind weitere Umsteigemöglichkeiten zur später geplanten U 3 und Straßenbahn berücksichtigt. Eine unterirdische Passerelle bietet den Fußgängern sichere Wege zu allen Nahverkehren, Wohnungen, Büro-, Geschäfts- und Kultureinrichtungen im Bereich des Potsdamer Platzes. Im zentralen Bereich wird die viergleisige Fernbahn unterirdisch in Tunnellage geführt. Die bergmännisch aufgefahrene Strecke, d. h. die im Schildvortrieb errichtete Strecke beginnt südlich des Landwehrkanals und endet etwa in Höhe des Reichstags, unterbrochen von der 470 m langen Baustelle des Potsdamer Platzes. Die einzelnen kreisförmigen Tunnel liegen in 10 m bis 15 m Tiefe unter der Erdoberfläche. Dadurch soll der Baumbestand im Tiergarten geschützt werden und Leitungen müssen nicht verlegt werden.

Zum Gesamtprojekt der Verkehrsanlagen im zentralen Bereich gehört auch der Bahnhof Papestraße [seit 2006: Südkreuz] an der Kreuzung mit dem Südring der Bahn. Als erster innerstädtischer Bahnhof des Schienenverkehrs im Süden verbindet er den Fern- und Regionalverkehr mit dem im Innenring verkehrenden S-Bahnlinien und der Nord-Süd-S-Bahn. Die günstige Lage zur Stadtautobahn bietet zudem gute Anfahrmöglichkeiten für den Individualverkehr im südlichen Bereich Berlins.

• Thomas Ebelt

Weichenstellung für das 21. Jahrhundert

Mit dem Baubeginn des zentralen Nord-Süd-Tunnels werden die Weichen für einen zukunftsweisenden Bahnverkehr in Berlin gestellt. Die letzten Spuren der Kriegszerstörung, des Zerfalls und der Teilung des Berliner Eisenbahnnetzes werden nun getilgt. Aus unterbrochenen Schienenwegen, die jahrzehntelang im Dornröschenschlaf lagen, entsteht ein modernes Netz völlig neuer Qualität.

Die Industrie- und Handelskammer zu Berlin hat sich seit der Wiedervereinigung für die Verwirklichung des Nord-Süd-Tunnels eingesetzt. Sie stellt mit Genugtuung fest, dass die Entscheidung zu diesem Jahrhundertprojekt rasch fiel und die Planungsphase nicht zuletzt durch die von der IHK mit angeregte Planungsgesellschaft stark verkürzt werden konnte. Nur der neue Nord-Süd-Tunnel garantiert im Gegensatz zum Netz der Vorkriegszeit die schnelle Fahrt aller Züge in das Herz der Stadt. Heute noch notwendige Umwege über den Bahn-Außenring werden entfallen. Neben dem Lehrter Bahnhof [seit 2002: Hauptbahnhof] als zentralem Umsteigeknoten wird der Bahnhof Papestraße [seit 2006: Südkreuz] wegen seiner günstigen Verknüpfung mit S-und Regionalbahn und Stadtautobahn besondere Attraktivität gewinnen.

Das jetzt begonnene Tunnelprojekt kann jedoch erst dann die volle Wirkung entfalten, wenn bis zu seiner Fertigstellung auch die im Bau befindlichen Schnellfahrtstrecken zur Verfügung stehen. Nur so können die heute noch vorhandenen Defizite in der Erreichbarkeit Berlins, die sich nachteilig auf den Wirtschaftsstandort auswirken, überwunden werden. Es darf daher zu keiner Streckung oder gar Streichung von Investitionsmitteln kommen. Auch wird sich Berlin erst zu einer wirklichen Drehscheibe entwickeln, wenn nicht nur die Strecken nach Westen, Süden und Osten für den Schnellverkehr ausgebaut werden, sondern auch nach Rostock und Saßnitz/Mukran. Die Chancen des wachsenden Verkehrs mit Skandinavien können so genutzt werden.

Der neben dem Eisenbahntunnel verlaufende Tunnel für den Straßenverkehr ist aus Sicht der Wirtschaft als wichtiger Teil der Cityumfang sowie zur Entlastung des Regierungsviertels und des Tiergartens unverzichtbar. Im Interesse eines funktionierenden Wirtschaftsverkehrs im Stadtzentrum gibt es keine sinnvolle Alternative zu diesem Tunnel, betont die IHK.

• Stellungnahme der IHK Berlin vom 13. Oktober 1995

• Auf epilog.de am 1. Oktober 1997 veröffentlicht

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