Feuilleton – Reisen
Das Reisen und die Gasthäuser zur Zeit der Reformation
Die Abendschule • 16.7.1880
Das Reisen und alles, was damit zusammenhängt, ist heute auf einen Grad der Vollkommenheit gebracht, dass man füglich annehmen muss, ein weiterer Fortschritt sei nicht wohl denkbar.
Dabei genießt man die größte Bequemlichkeit – man hat Schlafwaggons und auf manchen Bahnen kann man während der Fahrt zu Mittag speisen, soupieren oder frühstücken, kann sich waschen, Toilette machen und sich rasieren lassen, denn es findet sich gewöhnlich einer der Diener im Zug, der das Bartscheren versteht. Auf Dampfschiffen, namentlich von längerer Fahrt, ist der Komfort noch größer und man lebt da wie in einem Hotel ersten Rangs. Und was diese selbst anbetrifft, so weiß jeder Reisende, dass sie an Eleganz und Bequemlichkeit hüben und drüben miteinander wetteifern.
Zur Zeit der Reformation war das in Deutschland ganz anders. Es ist ergötzlich, Berichte von Zeitgenossen über damalige Wirtshäuser und über die Beschwerlichkeiten zu lesen, womit Reisen zu jener Zeit verbunden waren. Die Wege waren im aller erbärmlichsten Zustand. Mit Ausnahme jener großen Straßenzüge, welche Italien durch Tirol und über den Gotthard mit Deutschland verbanden und auf welchen der Haupthandelsverkehr stattfand, gab es keine Straßen und selbst jene waren in so schlechtem Zustand, dass ein Kardinal, welcher zum Konzilium nach Basel reiste, von Mailand bis dorthin nicht weniger als 38 Tage brauchte und tagelang in Wirtshäusern liegenbleiben musste, weil die Wege durchgeregnet und grundlos waren.
Dabei war es gar nicht ratsam, allein oder in geringer Begleitung zu reisen. Denn die Unsicherheit war groß und es wimmelte bei der großen Verwilderung der unteren Stände von zahlreichem Raub- und Diebsgesindel.
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