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Motorcyles und Motorwagen für Handelsreisende

Allgemeine Automobil-Zeitung • 18.3.1900

Die Benutzung von Motorwagen zu Geschäftsreisen ist eine Frage von großem Interesse und weittragender Bedeutung. Es mag daher am Platz sein, das Urteil eines Sachverständigen zu vernehmen, der als einer der Ersten einen Motorwagen bei seinen täglichen Kommissionen verwendete.

Schon vor zwei Jahren machte ich den Chef der von mir vertretenen Firma auf die Vorteile eines für den täglichen Gebrauch bestimmten automobilen Vehikels aufmerksam. Der Motorwagen ist schon an und für sich eine gute Reklame; man kann mit ihm bisher fast unerreichbare Orte besuchen, man braucht nicht seine kostbare Zeit mit dem Warten auf den Abgang des Zuges vergeuden. Ein brauchbares Automobil bedeutet stets Ersparung an Zeit und Geld.

Trotz dieser bestechenden Schilderung hielt mein Chef die Zeit noch nicht für günstig und ließ die Sache fallen. Erst geraume Zeit später gelangte ich privat in den Besitz eines vorzüglichen Dion-Dreirades, das, wenn auch noch nicht das Ideal der Bequemlichkeit, doch durch Einfachheit, Schnelligkeit und Materialersparnis sich auszeichnete. Das meist geringe Gepäck konnte ich darauf leicht unterbringen.

Mit diesem Vehikel machte ich also meine täglichen Geschäftsfahrten, die sich in der Woche auf 800 bis 500 km ausdehnten. Die häufigen Notizen in Tagesblättern, der bedeutend erweiterte Kundenkreis und die Verminderung der Reisekosten verfehlten ihre Wirkung auf meine Firma nicht, und ich erhielt einen Zuschuss für die Instandhaltung meines Fahrzeugs. Hierdurch ermutigt kaufte ich einen größeren zweisitzigen Motorwagen, um bequem größere Gepäckstücke unterbringen zu können. Derselbe gewährte mir auch noch den Vorteil, dass ich meinen Kunden gelegentlich eine kurze Spazierfahrt vorschlug, wobei dann Manche meinen Geschäftsofferten ein willigeres Ohr liehen.

Das Motocycle ist bei halbwegs günstigem Wetter, wenn man nur wenig Warenproben mit sich zu führen hat, von unschätzbarem Wert und wird noch eine große Zukunft haben. Auch ein Quadricycle mit einem Frontsitz eignet sich vortrefflich zu besagten Zwecken. Der Unterschied in den Erhaltungskosten ist sehr gering.

Ich habe mit meinem Tricycle über 6000 km zurückgelegt und bin auch nicht fünf Minuten durch Betriebsstörungen aufgehalten worden. Die Lebensdauer eines Motocycles ist eigentlich unbegrenzt, da jeder Bestandteil ohne besondere Kosten erneuert werden kann und jeder Händler einen größeren Vorrat von Reservebestandteilen auf Lager haben muss.

Ein Motocycle wird, wenn es eine solide Marke ist, nicht mehr Betriebsstörungen ergeben als ein gewöhnliches von derselben Type, das durch Pedaltreten weiterbefördert wird.

Auf den Hauptlinien und direkten Strecken ist natürlich der Eisenbahn der Vorzug zu geben; wenn es aber gilt, das Land kreuz und quer zu durchfahren und von den Hauptverkehrsadern entfernt liegende Orte aufzusuchen, tritt das Automobil in seine Rechte.

Ohne Zweifel werden alle, die jetzt mit einem vierrädrigen Wagen fahren, ihre Aufmerksamkeit zuerst auf den Motorwagen lenken und dessen Vorzüge besser würdigen können, als jene, die außer Bahnfahrten keine Reise-Erfahrungen haben. Der Anschaffungspreis eines soliden Motorwagens, der nebst zwei oder drei Insassen noch einige Hundert Kilogramm Gepäck mitführen kann, ist jetzt noch das einzige Hindernis seiner weiteren Verwendung. Aber ich bin überzeugt, dass trotzdem die unleugbaren Vorzüge der Motorwagen das anfängliche Bedenken vor dem hohen Kostenpreis beschwichtigen werden. Der eingewurzelte Konservatismus der meisten Nationen hemmt wie ein Bleigewicht einen rascheren Entwicklungsgang der Automobil-Industrie. Zum Glück greift jetzt bereits eine klarere Vorstellung über das Motorwesen allenthalben um sich, und die folgenden Jahre werden rasch dass Versäumte nachholen.

• Auf epilog.de am 7. November 2017 veröffentlicht

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