Feuilleton – Land & Leute
Kalifornische Mammutbäume
Westermanns Monatshefte • Oktober 1857
180 Kilometer von der Stadt Sakramente entfernt liegt an der Quelle eines der Zuflüsse des Calaveras, in einer Höhe von 1300 m über dem Meer ein kleines Tal, dessen ganzer Umfang 65 Hektar beträgt. Hier sieht man 92 noch stehende Riesenbäume, die dem Augenschein nach Zedern sind und von den Botanikern der Familie Taxodium zugezählt werden. Sie wurden im Jahr 1850 von Jägern entdeckt, deren Beschreibung lange Zeit keinen Glauben fand. In der Tat ist die Washingtonia gigantia ein Baum, dessen Größenverhältnisse selbst für den amerikanischen Urwald jedes bekannte Maß überschreiten.
Folgt man der gewöhnlichen Straße, die zu dem merkwürdigen Tal führt, so gelangt man zuerst zu dem ›Großen Baume‹. Man hat ihn gefällt und auf dem 96 m langen Stamm ein Schenkzimmer sowie einen Gang mit Schlafgemächern zu beiden Seiten erbaut. Der stehen gebliebene Stumpf, auf der Oberfläche 23 m im Umfang, wird als Tanzsaal für 16 Paare und gelegentlich als Schaubühne benutzt. Ein Durchschnitt des Stamms und ein 16 m langes Stück Rinde figurierten in New York und Paris bei den dortigen Weltausstellungen. Als man den Baum fällte, musste man Stangenbohrer anwenden und die Zwischenräume durchsägen. Die gewaltige Masse stand so fest und so senkrecht auf ihrer Grundlage, dass das Umwerfen Maschinen und die fünfundzwanzigtägige Arbeit von fünf Männern erforderte.
Die übrigen Bäume stehen teils einzeln, teils in Gruppen. Von den größten hat jeder seinen besondern Namen erhalten. Junge Tannen, Zedern, Kornelkirschenbäume und Haselstauden bilden das Unterholz. Fast bei allen sieht man Spuren der Einwirkung von Feuer, mögen nun wirkliche Waldbrände stattgefunden, oder Indianer ihr Fleisch unmittelbar an den Stämmen gebraten haben. Auch diese Brandschäden haben riesenhafte Verhältnisse. Die ›Hütte des Goldgräbers‹, in einen Baum von 25 m Umfang eingebrannt, ist 5,5 m breit und mehr als 13 m hoch.
Die schönste Gruppe des Waldes bilden die drei Grazien, die aus einer Wurzel aufschießen, sich bis zu ihrer 92 m hohen Spitze symmetrisch verjüngend. Die ›Hütte des Pioniers‹ grünt trotz ihrer abgebrochenen Spitze fort. Ein einsam, wie verloren dastehender Baum mit einer Menge von Rissen in seiner Rinde hat den Namen des alten Junggesellen erhalten. Die Mutter des Waldes, eine prächtige Zeder von 104 m Höhe und 29 m Umfang, wurde von der Wurzel 38 m aufwärts ihrer Rinde entkleidet. Dies geschah 1854 und noch verrät der Baum durch kein Zeichen, dass die Abschälung, die im Urwald sonst immer tötend wirkt, seine Kraft vermindert habe. Ihr Gatte, der Vater des Waldes, neben dem man die schöne ›Familiengruppe‹ sieht, ist vom Menschen schärfer angegriffen und getötet worden. Er liegt gefällt im Staub und hat sich durch den Sturz gegen einen andern Baum, den er übrigens nicht erschlug, nicht einmal erheblich verletzte, die Krone abgebrochen. Der verstümmelte Torso misst noch 96 m und an der abgebrochenen Stelle oben 5,8 m Durchmesser. Lebend wird er 140 m emporgeragt haben. Im kräftigen Wuchs kann ihm der ›Herkules‹ zur Seite gestellt werden, wenn dessen Höhe von nur 104 m auch weit gegen die des Vaters zurückbleibt.
Der Eremit und die alte Jungfer sind, wie die Namen andeuten, alleinstehende Bäume, und die letztere entspricht mit ihren kleineren Formen, – bloß 83 m Höhe und 19 m Umfang – dem Begriff von Zartheit, den wir mit dem jungfräulichen Stand verbinden. ›Mann und Frau‹,·›Adele und Marie‹, ›Mutter und Sohn‹, der letztere ein hoffnungsvoller Jüngling, der, amerikanisch zu reden, 95 m lang in seinen Schuhen steht, sind zärtliche Gruppen. Die ›siamesischen Zwillinge‹, natürlich zwei zusammengewachsene Bäume, haben ihren ›Wärter‹ bei sich. Den angenehmsten Eindruck machen: der ›Stolz des Waldes‹, durch die Glätte seiner Rinde ausgezeichnet, und die ›Schöne des Waldes‹, die ihre Krone wie einen Federbusch trägt. Die ›beiden Wächter‹ sind vorgeschobene Posten, durch die der Weg mitten hindurchführt, so dass man beim Herannahen auf das großartige Schauspiel, das sich auf einem verhältnismäßig kleinen Raum entwickelt, vorbereitet wird.
Die Kalifornier halten ihre Mammutbäume für die höchsten der Erde. Das ist ein Irrtum, der australische Gummibaum (Eukalyptus globulus) bringt es im Wuchs eben so weit und weiter. Gummibäume von 27 m Umfang und 105 m Höhe gelten in ihrer Heimat noch nicht für Wunder der Pflanzenwelt. Auch die sehr ausgedehnten Höhlungen im Inneren der Mammutbäume stehen nicht einzig da. Wir verweisen auf den allbekannten Kastanienbaum am Ätna. Bei dem kalifornischen ›Reitweg‹, der gefällt am Boden liegt, zieht sich eine solche Höhlung, mit einer Breite, die an der engsten Stelle 4 m im Lichten beträgt, 24 m weit hin.
Als durchschnittliche Höhe der Mammutbäume kann man 95 m annehmen. Das ist eine sehr achtbare Turmhöhe, und sie wirkt um so eindruckvoller, als die Astbildung erst weit oben beginnt. Wie alt sind nun diese Riesen? Darüber enthalten wir uns jedes Urteils, da die Amerikaner allerdings Höhe und Umfang jedes Baums, aber nach bei keinem die Jahresringe gemessen haben.