VerkehrSchifffahrt

Fährboote einst und heute

Das Neue Universum • 1900

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.
Fähre aus dem Jahr 1834Abb. 1. Fähre aus dem Jahr 1834.

Als es keine Eisenbahnen gab und der Brückenbau noch in seinen Anfängen stand, spielten die Fähren als einzige Möglichkeit, die zahlreichen Flüsse eines Landes zu überschreiten, unzweifelhaft eine größere Rolle als heute. Die ohnehin langsame Beförderung auf den Landstraßen und in den Postkutschen des Mittelalters bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts war von der Gangbarkeit der Fähren in so hohem Grad abhängig, dass die Ankunft der fahrenden und reitenden Post in den großen Städten sich um Tage, ja um Wochen verspäten konnte, wenn die Flüsse und Ströme geschwollen waren, und der Fährmann sich weigerte, Ross und Wagen ans andere Ufer zu bringen. Wenn man aber andrerseits die ungeheure Zunahme des Verkehrs in den letzten Jahrhunderten bedenkt und sich erinnert, dass es auch jetzt noch viele Fälle gibt, in denen der Bau von Brücken ausgeschlossen und der Verkehr nach wie vor auf Fähren angewiesen ist, so wird es nicht wundernehmen, wenn wir sagen, dass auch jetzt noch der Betrieb von Fähren für viele Orte und Gegenden von ungeheurer Wichtigkeit ist und sogar heute, bei den weit schwereren Folgen einer Verkehrsunterbrechung, mit viel größerer Sorgfalt und Sicherheit als früher geschehen muss.

Ältere SegelfähreAbb. 2. Ältere Segelfähre.

Technisch betrachtet war der Betrieb der Fähren bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts so einfach wie nur denkbar. In den meisten Fällen das Ruder, vereinzelt das Segel waren die Antriebsmittel der, wie unsere Abbildungen zeigen, zuweilen recht großen und schweren Fahrzeuge. In Abb. 1 sehen wir bereits ein Mittel in Anwendung, das heute bei Hunderten von Stromfähren benutzt wird. Ein Hanfseil oder eine Kette reicht, auf dem Grunde des Flusses liegend, von Ufer zu Ufer, läuft auf der Fähre über einige Rollen und durch den Zug der Hand an diesem Seil bewegt sich das Fährboot. Nach der Erfindung des Dampfschiffes und der Schiffsschraube wurden in zahlreichen Fällen, besonders wo der regelmäßige Verkehr großer Häfen verschiedene, sich kreuzende Bahnen einschlägt, Dampffähren in Betrieb gesetzt, deren Zahl und Größe sich nach der Bedeutung des Verkehrs richtet, dem sie dienen sollen. So sind im Hafen von Bergen in Norwegen für den Personenverkehr kleine schnelle Boote in Benutzung, die neuerdings sogar durch Elektrizität bewegt werden.

Im Hafen von Glasgow am Clydestrom sind große Dampffähren für den Wagenverkehr, kleinere von 15 m Länge für den Personenverkehr im Gebrauch, welche jährlich einen Verkehr von mindestens 9 Millionen Menschen vermitteln. Um keine Zeit mit dem Umwenden zu verlieren, besitzen dieselben an jedem Ende ein Steuer und eine Schraube und außerdem vorne und hinten einen starken eisernen Bug zum Zertrümmern des Eises. Personenfähre in GlasgowAbb. 3. Personenfähre im Hafen von Glasgow. Auf dem englischen Merseystrom, zwischen Liverpool und Birkenhead, wo ebenfalls ein jährlicher Personenverkehr von 10 Millionen zu bewältigen ist, sind die älteren, 40 m langen Fährboote neuerdings durch einige von 46 m Länge und fast 10 m Breite ergänzt, denen durch große Schrauben von über 2 m Durchmesser eine mittlere Geschwindigkeit von 24 km/h erteilt wird. Dass übrigens die Schiffsschraube das weit ältere System der Seilfähre nicht ausgerottet hat, beweist das kolossale in Abb. 4 dargestellte Dampftrajekt im Hafenbezirk von Southampton, welches seinen Antrieb durch zwei Drahtseile erhält, die auf beiden Seiten durch das Schiff gehen und wie bei den Kettendampfern über eine große von Dampf gedrehte Trommel laufen.

Eine Örtlichkeit, die den Betrieb von großen Fähren bis zur höchsten Entwickelung begünstigen musste, ist der ungeheure Hafenbezirk von New York, diese wundervolle Bucht, die nicht allein von New York selbst, sondern auch von seinen Schwesterstädten Hoboken, Brooklyn und zahlreichen kleineren Villenvororten und Landstädtchen umkränzt wird. Hier, wo ein täglicher Verkehr von Millionen hin und her wogt, während an Brücken für die unteren Stadtteile von New York bisher nur eine einzige, die berühmte Brooklyn Bridge über den East River, vorhanden war, haben die Dampffähren einen ungeheuren Verkehr zu bewältigen und sind dementsprechend eingerichtet. Ihre Länge wetteifert mit derjenigen großer Seedampfer bei weit größerer Breite. Ihre Konstruktion ist fast ganz aus Holz und baut sich drei bis vier Stockwerke hoch über dem Wasser auf. Sie enthalten unten eine große Durchgangshalle für Pferde und Wagen, oben mehrere kolossale Salons und vermögen bisweilen bis zu 1000 Menschen zu fassen. Drahtseilfähre bei SouthamptonAbb. 4. Große Drahtseilfähre bei Southampton mit Dampfbetrieb. Mit ihrem blendend weißen Anstrich und den gewaltigen halbrunden Radkasten an beiden Flanken gleiten sie wie riesige Schwäne pfeilschnell über das Wasser hin und verleihen, da man fast stets mehrere von ihnen gleichzeitig sieht, dem Hafen von New York einen eigentümlichen lebensvollen Anstrich. Ihr Antrieb erfolgt durch mächtige Schaufelräder, die durch eine Balanciermaschine von altertümlichem Aussehen, aber für diesen Zweck außerordentlich praktischer Konstruktion in Bewegung gesetzt werden. Der blitzblank polierte oder grellfarbig angestrichene Balancier dieser Dampfmaschinen befindet sich noch über den höchsten Schiffsräumen, 15 – 20 m über dem Wasser, und vermehrt durch seine gewaltige, gravitätisch hin und her wiegende Masse den fremdartigen Eindruck dieser Fahrzeuge. Ihre Geschwindigkeit ist übrigens so groß, dass die Führer dieser prächtigen Fähren nicht selten zum Vergnügen ihrer Passagiere eine kleine Wettfahrt mit einem der zahlreichen aus- und einlaufenden Schnelldampfer des Ozeanverkehrs unternehmen und dabei ganz gut bestehen.

Wir haben zum Schluss noch einer besonderen Klasse von Dampffähren zu gedenken, die erst in der neueren Zeit durch den Eisenbahnverkehr großgezogen sind, und deren Aufgabe es ist, ganze Eisenbahnzüge zu transportieren. Die Notwendigkeit dazu tritt ziemlich häufig ein, wenn eine Eisenbahnlinie durch einen breiten Strom, einen See oder Meeresarm unterbrochen wird, über den man wegen seiner Breite oder wegen des Schiffsverkehrs keine Brücke schlagen kann. RiesenfähreAbb. 5. Amerikanische Riesenfähre für die Beförderung von Eisenbahnzügen. Auf diese Weise ist das Eisenbahnnetz der Insel Rügen mit dem Festland, dasjenige der dänischen Inseln unter sich und mit dem jütischen verknüpft. In England und den Vereinigten Staaten werden die Züge vieler wichtiger Eisenbahnlinien durch kolossale Fährboote über Ströme und Meeresarme befördert. Russland beschafft eben jetzt mehrere Dampffähren von großen Dimensionen, mit deren Hilfe die sibirische Eisenbahn den gewaltigen Baikalsee überschreiten soll, und die Flotte der dänischen Eisenbahnfähren ist neuerdings um einige riesige Schiffe vermehrt worden, welche auf mehreren Gleisen nebeneinander große Züge befördern können. Am weitesten ausgebildet ist aber das System der Eisenbahnfähren in den Vereinigten Staaten. Fast alle großen Ströme werden hie und da von diesen gewaltigen, ganze Züge auf ihrem Rücken tragenden Schiffen überschritten, und besonders das Gebiet der großen Seen mit seinen zahlreichen breiten Wasserarmen ist in dieser Hinsicht ausgezeichnet. Der breite, langsam fließende Detroit zwischen dem Huron- und Eriesee wird von mehreren Eisenbahnfähren überschritten, die Central Pacific Railroad besitzt Eisenbahnfähren, die 48 Güterwagen oder 24 große Personenwagen aufnehmen können. Die Toledo and Michigan-Linie besitzt auf dem Michigansee Eisenbahnfähren, die eine Strecke von 109 km zurücklegen und sich im Winter durch eine Eisdecke von 40 cm arbeiten. Ebenfalls auf dem Michigansee verrichtet der neue, in Abb. 5 wiedergegebene Fährdampfer Père Marquette seinen Dienst. Äußerlich einem kolossalen Ozeandampfer ähnlich, enthält das Schiff bei 107 m Länge und 17 m Breite 4 Gleise, auf denen 16 große amerikanische Durchgangswagen oder doppelt so viel Güterwagen Platz finden. Dieselben stehen jedoch nicht wie bei den übrigen Eisenbahnfähren oben auf Deck, sondern im Schiffsraum und vollständig überdacht, wodurch die Betriebssicherheit bei schwerem Seegang bedeutend gewinnt. Das Schiff befördert die Züge auf der 96 km langen Strecke zwischen Ludington und Manitoba.

• Auf epilog.de am 11. Juni 2023 veröffentlicht

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