Feuilleton – Reisen
Eine abenteuerliche Seilbahnfahrt
Reise-Tagebuch • 31. Mai 1962
Am Nachmittag wollen wir mit der Seilbahn auf die Bergeralm. Zu Fuß gehen wir zur Seilbahnstation. Sie befindet sich zwischen dem zweiten und dritten Tunnel an der Straße nach Prägraten und um dort hinzugelangen, müssen wir durch die beiden ersten Tunnel laufen, was nicht ungefährlich ist. Sie sind unübersichtlich, befinden sich in Kurven und drinnen ist es ziemlich dunkel. Die Tunnel sind innen naturbelassen und von der Decke regnen dicke Wassertropfen. An der Seilbahnstation wartet schon jemand. Eine richtige Station ist es nicht. Das Seil ist so angebracht, dass die Gondel dicht über den Boden schwebend, neben der Straße halten kann. Die Bahn fährt nur bei Bedarf. Sie überquert die Iselschlucht und soll es den Bewohnern von Berg und Welzelach ermöglichen, die Bushaltestelle auf der gegenüber liegenden Talseite zu erreichen. Auf beiden Talseiten liegen die Stationen etwa auf gleicher Höhe. Nach kurzer Zeit kommt die kleine Gondel angeschwebt. Sie ist aus Holz gezimmert und rot angestrichen. Wir steigen ein, aber die Tür lässt sich nicht Schließen, sie klemmt. Wir setzen uns auf eine der beiden Bänke, die an den Schmalseiten angebracht sind. Uschi haben wir zwischen uns und halten sie fest. In etwa 150 Meter Höhe schweben wir über die Isel zur anderen Talseite. Dort erwartet uns eine Frau, sie ist für den Betrieb der Bahn zuständig. 3 ÖS kostet die Fahrt. Wir zahlen 20 ÖS, denn wir haben die Absicht, noch mit einer anderen Seilbahn zur Bergeralm hinauf zu fahren.
Foto: Bernhard Hoppe/epilog.deMaterialseilbahn an der Endstation Bergeralm.Wenn die Fahrt über die Iselschlucht schon außergewöhnlich war, wird das, was nun folgt, abenteuerlich. Wir werden in die Holzkiste einer Materialseilbahn verfrachtet. Die Kiste ist ca. 2,00 m lang und ca. 1,20 m breit. An den Schmalseiten sind Bretter angebracht, auf denen man sitzen kann. Wenn wir sitzen, reichen die Seitenteile bis in Brusthöhe. Die Kiste hängt an zwei Doppelrollen ohne jede Sicherung. Das Tragseil hat eine Länge von etwa 1½ km, der Höhenunterschied zwischen Tal- und Bergstation beträgt rund 600 m. Als sich die Kiste in Bewegung setzt, sehe ich ein Schild mit der Aufschrift: »Personenbeförderung verboten«. Langsam schweben wir in die Höhe. Bedingt durch das durchhängende Seil, ist am Anfang die Steigung mäßig, später wird es steiler. Wegen der fehlenden Sicherung an den Rollen sind wir bemüht, möglichst stillzusitzen. Wir wollen vermeiden, dass die Kiste in seitliche Schwingungen gerät. Als wir leise über die Wipfel der Bäume dahin gleiten, gibt es plötzlich zweimal hintereinander ein Ruck. Es ist, als wollten die Rollen vom Seil springen und wir bekommen einen gehörigen Schreck. Eine Hülse um das Seil ist die Ursache. Wahrscheinlich besteht das Seil aus zwei Teilen und ist an dieser Stelle zusammengesetzt. Als wir die Stütze unmittelbar vor der Bergstation erreichen, ist die Talstation nur als kleiner Punkt zu erkennen. Wir sind auf gut 1800 m Höhe. Gleich darauf ist die Fahrt zu Ende. Neben einem hölzernen Tisch, ähnlich einem Bahnsteig, kommt die Kiste zum Stehen. Ich steige aus, um Ingrid und Uschi in der Kiste zu fotografieren. Kaum sind sie ausgestiegen, setzt sie sich in Bewegung und verschwindet nach unten ins Tal. Wir laufen an der Almhütte vorbei zu einem kleinen Bergrücken, setzen uns ins Gras und genießen die herrliche Aussicht. Die Hälfte aller Gipfel ist über 3000 m hoch. Das vordere und das hintere Virgental sind in ihrer ganzen Schönheit zu sehen.
Nach zwei Stunden, gegen 16:15 Uhr, steigen wir ab. Jetzt zu Fuß. Die Schwebekiste ist uns nicht ganz geheuer. Bevor wir die Alm verlassen, pflückt Ingrid noch ein paar Blumen. Die Wiesen sind voll davon. Ganz bunt sehen sie aus. Der Abstieg ist sehr steil, wir hätten doch mit der Kiste fahren sollen. Vom Berg fahren wir mit der roten Gondel zur anderen Talseite. Es war ein schöner, ereignisreicher Ausflug mit viel Sonne und angenehm warm.
Beim Abendbrot erzählt uns Frau Steiner, dass von der Seilbahn zur Berger-Alm, schon mal das Zugseil gebrochen ist. Die Kiste ist runter gesaust und wurde völlig zertrümmert. Sie selbst hat erlebt, als sie gemeinsam mit anderen Leuten nach oben fuhr, dass plötzlich die Kiste stehenblieb. Die Keilriemen vom Antrieb waren gerissen. Das alles erzählt sie erst, nach dem wir die Fahrt gut überstanden haben, dabei hatte sie uns zu dieser Fahrt überredet.
• Bernhard Hoppe