VerkehrEisenbahn

Die Versuchsbahn bei Oranienburg

Elektrische Kraftbetrieb und Bahnen • 14.12.1906

Im Kgl. Forst Neuholland bei Oranienburg ist seitens der preußischen Staatseisenbahnverwaltung eine Versuchsbahn hergerichtet worden, die in der Hauptsache bezweckt, Gleisbettungsmaterial, Stoßanordnungen, Schienenquerschnitte sowie Schwellenformen in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht zu prüfen und brauchbare Ergebnisse in kürzerer Zeit, als solche im Betrieb auf freier Strecke erhältlich sind, zu erlangen; auch soll die Anlage Gelegenheit bieten, Neukonstruktionen von Motoren, Zugsteuerungen und Streckenausrüstungen daraufhin zu untersuchen, ob sie allen Ansprüchen, die der Vollbahnbetrieb stellt, genügen werden.

Versuchsbahn bei OranienburgVersuchsgleis der Versuchsbahn bei Oranienburg.

Die Versuchsbahn, mitten im Wald gelegen und eingezäunt, ist mit dem Staatsbahnhof Oranienburg durch ein 2,5 km langes, von der Strecke Oranienburg – Neustrelitz abzweigendes Anschlussgleis verbunden. Sie besteht im Wesentlichen aus drei Teilen: dem Versuchsgleis, dem Schalt- und Messhäuschen und dem Verwaltungsgebäude, deren Lage zueinander die Abbildung ergibt.

Das Versuchsgleis ist mit geraden und gekrümmten Strecken versehen. Zwei in 400 m Entfernung parallel verlaufende gerade Gleise von 250 m Länge sind an ihren Enden durch Gleise, nach einem Halbmesser von 200 m gekrümmt, verbunden, wodurch eine geschlossene Gleisanlage von 1756 m Länge gebildet wird. Diese ist, abgesehen von den Überhöhungen der äußeren Schiene in den Krümmungen, nahezu wagerecht angeordnet. Diese Überhöhung beträgt in derzeitiger Ausführung 125 mm, so dass das Gleis mit einer größten Geschwindigkeit von 50 km/h befahren werden darf. Der für die Rundfahrten vorgesehene, zur Gleisbelastung dienende Zug wird zunächst aus zwei Triebwagen bestehen; später dürfte sein Gewicht durch Anhängewagen erhöht werden.

Als Triebwagen werden bei Inbetriebnahme der Versuchsbahn die beiden bisher auf der Vorortstrecke Niederschöneweide – Johannisthal – Spindlersfeld benutzten sechsachsigen Motorwagen Verwendung finden. Jeder von ihnen wiegt rd. 52 t, hat zwei dreiachsige Drehgestelle und ist mit zwei nach dem System der Union-Elektrizitäts-Gesellschaft gebauten Wechselstrom-Bahnmotoren, die, an einem Drehgestell befestigt, die Achsen mittels Zahnrädern antreiben, ausgerüstet. Die Übersetzung der Zahnräder beträgt 1 : 4,26, der Raddurchmesser, im Laufkreis gemessen, 1 m. Die Motoren haben je eine Maximalleistung von 125 PS, eine Stundenleistung von 110 PS und eine Dauerleistung von 45 PS. Jedem Wagen wird der Arbeitsstrom mit 6000 Volt und dem Puls 25 unmittelbar durch Stromabnehmer in Bügelform mit Druckluftbetätigung aus der Fahrleitung zugeführt. Diese wird ebenso wie auf genannter Vorortstrecke als Oberleitung ausgeführt und an stählernen Tragedrähten, die bei einfachen Masten an Auslegern, bei Doppelmasten an Querträgern befestigt sind, aufgehängt. Die Stromrückleitung wird durch die Fahrschiene des Versuchsgleises vermittelt.

Die elektrische Arbeit liefert auf oberirdisch verlegter Hin- und Rückleitung bis zu einer stündlichen Höchstleistung von 400 KW, gemessen durch Zähler im Schalt- und Messhäuschen der Versuchsbahn das rund 3,5 km entfernte Elektrizitäts- und Wasserwerk Oranienburg. Bei Ausrüstung dieses Häuschens mit Apparaten war dem Umstand Rechnung zu tragen, dass für die regelmäßigen Fahrten die Schalteinrichtungen der Wagen im Allgemeinen nicht bedient, sondern die Bewegung des Zuges durch Fernschaltung eingeleitet und geregelt werden soll. Zu diesem Zweck befinden sich in dem Häuschen, das massiv ausgeführt ist und nur einen Raum mit einer Längen- und Breitenausdehnung von 4,2 × 3,5 m besitzt, ein Flüssigkeitsanlasser für 100 Ampere und 6000 Volt, ein mit diesem parallel geschalteter, handbetätigter Ölausschalter, der bei eingeschaltetem Anlasser geschlossen wird, ein Maximal-Ölausschalter für gleiche Spannung und Stromstärke wie der Anlasser mit magnetischer, durch Gleichstrom betätigter Auslösevorrichtung, die bei 180 Ampere bzw. Nullspannung in der Stromleitung in Funktion tritt und ein handbetätigter Haupt-Ölausschalter zum Ausschalten des Stroms bei Arbeiten an den elektrischen Einrichtungen der Versuchsbahn; an Messapparaten sind in demselben Raum ein Spannungszeiger, ein Stromzeiger, ein Wattstunden-Haupt- und Kontrollzähler mit den erforderlichen Spannungs- und Stromtransformatoren aufgestellt. Der zur Betätigung der Auslösevorrichtung des Maximal-Ölausschalters benötigte Gleichstrom von 140 Volt und 6 Ampere wird gleichfalls von dem vorgenannten Kraftwerk geliefert.

Für die Zählung der vollführten Rundfahrten ist ein vom Zug betätigtes Zählwerk vorgesehen.

Damit im Fall einer Betriebsstörung oder anderer Vorkommnisse eine schnellste Verständigung zwischen Versuchsbahn und Kraftwerk möglich ist, werden beide Anlagen telefonisch miteinander verbunden.

Neben dem Schalt- und Messhäuschen ist in Holzfachwerk mit einer Längen- und Breitenausdehnung von rd. 18 × 6 m ein Verwaltungsgebäude, enthaltend Räume für Bürozwecke, zum Aufenthalt für Arbeiter sowie zur Lagerung von Materialien aufgeführt.

• Regierungs- und Baurat Meyer

• Auf epilog.de am 16. Juli 2023 veröffentlicht

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