Berlin

Der neue Berliner Müllschmelzofen

Die Gartenlaube • 1899

Die Beseitigung der ungeheuren Kehrichtmassen, welche der tägliche Haushalt einer Großstadt erzeugt, ist geeignet, der Stadtverwaltung schwere Sorgen zu bereiten. Berlin leidet unter dieser Kalamität ganz besonders, da es täglich nicht weniger als 20 000 Zentner Müll produziert. Es ist sehr schwierig, diese ungeheure Menge des Haus- und Straßenkehrichts auf hygienisch unschädliche Weise und ohne allzu große Kosten verschwinden u lassen.

Bis ins Jahr 1894 hat Berlin, wie tausend andere Städte, seinen Kehricht an entlegenen Stellen vor den Toren aufgehäuft, bis man erkannte, eine wie ernste Gefahr für die Gesundheit diese Abladestellen wären. Man kaufte nun an der Oberspree in menschenleerer Gegend ein großes Terrain, und eine ganze Kahnflotte hatte monatelang zu tun, die mittlerweile vor dem Stralauer Tor angehäuften Müllberge dorthin zu schaffen. Aber auch diese Schiffsabfuhr ist nichts als eine Verlegenheitsausflucht und zudem nichts weniger als billig.

In England aber hatte man bereits mit der Verbrennung des Kehrichts in passend konstruierten Öfen unter starkem Zuge begonnen. Man erzielte dabei nicht nur die Beseitigung der schädlichen organischen Bestandteile unter Produktion eines unschädlichen Asche- und Schlackenrückstands, sondern erhielt noch einen Überschuss an Hitze, der sich zur Kesselheizung und zur Erzeugung von Dampfkraft und Elektrizität verwenden ließ. Die Frage schien gelöst, und man versuchte, diese Müll-Schmelzöfen auch in Deutschland einzuführen. In Hamburg glückte dies Experiment.

Müllschmelzofen

Anders in Berlin. Der erste im Jahr 1895 probeweise auf dem alten Stralauer Wasserwerk im Anschluss an einen vorhandenen hohen Schornstein gebaute Kehricht-Verbrennungsofen bedeutete ein vollständiges Fiasko. Londoner und Berliner Müll erwiesen sich eben als zwei ganz verschiedene Dinge. Jener brennt leicht und fast ohne Zusätze, da er eine Menge unverbrannter Kohleteilchen besitzt; dieser wird durch seinen Gehalt an Brikettasche – ganz Berlin feuert in den Stubenöfen fast nur Briketts – nahezu unverbrennlich gemacht.

Inzwischen hatte die Gesellschaft ›Müllschmelze‹, Inhaberin eines Patents Wegener, Versuche mit einem nach diesem Patent aus der Gitschiner Straße erbauten Ofen angestellt und völlig befriedigende Resultate erzielt. Das, wie unsere Abbildung zeigt, in einer Retorte dem Ofen staubfrei zugeführte Müll wird hier durch eine Wärme von 800° vorgetrocknet und in seinen brennbaren Bestandteilen vergast und gelangt nun unter Zuführung von Kohlenstaub bei 1800 – 2000° in dem großen Schachtofen zum Schmelzen. Der Rückstand, die unverbrennbare, geschmolzene Schlacke, etwa 10% der Einschüttung, fällt weißglühend in ein zu ebener Erde angebrachtes großes Wasserbecken. Die schematische Darstellung in der linken unteren Ecke unserer Abbildung gewährt dem Leser ein Bild der Konstruktion dieses Ofens.

Der Betrieb des Ofens ist am 8. März 1899 eröffnet, und der Ofen arbeitet bis jetzt geruch-, rauch- und staublos, völlig tadelfrei. Augenblicklich werden bei Tag- und Nachtbetrieb 1000 Zentner Müll täglich geschmolzen. Die überschüssige Wärme, die am Eingang zum Fuchs, d. h. zum Kanal, der die Feuergase aus dem Feuerraum zum Schornstein leitet, noch 1250° beträgt, ist leicht auszunutzen und würde bei Schmelzung des Berliner Gesamtmülls eine sehr erhebliche Anzahl von Pferdekräften ergeben. Die Schlacke hat man versucht zu zerstampfen und als Schmirgelmaterial zu verwenden. Sie soll nach den bisherigen Versuchen den Härtegrad des Feuersteins besitzen und würde in dem Fall z. B. Glas- und Schmirgelpapier völlig ersetzen können. Sie hat sich ferner vollständig säurefest erwiesen und müsste, allmählich abgekühlt zur Herstellung feuer- und wetterbeständiger Steine, Glasflüsse usw. sehr geeignet sein. Ferner lässt sich dieser Rückstand zur Aufschüttung von Wegen, Eisenbahndämmen und als Ersatz von Kies bei Betonpflasterungen verwenden. Dem Asphalt zugesetzt, soll er diesem die Glätte nehmen.

• W. Berdrow

• Auf epilog.de am 28. August 2022 veröffentlicht

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