VerkehrSchifffahrt

Das erste Dampfschiff

Die Gartenlaube • 1857

Nach der gewöhnlichen Annahme wurde das erste Dampfschiff 1809 in Schottland gebaut und wirklich damit gefahren, aber von der englischen Presse und dem gebildeten Publikum niedergespottet, so dass es verfaulte. Als es schon beinahe verfault war, kam ein Amerikaner herüber, studierte es und lies in New York ein anderes bauen, auf welchem er 1811 unter allgemeinem Hohne zum ersten Male fuhr, aber mit Erfolg. Dies ist alles richtig, aber das waren nicht die ersten Dampfschiffe. Einmal hörte ich, über ein Jahrhundert früher sei schon bei Nürnberg ein deutscher Professor mit einem Dampfschiff gefahren, aber ermordet worden. Noch weiter zurück geht das Fahren mit Dampf in Spanien. Nach Dokumenten der spanischen Geschichte von Senor Ravarrete (›Geschichte der vier Reisen des Columbus‹), die sich auf Originale in Simanca beziehen, steht es fest, dass im Mai und Juni 1543 von Blasco de Garay, Marine Capitain Kaiser Karls V., in Barcelona Versuche gemacht wurden, »mit zwei Rädern, die von kochendem Wasser gedreht wurden«, Schiffe zu treiben, und am 17. Juni desselben Jahres Blasco de Garay mit einem Dampfschiffe von 200 Tonnen Last in See gegangen sei und eine Legua in der Stunde zurückgelegt hatte. Der berühmte Arago sprach darüber 1828 in seinem ›Annuaire du Bureau des Longitudes‹ und meinte nur, dass es darauf ankäme, die Echtheit der von Navarrete benutzten Dokumente zu prüfen. Seitdem ist aber nichts in der Sache geschehen, so dass wir über eine noch neue, in die gebildeten Zeiten der Schriftsprache und Zeitungen fallende, welthistorische Erfindung noch nichts Positives wissen. Wie jetzt die Sachen stehen, ist das erste Dampfschiff in Spanien, in Deutschland, in Schottland und in Amerika gebaut worden, so dass die Erfindung in alle möglichen Länder und in den Zeitraum dreier Jahrhunderte fällt. Wir wissen nur, dass sie überall, wo sie zum ersten Male auftrat, vom gebildeten Volke und den ›Sachverständigen‹ verhöhnt und niedergespottet ward, so dass die gebildeten Völker und Sachverständigen die Rolle alter, fabelhafter Tyrannen übernahmen, welche Erfindern die Augen ausstachen oder sie einmauern oder morden ließen, damit die Erfindung nicht bekannt und auch Andern nützlich werde. Völker und ›Sachverständige‹ müssen auch jetzt noch auf ihrer Hut sein, dass sie in stolzem Unverstande des Bestehenden nicht zu Henkern gegen den ›Fortschritt‹ werden.

• Auf epilog.de am 8. September 2014 veröffentlicht

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