Verkehr – Nahverkehr
Dampfomnibus für gewöhnliche Fahrstraßen
Das Neue Universum • 1898
Seit einigen Jahren sind in der Herstellung von Motorwagen große Fortschritte gemacht worden, indem man dieselben teils für Dampfbetrieb, teils für Petroleumbetrieb und teils für elektrischen Betrieb mit Hilfe von Sammelbatterien ausbildete. Natürlich musste dabei auch ganz besonders dem Wunsch Rechnung getragen werden, dieselben nicht nur auf Eisenbahnen, sondern auch auf gewöhnlichen Fahrstraßen zu benutzen.
Eine bedeutende Anregung zur Herstellung solcher Wagen wurde im Jahr 1894 durch ein Preisausschreiben für das beste derartige Fuhrwerk im Pariser Kleinen Journal gegeben. Viele Preisbewerber waren bestrebt, möglichst leichte und praktische Motorwagen aller Art zur Konkurrenz vorzuführen.
Die Anwendung einigermaßen schwerer Wagen mit Motorbetrieb aus gewöhnlichen Fahrstraßen ist mit bedeutenden Schwierigkeiten verknüpft, die bei dem Betrieb auf Eisenbahnen nicht vorhanden sind. Nach vielfachen Versuchen scheint es sich nach den Behauptungen von Technikern herausgestellt zu haben, dass der Dampfbetrieb für diesen Zweck sich am vorteilhaftesten erweist und trotz aller Gegenbehauptungen den Vorzug hat vor dem Betrieb mit Petroleummotoren oder vor den mittelst Sammelbatterien betriebenen Elektromotoren. In der Tat sollen die in neuerer Zeit besonders in Frankreich eingeführten Dampfomnibusse im praktischen Betrieb recht befriedigende Resultate ergeben haben. Von einer Reihe von Erfindern, wie Blank, Vollen, Serpollet, de Dien, Bouton u. a. ist die Dampfmaschine für diesen Zweck in Anwendung gebracht worden. Nur mit großer Mühe ist man dahin gelangt, Wagen für etwa zehn Personen mittelst Petroleummotoren zu betreiben, weil man die Kraftleistung dieses Motors nicht in so weiten Grenzen zu verändern vermag, wie dies bei der Dampfmaschine der Fall ist.
Bekanntlich datieren die ersten Versuche, Dampfwagen ohne Schienenbahn zu betreiben, bis in das vorige Jahrhundert zurück. Bereits im Jahr 1769 wurde von Lagnot in Frankreich ein derartiges Fuhrwerk gebaut; in Amerika wurde 1786 von Oliver Evans ein ähnlicher Versuch gemacht, und in England wurden zu Anfang dieses Jahrhunderts die Versuche von Trevithick und Vivian fortgesetzt. Infolge des noch auf ziemlich niedriger Stufe stehenden Maschinenbaus wurden mit allen diesen Konstruktionen keine praktisch genügenden Resultate erzielt. Erst mittelst der hochvervollkommneten heutigen Mechanik konnte dies gelingen.
Interessant sind in dieser Beziehung die neuerdings im französischen Departement de la Meuse mit einem Dampfomnibus angestellten Probefahrten. Der Erfinder dieses Dampfwagens Namens Scotte ist Hutfabrikant zu Epernay. Schon vor etwa 10 – 12 Jahren baute Scotte für seinen gewöhnlichen Gebrauch einen viersitzigen Wagen mit Dampfbetrieb, den er seitdem viele Jahre hindurch zu Spazierfahrten mit seiner Familie benutzte. Als die erwähnte Preisbewerbung von dem Kleinen Journal ausgeschrieben wurde, nahm Scotte daran teil. Jedoch wurde er durch einen kleinen Unfall an dem Dampfkessel des Wagens verhindert, die Fahrt zu vollenden. Trotzdem wurde er mit einem Preise zur Förderung weiterer Bestrebungen bedacht.
Nachdem er seinen Wagen mehrfach mit Erfolg als Vorspann für andere Fuhrwerke benutzt hatte, ging er daran, einen stärkeren Dampfwagen zum Ziehen eines Personenwagens zu bauen. Der erste Wagen dieser Art machte eine Zeit lang regelmäßige Fahrten im Departement de la Manche für den öffentlichen Vorortsverkehr, jedoch war der Verkehr daselbst zu schwach, so dass das Fuhrwerk sich als unrentabel erwies. Scotte vervollkommnete unterdessen sein System noch weiter und baute einen wirklichen Dampfomnibus. Unser Bild zeigt die erste damit im Weichbild von Paris angestellte, etwas primitiv angeordnete Probefahrt, welche aber den Beweis lieferte, dass der Scottesche Dampfwagen die nötige Zugkraft besitzt, um eine Anzahl stark besetzter Fuhrwerke auf der gewöhnlichen Landstraße zu befördern.
Probefahrt von Scottes Dampfomnibus.Der Wagen selbst zeigt eine gefällige Bauart. Der Dampfbetriebsapparat befindet sich vorn und ist durch eine mit Fenstern versehene Wand von dem Raum, wo die Fahrgäste Platz finden, getrennt.
Die Dampfmaschine ist vertikal mit 2 Zylindern und mit nach unten arbeitenden Kolben. Die Umtriebsgeschwindigkeit kann mittelst variabler Expansion geregelt werden. Die Leistungsfähigkeit beträgt 16 PS. Der Dampfkessel ist gleichfalls vertikal und als Fieldscher Wasserröhrenkessel konstruiert. Er ist auf einen Druck von 12 Atmosphären geprüft. Die: Bewegung wird den Hinterrädern mitgeteilt, welche allein als Betriebsräder wirken; sie sind von sehr kleinem Durchmesser und werden durch stählerne Gelenkketten angetrieben. Die Vorderräder dienen zum Lenken und ihre Achse ist um einen vertikalen Zapfen drehbar; sie werden vom·Wagenführer mittelst eines horizontalen Schwungrädchens regiert. Vor dem Dampfbetriebsapparat befindet sich der Kohlenraum, worin 200 kg Koks oder Steinkohle unterzubringen sind, deren Vorrat für eine vierstündige Fahrt ausreichend ist. Der Behälter für den Wasservorrat, welcher 500 l beträgt, ist unterhalb des Wagens angebracht.
Der Wagen ist mit einer durch ein Pedal zu kontrollierenden, schnell wirkenden Bremse, sowie außerdem noch mit einer Schraubenbremse versehen. Im Wagen selbst sind zur Beleuchtung Petroleumlampen angebracht. Die Dimensionen des Wagens sind: 5,2 m Gesamtlänge und 1,8 m Breite; sein Gewicht ohne die Fahrgäste beträgt 3500 kg.
Der für den gewöhnlichen Dienst dienende Anhängewagen hat 4,65 m Länge und 1,8 m Breite; sein Gewicht in leerem Zustande beträgt 1500 kg. Der Zug kann Kurven von 5,5 m Radius durchfahren.
Die Gesellschaft Scotte hat ferner noch einen Güterzug in Betrieb, welcher aus einem Dampfschlepper und einem Anhängewagen besteht, die zusammen 5 – 6000 kg Last mit einer mittleren Geschwindigkeit von 6 – 7 km/h zu befördern vermögen.
Die Versuchsresultate lassen hoffen, dass bald weitere Dampfomnibuslinien in Betrieb gesetzt werden, um nicht nur im Vorstadtverkehr, sondern insbesondere auch im Vorortverkehr gute Dienste zu leisten.