VerkehrSchifffahrt

Die Bergung des Télémaque

Illustrirte Zeitung • 1.7.1843

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Die Seine fließt, ungefähr 8 Meilen von Havre de Grace entfernt, durch einen weiten Meerbusen ins Meer, der sich nach und nach gegen die eigentliche Mündung des Flusses hin in Gestalt eines Trichters verengt. Das Städtchen Quillebeuf, vornehmlich von Lotsen und Fischern bewohnt, liegt dem Dorf Tancarrille gegenüber und beherrscht auf dem linken Ufer die Mündung des Flusses. Die Flut bietet hier das gewöhnliche Schauspiel dar. Wenn die Flut steigt, drückt sie mit ungeheurer Kraft die Gewässer der Seine zurück, welche sich nun nicht mehr ins Meer ergießen, sondern mehre Fuß hoch bis nach Rouen stromaufwärts steigen. Bei eintretender Ebbe hingegen stürzt sich der Strom ungestüm in die See, so dass, wenn ein Schiff das Unglück hat, auf eine Sandbank aufzustoßen, es unrettbar verloren ist. Schiffbrüche sind daher in dieser gefährlichen und schwierigen Einfahrt sehr häufig, da die von Treibsand gebildeten Dünen bei jeder Flut ihre Lage verändern. Auch merken sich die auf der Seine schiffenden Reisenden die Entfernungen nach den aus den Fluten hervorragenden Masten gescheiterter Schiffe.

Am 1. Januar 1790 verließen zwei Schiffe, eine Brigg und eine Goelette, Rouen, um nach Brest zu segeln. Die Brigg sollte dort kalfatert und verlängert und dann ihr früherer Name ›Télémaque‹ in ›Quintanadoine‹ umgetauft werden. Kaum hatten aber jene Fahrzeuge den Hafen verlassen, als die Behörden von Rouen den Befehl erließen, sie anzuhalten und zu untersuchen, denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, dass sie mit entweder der königlichen Familie oder adligen und geistlichen Emigranten gehörenden Schätzen befrachtet seien. Die Goelette wurde in der Seine genommen und man fand Silberzeug der kgl. Familie an Bord, dem Télémaque gelang es anfangs allen Verfolgungen zu entgehen, am 3. Januar strandete er inzwischen auf einer Sandbank in dem Augenblick, als er die Flutbarre der Seine passieren wollte, 110 m vom Hafen von Quillebeuf, und wurde bald darauf beinahe ganz von Treibsand bedeckt. Sobald dieser Schiffbruch bekanntwurde, schickte die Regierung 300 Mann von Cherbourg, unter der Anführung eines Oberingenieurs, um das Wrack des Télémaque wieder zu heben, aber nach dreimonatlichen vergeblichen Anstrengungen gab man den Versuch auf. Vom Jahr 1790 bis 1843 wurden von verschiedenen Gesellschaften neue, aber eben so fruchtlose Versuche gemacht; die Unternehmer gingen zu Grunde, ohne irgendein zufriedenstellendes Resultat zu erzielen. Wir wollen hier nur von zwei der neuesten Unternehmungen sprechen, der von Magny und der von Taylor.

Eine im Jahr 1842 erschienene Flugschrift schlug die in dem Télémaque untergegangenen Wertschaften zu 80 Mill. Franc an, doch beruht diese Schätzung durchaus auf keiner sicheren Grundlage. Einige noch lebende Personen bezeugen lediglich, wie sie gehört hätten, dass in der Nacht des 1. Januars 1790 an Bord des gescheiterten Schiffes mit einer sehr schweren mit Metall gefüllte und mit eisernen Reifen beschlagene Kiste eingeschifft worden wären. Auch hat man, doch nur gerüchteweise, von 2 500 000 Franc in Bar gesprochen, welche Ludwig XVI. gehört hätten und von Silbergerät, das aus den Abteien Jumiège und Saint-George herstammen sollte. Inzwischen ist bis zu diesem Tag keine wirkliche Tatsache ans Licht gekommen, jene Gerüchte, die, wie alle Sagen ähnlicher Art, durch Alter immer schöner werden, zu bestätigen.

Am 1. August 1837 erhielt Magny durch einen Vertrag das Recht, drei Jahre lang an der Wiederheraufbringung des Télémaque zu arbeiten. Im Falle des Gelingens erhielt der Unternehmer vier Fünftel der Ladung, das letzte Fünftel wurde der Kasse der Seeinvaliden reserviert. Später wurde das Recht der Bergung noch auf drei weitere Jahre gewährt. – Nachdem aber 65 000 Franc ausgegeben waren, gab Magny seine Hoffnungen auf. Im Jahr 1841 nahm David, früherer Gesellschafter von Magny, die Unternehmung auf seine Kosten wieder auf; man sagt, er habe auch wirklich das Wrack einige Fuß weit von der Stelle gerückt, doch war auch er nicht glücklicher als Magny. Endlich, im Jahr 1842 den 19. Juni, brachte Taylor eine Aktiengesellschaft zu 200 000 Franc Kapital zusammen, und schlug eine neue Methode vor, um den Sand zu entfernen, von dem die angeblichen 80 Millionen des Télémaque bedeckt sind.

Die Hebung des TélémaqueDie Hebung des Télémaque.

Bisher hatte man folgendes Verfahren beobachtet: man ankerte oberhalb des Wracks sogenannte Chalands, große platte Flussschiffe von 600 t Last, welche zum Transport von Gütern auf der Seine dienen, und befestigte an dem Rumpf des Wracks und an den Fahrzeugen Ketten, in der Hoffnung, dass sie jenes bei steigender Flut heben würden. Inzwischen, da den Ketten nicht einerlei Spannung gegeben werden konnte, so rissen sie eine nach der anderen, wie die Flut mehr und mehr stieg. Demzufolge wandte Taylor ein neues Verfahren an, wie es durch den Holzschnitt versinnlicht wird.

Rund um das Wrack wurden ungeheure Pfähle eingerammt. Nachdem auf jene Pfähle ein festes Gerüst errichtet worden war, legte man die Ketten um den Rumpf, in den außerdem noch eine große Anzahl eiserner Stangen gebohrt wurden. Sowohl Ketten als Stangen wurden nun an einer Art beweglicher Brücke festgemacht, die man durch mechanische Mittel emporhob. Durch das Heben der Brücke musste notwendigerweise auch das mit ihr verbundene Wrack gehoben werden. Im letzten Dezember war dasselbe auch wirklich fast bis zum Wasserspiegel emporgebracht, die schlechte Witterung aber, die Furcht vor dem Eis, und besonders Mangel an Geld, nötigten Taylor seine interessanten Arbeiten einzustellen. Man ließ den Télémaque wieder auf die Sandbank hinab, wo er seit 50 Jahren geruht hatte, und befreite ihn von allen Banden. Nur allein die Pfähle sind auf dem Fleck geblieben, wo man sie eingerammt hat.

Von seinen Gläubigern verfolgt, floh Taylor nach London; dort scheint er Geld gefunden zu haben, denn er will nach Frankreich zurückkehren und kündigt den Wiederanfang der Arbeiten für diesen Sommer an. Es heißt, dass er das Verfahren, dessen er sich seither bediente und von dem wir vorstehend eine Beschreibung gegeben haben, aufgegeben und die neue englische Taucherglocke anwenden wolle, um statt des Wracks selbst dessen Inhalt herauszuschaffen.

• Auf epilog.de am 29. Januar 2024 veröffentlicht

Reklame