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Straßenbahnbetrieb mit Druckluft

Das Neue Universum • 1897

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.
Straßenbahn mit DruckluftbetriebAbb. 1. Straßenbahn mit Druckluftbetrieb.

Die Benutzung von Druckluft, das heißt von zusammengepresster und dadurch in eine höhere Spannung als die gewöhnliche Atmosphäre versetzte Luft für Maschinenbetrieb und insbesondere für Lokomotiv- und Eisenbahnwagenbetrieb ist nicht neu, und vor einigen Jahren hat die ausgedehnte Benutzung der Druckluft für Motorbetrieb viel von sich reden gemacht. Auch wurden schon vor etwa zwanzig Jahren Versuche zur Benutzung dieses Betriebsmittels für Straßenbahnwagen angestellt. Hierbei waren jedoch mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden, bevor man zu praktisch genügenden Resultaten gelangte. Jedenfalls hat diese Art von Straßenbahnbetrieb den Vorteil für sich, dass man nicht, wie bei dem Dampfbetrieb, die Unannehmlichkeit des abziehenden Rauches und Dampfes und auch nicht, wie bei dem elektrischen Betrieb, ober- oder unterirdische Leitungsdrähte nötig hat, mit deren Anwendung nicht nur ziemlich große Kosten, sondern auch gewisse Unbequemlichkeiten verknüpft sind. Ein durch Druckluft betriebener Wagen ist bei der Fahrt ganz unabhängig von der Station und braucht nur zeitweise mit frischgefüllten Luftbehältern versehen zu werden, deren Füllung die Station zu besorgen hat. Diese Vorteile haben die Pariser Omnibusgesellschaft veranlasst, diese Betriebsart für einige ihrer Bahnlinien in Anwendung zu bringen.

Apparat zur LuftentnahmeAbb. 2. Apparat zur Luftentnahme.

Mit diesen Vorteilen sind jedoch auch ernstliche Übelstände verknüpft. Ein mit Druckluft betriebener Wagen muss, wie gesagt, den zu seiner Fahrt nötigen Vorrat an Druckluft bei sich führen, und dieser Vorrat muss für längere Fahrten ein entsprechend großer sein. Der Wagen muss deshalb eine größere Anzahl von Druckluftbehältern mit sich führen und, um die Größe derselben möglichst zu beschränken, muss die Luft für gewöhnlich mit einer Spannung von 40 – 50 Atmosphären in dieselben eingepresst werden; man ist aber bei den neuen Betriebsanlagen dieser Art selbst bis zu 80 Atmosphären Spannung gegangen. Hierdurch wird natürlich das Gewicht des Wagens bedeutend vermehrt, weil die Behälter, welche einem solchen Druck mit Sicherheit widerstehen sollen, aus Stahl mit sehr starken Wänden hergestellt werden müssen. Ein derartiger Bahnwagen, wie er in Paris für den Vorortsverkehr benutzt wird, ist mit neun Behältern versehen, die zusammen ein Gewicht von 9000 kg haben. Auf der Pariser Stadtbahn, wo man ebenfalls gewagt hat, die Behälter mit Luft von etwa 80 Atmosphären Spannung zu füllen, ist es durch Anwendung einer außerordentlich zähen Stahlsorte gelungen, die Wanddicke der Behälter auf 13,5 mm zu beschränken, wobei dieselben dennoch einem Drucke von über 14 kg auf den Quadratmillimeter Widerstand zu leisten vermögen. Durch diese geringere Wanddicke ist das Gewicht dieser Behälter auf 2800 kg beschränkt worden. Bei alledem ist die tote Last, welche der Wagen in diesen Behältern mit sich schleppen muss, sehr groß. Durch ein neueres, von Conti und Popp erfundenes, sinnreiches System ist dieser Übelstand beseitigt worden, indem die Wagen während der Fahrt in fast ununterbrochener Weise mit Druckluft gespeist werden. Es wird dabei auch die sehr kostspielige Anlage zur Füllung der Behälter mit äußerst hochgespannter Luft vermieden, indem die Betriebsluft selbst mit viel geringerer Spannung zugeführt wird.

Zentralanlage DruckluftAbb. 3. Zentralanlage mit den Rohren für Zuführung der Druckluft.

Die Anlage, welche die Luft mit verhältnismäßig geringer Spannung erzeugt und durch Leitungsröhren treibt, kann weit hinaus vor die Stadt gelegt werden, und gelegentlich kann man zu deren Betrieb auch billige Wasserkräfte benutzen. Längs der Bahnstrecke selbst sind in gewissen Zwischenräumen Luftabnahmevorrichtungen angebracht, aus denen der Wagen seinen Luftkessel durch Verbindung mit der Leitung frisch füllen kann. Es ist leicht begreiflich, dass dieser Luftbehälter keinen großen Fassungsraum und nur eine verhältnismäßig geringe Widerstandsfähigkeit nötig hat, so dass auch sein Gewicht verhältnismäßig gering ist.

LeitungsröhrenAbb. 4. Durchschnitt der unterirdischen Leitungsröhren.

Bei dieser Anlage ist noch besonders bemerkenswert, dass die Füllung des Luftbehälters an den Haltestellen des Wagens stattfindet, so dass dadurch kein weiterer Aufenthalt in der Fahrt entsteht. Außerdem erfolgt die Füllung selbsttätig. An der Stelle, wo die Füllung stattzufinden hat, ist für gewöhnlich eine Eisenplatte B im Straßenniveau und in der Mitte der Schienen angebracht, wie aus der obigen Abb. 2 ersichtlich ist. Wenn der Wagen ankommt, so geht das eine seiner Vorderräder über das Pedal A, welches sich in einer Vertiefung der Schiene befindet, so dass es nur von dem Wulst des Rades berührt und etwas niedergedrückt werden kann, worauf es durch eine Feder wieder in seine ursprüngliche Lage zurückgebracht wird. Durch seine Niederbewegung und eine einfache, hier nicht näher zu erklärende Vorrichtung bewirkt dieses Pedal, dass aus dem Leitungsrohr Druckluft in den Vorratsbehälter des Wagens gelangt. Bei diesem Vorgange springt außerdem aus dem Boden eine Art Düse hervor, durch welche eine an der Platte angebrachte Klappe gehoben wird, wobei bewirkt wird, dass eine Verbindung der Luftleitung mit dem Luftbehälter des Wagens sich bildet. Sobald die Passagiere eingestiegen sind und der Wagen wieder in Gang gesetzt wird, löst sich jene Verbindung und das Luftleitungsrohr, sowie der Luftbehälter am Wagen werden selbsttätig wieder geschlossen. Diese Vorrichtungen zur Speisung des Luftbehälters liegen so nahe aneinander, dass sozusagen die Versorgung des Wagens mit Druckluft sich fast ununterbrochen vollzieht. Der Vorteil, der auf diese Weise gewonnen wird, ist nach den vorhergehenden Erörterungen leicht zu begreifen.

• Auf epilog.de am 12. März 2023 veröffentlicht

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