Verkehr – Nahverkehr
Neue Eisenbahntypen
Prometheus • 1889
Bei oberflächlicher Betrachtung wird man zu dem Glauben leicht verleitet, die Dampfeisenbahnen sowohl wie die Straßenbahnen unserer Städte stellten den Gipfel des Fortschritts dar, und es sei eine Verbesserung dieser Verkehrsanstalten kaum denkbar. Geht man aber der Sache auf den Grund, vergegenwärtigt man sich die vielfältigen Aufgaben, denen ein öffentliches Beförderungsmittel gerecht zu werden hat, so wird man gar bald gewahr, dass es noch unendlich viel zu tun gibt, um die Schienenwege auf die volle Höhe ihrer Kulturaufgabe zu heben, und zwar gilt dies nicht bloß von der Personenbeförderung, sondern auch von der Benutzung der Eisenstraßen zum Transport der Postgegenstände und der Güter.
Dies haben erleuchtete Köpfe längst erkannt, und man ist deshalb, besonders jenseits des Ozeans, eifrig bemüht, neue, sich den vielseitigen Bedürfnissen des Verkehrs besser anpassende Eisenbahntypen zu ersinnen. Über die dahin zielenden Versuche, so weit sie der neuesten Zeit angeboren, wollen wir eine kurze Umschau halten.
Was zunächst die Personenbeförderung auf den gewöhnlichen, eigentlichen Eisenbahnen anbelangt, so muss man zwischen dem Fernverkehr auf verhältnismäßig wenig befahrenen Schienenwegen und dem Ortsverkehr, d. h. dem Verkehr innerhalb der Großstädte und zwischen diesen und ihren Vororten sorgfältig unterscheiden. Ersterer erscheint an sich, so weit die Motoren in Frage kommen, kaum noch verbesserungsfähig, und es dürfte sich vorerst nur darum handeln, eine etwas erhöhte Geschwindigkeit zu erzielen. Die Dampflokomotive erfüllt hier ihren Zweck in der vollkommensten Weise und sie hat in absehbarer Zeit einen Mitbewerber nicht zu befürchten.
Anders bei dem Vororts- und Stadtverkehr. Hier erweist sich einerseits das Dampfross, andererseits das Pferd immer mehr als der Aufgabe nicht oder nur sehr mangelhaft gewachsen. Die Lokomotive ist nur bei der Beförderung schwerer Lasten am Platz; sie muss eine lange Reihe von Wagen schleppen; sonst ist sie unwirtschaftlich. Sie bedingt daher längere Abstände zwischen den Abfahrtszeiten, womit aber dem Vorortsverkehr nicht gedient ist. Es leuchtet ein, dass es diesem Verkehr besser frommt, wenn die Bahnverwaltung alle zehn Minuten einen Wagen ablässt, als wenn sie alle Stunden einen Zug uns sechs Wagen abfertigt. Aber selbst bei den wenigen Verkehrsanstalten, wie die Londoner, Berliner, New Yorker Stadtbahnen, wo die große Zahl der Reisenden das Ablassen von längeren Zügen in kurzen Zwischenräumen gestaltet, macht sich allmählich die Unzulänglichkeit der Lokomotive fühlbar. Dies gilt besonders von den New Yorker Stadtbahnen. Die dort verwendeten Maschinen vermögen die wachsenden Lasten nicht mehr zu schleppen; man kann aber nicht zu schwereren Lokomotiven greifen, weil der Oberbau deren Gewicht nicht aushält.
Noch unzulänglicher ist natürlich die Pferdebahn. Dieses Beförderungsmittel besitzt die nötige Elastizität nicht; es kann sich den wechselnden Anforderungen des Verkehrs nicht recht anschmiegen und versagt fast ganz, wenn es darauf ankommt, größere Menschenmengen zu befördern. Auch gebricht es ihm an dem immer wichtiger werdenden Element der Geschwindigkeit. Zeit ist Geld, und es genügen heutzutage 9 – 10 km/h niemandem mehr.
Ist es möglich, den Übelständen abzuhelfen, die dem Dampf wie der tierischen Zugkraft anhaften? Besitzen wir eine Kraft, welche diesem im Nahverkehr bereits überlebten Lastenbeförderungsmittel überlegen und an deren Stelle zu treten fällig ist? Die Antwort auf diese Frage lautet glücklicherweise bejahend. Die Technik ist hier bereits den Bedürfnissen der Menschen entgegengekommen; sie hat die unfassbare und unsichtbare Kraft, Elektrizität geheißen, auch in den Dienst der Lastenbeförderung gezwungen, und wir dürfen jetzt schon zuversichtlich behaupten, dass die von Siemens & Halske vor kaum zehn Jahren ins Leben gerufene elektrische Eisenbahn, oder vielmehr der auf Schienen rollende Elektromotor den allerschwersten Anforderungen voll gewachsen sei.
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