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Die moderne Einrichtung elektrischer Eisenbahnen

Der Stein der Weisen • 1890

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Ein in jeder Beziehung erprobtes System elektrischer Eisenbahnen mit Zugrundelegung der Erfahrungen, welche in den Vereinigten Staaten von Nordamerika auf diesem Gebiet gewonnen wurden, ist das der Sprague Elektric Railway und Motor-Company in New York.

Sprague-Motor-FahrgestellEin komplettes Sprague-Motor-Fahrgestell.

Die vom elektrischen Strom in Drehung versetzten Anker der Dynamomaschine hängt Sprague unter dem Wagengestell in Federn derartig auf, dass sie den Bewegungen der Räder und Achsen willig folgen und den Eingriff der zur Kraftübertragung benützten Zahnräder nicht beeinträchtigen. Um auch die Erschütterungen der Triebräder zu beseitigen, welche sich weit besser als Seile und Ketten bewährt haben, stellt er diese zum Teil aus elastischem Material her, dessen Wirkung sich auch auf den Wagen durch angenehme und sanfte Bewegung geltend macht. Hierzu trägt allerdings auch die vollkommene Isolierung des Untergestells von dem Wagenkasten bei, der sonst durch die Arbeit der Motoren in heftige und unangenehme Vibrationen gerät.

Um die Wartung der Maschinen zu erleichtern, sind alle Teile nach Möglichkeit vereinfacht und leicht zugänglich gemacht. Räder und Triebe sind ohne Demontierung der Maschine zu entfernen, und die Lager staubdicht und selbstölend, damit sie, wie die Bürsten, zur Abnahme der elektrischen Ströme tagelang ohne Aufsicht laufen können. Die Stellung dieser Bürsten, welche aus einem Material gefertigt sind, das den Kommutator wenig angreift, braucht bei wechselnder Belastung nicht geändert zu werden; dabei arbeiten die Motoren im Vor- und Rückwärtslauf gleich vorteilhaft. Dass auch Bedacht genommen ist, die Abnützung aller Teile auf das geringste Maß zu beschränken, bedarf keiner Erwähnung.

Trotzdem in manchen Fällen Akkumulatorwagen, deren Batterien entweder unter den Sitzen oder in besonderen Tendern untergebracht werden, sich leichter in den Betrieb bestehender Pferdebahnen einfügen, so verdient die direkte Stromzuführung von der Erzeugungsstelle zu den Motoren aus ökonomischen Gründen den Vorzug. Diese kann ober- oder unterirdisch erfolgen.

Bei oberirdischer Stromzuführung nach dem Sprague-System hängt die Leitung in leichter und gefälliger Weise an dünnen Leitungsdrähten, die in einer Höhe von 6 – 7 m über die Schienen in der Mitte des Bahnkörpers ausgespannt sind und wiederum von Querdrähten getragen werden. Die Rückleitung des elektrischen Stroms erfolgt durch die Schienen zur Erde. Die Querdrähte ruhen auf isolierten Spitzen von hölzernen oder eisernen Pfosten, welche je nach den Umständen mehr oder weniger elegante Formen erhalten; auch die Querdrähte sind von der Leitung isoliert. Wo diese Pfosten zu den Seiten des Fahrdamms nicht anzubringen sind, werden sie mitten in die Straße gestellt und mit Armen versehen, die bis zur Achse des Bahnkörpers reichen; ihre Abstände voneinander betragen ungefähr 40 m. In Kurven folgen die Längsdrähte in den Gleismitten den Sehnen der Kreise; die Abzweigungen der Gleise werden in entsprechender Weise mit Umgehung schwerfälliger Stromweichen bewirkt.

Der erwähnte Längsdraht, dessen Anbringung in beträchtlicher Höhe über dem Straßenniveau und dessen doppelte Isolierung von der Erde jede Gefahr durch Berührung ausschließt, bildet indessen nicht die eigentliche Stromzuführung; vielmehr besteht neben dieser sogenannten Arbeitsleitung eine ungleich stärkere Hauptleitung, welche entweder von denselben Pfosten und dann ebenfalls gegen die Erde isoliert, getragen oder als Kabel in die Erde gebettet wird. Beide Leitungen sind in gewissen Abständen miteinander verbunden. Der Zweck dieser Einrichtung ist einerseits die Verwendung sehr dünner Längsdrähte, welche sich auf weitere Entfernungen frei tragen, auch bei erheblichen Bahnlängen, andererseits die Unterbrechung der Arbeitsleitung bei Erweiterungen oder Reparaturen, ohne dass hierdurch der Betrieb gestört wird.

Elektrische StraßenbahnElektrische Straßenbahn, Sprague-System.

Die Überführung des Stroms zu den Motoren bewirkt ein auf dem Wagendach angebrachtes Stahlrohr, welches die mit einer Rille versehenen Metallrollen von unten gegen die Arbeitsleitung drückt und in dieser Weise einen guten Kontakt mit derselben herstellt. Die Rille dient zugleich zur Führung der Rolle. In dieser Weise vermeidet Sprague die ungeschickten Stromweichen in der Luft, die ein Übel aller bisherigen oberirdischen Leitungen, bald diese, bald die Kontaktseile der Gefahr des Herabzerrens oder Bruches aussetzen. Im Gegensatze zu dieser einfachen Methode der Stromzuführung ist die unterirdische Leitung, welcher man geneigt sein möchte, auf den ersten Blick den Vorzug einzuräumen, nichts weniger als vollkommen. Denn abgesehen davon, dass die Anlage und Unterhaltung der Kanäle, die diese Leitungen aufzunehmen haben, umständlich und kostspielig ist, wird der Kontakt häufig durch Verunreinigung und klimatische Einflüsse dergestalt beeinträchtigt, dass man ohne Grund von dem bewährten System der oberirdischen Stromzuführung nicht abweichen sollte.

Bezüglich der Stromerzeugungsanlage, die wenig von der bekannten Einrichtung unserer Stationen zur elektrischen Städtebeleuchtung abweicht, ist Folgendes zu bemerken: Zwar sind die Spannungen des Stroms hier höher als dort, aber immer noch gering genug, um eine Gefahr durch die gleichzeitige Berührung der Pole auszuschließen. Trotzdem die Arbeit jedes Motors nach Erfordernis und Größe des Wagens auf 8 PS, bzw. 15 PS gesteigert werden kann, braucht die Leistung der Dampfmaschinen und Kessel bei normalem Betrieb im Allgemeinen nur dem zu entsprechen, was bei gleichem Effekt Verwendung finden würde. Mit Rücksicht auf die allmähliche Steigerung des Betriebs und etwaige Reserven empfiehlt es sich indessen, diese Leistung von vorneherein höher zu bemessen, da bei zweckmäßiger Disposition unter diesen Umständen doch ebenfalls nur der Kraftverbrauch im direkten Verhältnis zur gelieferten Arbeit steht. Auch die Konstruktion der Dynamomaschinen und Armaturen ist im Wesentlichen identisch mit denen der Beleuchtungsanlagen, deren Bedienung sich bekanntlich auf die Beobachtung der Spannungs- und Stromanzeiger beschränkt. Automatische Blitzschutzvorrichtungen sichern die Station gegen Gefahren, die aus der Entladung der atmosphärischen Elektrizität entstehen könnten. Dass man zur Vermeidung unnützen Aufwandes von Leitungsmaterial die Station möglichst in die Mitte der Bahn zu legen trachtet, versteht sich wohl von selbst. Im Falle, dass Akkumulatoren für den Fortbetrieb benützt werden, trifft man in den Stromerzeugungsanstalten oder an anderen geeigneten Stellen Einrichtungen, welche die Auswechslung dieser Batterien leicht und rasch bewerkstelligen lassen.

• Auf epilog.de am 28. März 2024 veröffentlicht

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