VerkehrSchifffahrt

Bazins Rollenschiff

Das Neue Universum • 1897

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Am 19. August 1896 ist in St. Denis ein Schiff vom Stapel gelaufen, welches in seiner Einrichtung von allen je gebauten Schiffen grundverschieden ist. Sein Erfinder, der Ingenieur Bazin, denkt mit seinem Schiff zu Fahrgeschwindigkeiten zu kommen, die mit Schiffen der gebräuchlichen Bauart überhaupt unerreichbar sind, weil der Widerstand, den der in das Wasser eingetauchte Schiffsteil bei der Fahrt des Schiffes im Wasser findet, mit dem Quadrat der Fahrgeschwindigkeit wächst. Jede Steigerung der Fahrgeschwindigkeit erfordert daher Maschinen, deren Stärke und Gewicht in demselben Verhältnis steigen muss. Gelänge es also, den Reibungswiderstand des Schiffsrumpfes im Wasser zu beseitigen, so würde auch das wesentlichste Hindernis, welches der Erreichung großer Fahrgeschwindigkeit entgegensteht, überwunden sein. Bazin überzeugte sich durch Versuche, dass ein runder Schwimmkörper, wenn er mit derselben Geschwindigkeit um seine Achse gedreht wird, mit der er sich vorwärts bewegt, keine Anstauung des Wassers vor seinem Bug, also keine Bugwelle hervorruft, mithin keinen Reibungswiderstand im Wasser in dem bisher gebräuchlichen Sinne zu überwinden hat. Die bisherige gleitende Bewegung des Schiffs im Wasser muss demnach in eine rollende verwandelt werden. Dieser Grundgedanke ist es, aus dem sein merkwürdiges Schiff hervorgegangen ist.

Bazins RollenschiffGesamtansicht des vollendeten Versuchsschiffes.

Die acht linsenförmigen Schwimmkörper aus Stahlblech, welche paarweise durch eine Achse verbunden sind, tragen das Fahrzeug im Wasser. Sie erhalten durch besondere Maschinen eine Umdrehungsgeschwindigkeit um ihre Achse, welche der Fahrgeschwindigkeit des Fahrzeugs gleich ist. Die Fortbewegung des letzteren geschieht, wie bei andern Schiffen, durch Schrauben. Die Achsen der Schwimmkörper tragen eine Plattform, auf welcher hausartige Ausbauten errichtet sind, in denen die Kabinen der Reisenden und Schiffsbesatzung, sowie alle die Wirtschafts- und sonstigen Räume hergerichtet sind, die sich heute im Schiffsraum befinden.

Das nach Bazins Plänen in St. Denis erbaute Rollenschiff soll nun zu Versuchsfahrten auf der Seine und an den Küsten dienen, um festzustellen, ob die Annahme, welche der Erfinder aus theoretischen Erwägungen und Versuchen mit Modellen herleitete, durch seegehende Fahrzeuge, besonders bei Wind und Sturm in hohem Seegange, bestätigt werden. Das im August 1896 vom Stapel gelaufene Versuchsschiff hat deshalb nur drei Rollenpaare. Die Rollen haben 10 m Durchmesser und auf ihrer Achse 3 m Abstand. Die von ihnen getragene Plattform hat bei 11,8 m größter Breite 40 m Länge. Die drei Rollenpaare werden durch Maschinen getrieben, die zusammen 600 PS besitzen, während die Schraube von einer Maschine in Betrieb gesetzt wird, die 550 PS entwickeln und dem Fahrzeug, welches 280 t Wasser verdrängt, voraussichtlich 18 bis 22 Knoten Geschwindigkeit erteilen wird.

Bazins RollenschiffBazins Rollenschiff, dargestellt nach einem kleinen Modell.

Wenn die Probefahrten mit diesem Fahrzeug die Erwartungen seines Erfinders erfüllen, dann will er ein Rollenschiff für Ozeanfahrten bauen, welches erheblich größer sein wird. Es soll vier Rollenpaare erhalten, deren Rollen 22 m Durchmesser haben und etwa 7,3 m tief eintauchen werden. Seine Plattform soll 130 m lang sein und das Schiff wird gegen 5000 t Wasser verdrängen. Bei einer Fahrgeschwindigkeit von 32 Knoten werden die Rollen in der Minute 24 Umdrehungen machen, wobei ein Punkt ihres Umfanges in der Sekunde einen Weg von 27,5 m zurücklegen würde, so dass der Slip (Rücklauf) der Rollen 40 % beträge, das heißt, der Weg, den das Fahrzeug zurücklegt, ist um 40 % kleiner, als der Weg, den der Rollenumfang auf festem Boden zurücklegen würde. Sollte der Slip 30 % betragen, so würde das Schiff eine Fahrgeschwindigkeit von 36 Knoten erreichen. Die Rollen würden hiernach eine beträchtlich vorauseilende Geschwindigkeit besitzen.

Ob Bazins Rollenschiff wirklich die vom Erfinder erwartete Umwälzung hervorrufen und den Schiffbau von den Bahnen, die er nachweislich fast 4000 Jahre verfolgte, auf ganz neue abdrängen wird, das wollen wir getrost abwarten.

Sein in St. Denis erbautes Versuchsschiff, welches in unserer ersten Abbildung dargestellt ist, hat Bazin die Seine hinunter nach Rouen gebracht, weil er beabsichtigte, im Januar 1897 die Versuchsfahrten mit ihm bis in die See hinaus zu beginnen. Dazu war es im April noch nicht gekommen, zu welcher Zeit es noch am Kai Croisset in Rouen lag. Die Erfahrungen, welche Bazin bei den Vorversuchen gewonnen hat, haben seine Rechnungen und Erwartungen nicht bestätigt. Es hat sich gezeigt, dass die Maschinenkraft von 50 PS, wie angenommen, bei weitem nicht genügt, um den Rollen die notwendige Umdrehungsgeschwindigkeit zu geben, es ist vielmehr nötig, dieselbe auf 150 PS zu erhöhen, so dass für die sechs Rollen eine Maschinenkraft von 900 PS und zum Betrieb der Schraube eine solche von 600 PS erforderlich sein wird, um die beabsichtigte Fahrgeschwindigkeit von 22 Knoten zu erreichen, obgleich das jetzt fertige Fahrzeug nicht 280 t, sondern nur 246 t Wasser verdrängt. Die Hoffnungen, die der Erfinder in sein Schiff setzte, sind durch diese Erfahrungen sehr herabgestimmt worden und man bezweifelt, dass es für hohen Seegang die nötige Stabilität besitzen wird.

• Auf epilog.de am 24. Februar 2021 veröffentlicht

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