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Elektrizität als Kunst-Weber

Der Bonelli’sche elektro-magnetische Webstuhl

Die Gartenlaube • 1860

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Die Liste der Wunder, welche die Elektrizität bereits täglich vor unsern Augen verrichtet, ist schon ziemlich bedeutend und nimmt noch immer frisch zu. Wenn wir erst ordentlich dahinter kommen, was sie im Wachstum und Leben der Pflanzen, in Gesundheit, Erkrankung und Genesung der Menschen wirken, schaffen und zerstören mag, wie die Wirkungen des Lichts, vielleicht dieses selbst, Sturm und Regen, Wärme und Kälte von ihr abhängen oder gar nur Erscheinungs- und Wirkungsformen derselben sein mögen, wird unsere Achtung für diese noch immer geheimnisvolle, allgegenwärtige, allwirksame, unkörperliche, geisterartige Naturkraft sich noch bedeutend steigern. Dass die Elektrizität blitzt und donnert, porträtiert, schießt und schlägt, Unschmelzbares schmilzt, falsche Nachrichten feiger Potentaten und Börsen-Kurse über Land und Meere blitzt, versilbert und vergoldet, alle möglichen Münzen und Kunstwerke auf das Feinste modelliert etc., dies und manches Andere wissen wir. Neu ist aber noch, dass sie Weber geworden ist, Kunstweber erster Klasse. Herr Bonelli in Turin hat ihr diese Kunst beigebracht, oder vielmehr wunderbare Mechanismen komponiert, mit welchen die vereinigte Magneto-Elektrizität die künstlerischsten Werke des Jacquard-Webstuhles spielend und unendlich billiger verrichten muss.

Der vor sechzig Jahren erfundene Jacquard-Webstuhl hat das Gute, dass er die Muster, welche in einem Gewebe ausgeführt werden sollen, von durchlöcherten Karten, also auf eine sichere, mechanische Weise, vorgeschrieben erhält, während gewöhnliche Webstühle sich dazu entweder gar nicht eignen, oder durch kostbare, künstliche Menschenhand zur Ausführung des Musters gezwungen werden müssen. Aber auch die Anfertigung dieser Karten wird mühsam und kostspielig, wenn ein sehr reiches und verwickeltes Muster gewebt werden soll. Dann sind oft Tausende solcher ›Muster-Karten‹ nötig. Ein mexikanischer Bischof ließ sich einmal in Lyon eine Robe weben, wozu nicht weniger als 52 000 Karten gezeichnet und durchlöchert werden mussten.

Der Bonelli’sche elektro-magnetische Webstuhl

Bonelli in Turin fand ein Mittel und einen elektro-magnetischen Mechanismus, der diese Zeit und Geld raubenden Karten ganz ersetzt. Seine Maschine ist ein elektro-magnetischer Apparat, der webt, ein elektrischer Jacquard-Webstuhl, wo die durchlöcherten, das Muster bedingenden Karten durch eine immer wieder brauchbare, dauernde, durchlöcherte Metallplatte ersetzt werden. Den Jacquard-Webstuhl müssen wir als bekannt voraussetzen, und auch die Bonelli’sche Maschine können wir nur in ihren wesentlichen Zügen schildern. Die allgemeine Ansicht derselben, die wir geben, erklärt sich vermittelst einer Durchschnitts- oder Sektional-Zeichnung, wo wir mit Hilfe der mit Buchstaben bezeichneten einzelnen Hauptteile eine Vorstellung von ihrer Arbeit gewinnen. Um a, ist ein sogenannter endloser Papierstreifen gewickelt. Dies Papier ist mit Zinkfolie, einem Leiter der Elektrizität, bekleidet und enthält ein mit schwarzem Lack, einem Nichtleiter, aufgezeichnetes Muster. Das endlose Papier passiert unter einer Reihe dünner, metallener Zähne (b b b), deren jeder mit einem der kleinen Elektro-Magneten (c c) in Verbindung steht. Das Ganze wird in drehende Bewegung gebracht durch eine galvanische Batterie und durch Drähte (d d). Einer der Letzteren steht in ununterbrochener Verbindung mit dem Zinkfolien-Papier, und der andere mit den Metallzähnen (b b), so dass der elektrische Strom von der Batterie durch solche Metallzähne passiert, welche die metallisierte Oberfläche des endlosen Papiers berühren, während die andern Zähne, die auf der Trommel ruhen, keine Elektrizität aufnehmen. So wird bei jeder Bewegung des Papiers ein (elektrischer) Magnet nach dem andern, je nach den Formen des Musters, bald tätig, bald negativ. In einem beweglichen Rahmen (e) gegenüber den Enden der horizontal liegenden Elektro-Magneten (c c) befindet sich eine Reihe kleiner horizontaler Eisenstäbchen (f f), die poliert leicht gleiten können und durch eine durchlöcherte Platte (g) passieren. Durch eine mechanische Einrichtung werden die Enden dieser Eisenstäbchen mit den Enden der Elektro-Magnete in Berührung gebracht, so dass nun die Stäbchen von den elektrisierten oder aktiven Magneten angezogen werden, während die nicht angezogenen Stäbchen mit dem Rahmen fortgezogen und durch die niederfallende Platte fixiert werden, so dass die betreffenden Löcher in Letzterer sich füllen. So wird die Platte zum Ersatz der durchlöcherten Karten im Jacquard-Webstuhle und ordnet die Stahlnadeln (h h), welche die Fäden des Stuhles regieren und verteilen.

Wenn uns auch durch diese Andeutungen die Einzelheiten dieser feinen elektromagnetischen Webe-Mechanik nicht klarwerden, lässt sich doch leicht begreifen, dass der ganze Webstuhl nur ein angewandter elektromagnetischer Apparat ist. Die Apparate, durch welche aus Elektrizität Magnetismus oder aus Magnetismus Elektrizität erzeugt wird, sind freilich auch nicht jedem klar und in der Regel nur bei Chemikern und Physikern von Fach zu finden, aber wir müssen uns hier damit begnügen, dass wir an etwas in der Wissenschaft Bekanntes erinnern und auf dessen geniale praktische Verwertung hinweisen. Diese Verwertung ist allerdings sehr bedeutend, da nun mit Hilfe der elektrischen Muster diese nicht nur mit 90 Prozent weniger Kosten hergestellt, sondern auch mit Leichtigkeit und Sicherheit geändert, verbessert und verschönert werden können, wobei die Gefahr eines Versehens oder des Ungeschicks eines Arbeiters vermieden wird.*

Wenn sich erst der Bonelli’sche Webstuhl ordentlich eingebürgert hat, werden die schönsten und bis jetzt kostbarsten Muster in Teppichen und Kleiderstoffen, Tüchern und textilen Zierrat aller Art auch den Unbemittelten zugänglich, und so gewinnt das Schöne und Anmutige in unserer Umhüllung und Umgebung eine unendlich weitere bürgerliche Ausdehnung, der wir uns mit der Zeit alle freuen können.

*) Die Karten für gewöhnliche Jacquard-Webstühle müssen nach Zeichnungen mühsam von Menschenhand gemacht werden, und sind nach einem Gebrauch nicht wieder benutzbar.

• Auf epilog.de am 20. September 2016 veröffentlicht

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