RubrikenLexikon

Guttapercha

Meyers Großes Konversations-Lexikon • 1905

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.

Guttapercha (richtiger Getah-pertcha, ›Milchsaft aus Sumatra‹, Tabangummi, Gettaniagummi, Gummi plasticum, Percha), aus dem Milchsaft einiger zur Familie der Sapotazeen gehörender Bäume gewonnene Substanz. Palaquium Gutta Hook, (s. Tafel), der früher hauptsächlich Guttapercha lieferte, ist ausgerottet, und man gewinnt gegenwärtig Guttapercha im Judischen Archipel aus Palaquium oblongifolium Burck auf Sumatra, Borneo, Malakka, Riau, Palaquium borneense Burck auf Borneo, Palaquium Treubii Burck auf Banka, doch scheinen die beiden letzten Arten in ihrer Heimat auch ausgerottet zu sein. Auch Payena Leerii Benth et Hook auf Malakka, Sumatra, Borneo, Bangka und Ambon liefert Guttapercha, die aber leicht faserig wird und weniger elastisch ist. Palaquium Gutta HookPalaquium Gutta Hook Man hat zur Gewinnung der Guttapercha die Bäume gefällt, Einschnitte in die Rinde gemacht und den austretenden Milchsaft gesammelt. Lässt man den Baum stehen, so kann man mehrere Jahre hindurch aus Einschnitten Guttapercha gewinnen (jährlich 1400 g), der Milchsaft fließt aber langsamer und spärlicher aus und deshalb haben die Eingebornen immer wieder Bäume gefällt. In neuerer Zeit hat man in Hinterindien, auf Sumatra und Java Plantagen mit Guttaperchabäumen angelegt. Auch hat man die Blätter und Zweige der Bäume mit Schwefelkohlenstoff, heißem Toluol, Harzöl oder Petrolether extrahiert und das Lösungsmittel verdunstet. Die trocknen Blätter enthalten 9 – 10 % Guttapercha und ein Baum liefert jährlich etwa 1 kg. Die so gewonnene grüne Guttapercha scheint aber unter dem Einfluss von Luft und Licht zu leiden. Der aus den Baumstämmen gewonnene Milchsaft erstarrt zu einer schwammigen Masse, diese wird vor der Erhärtung geknetet, in Bänder ausgezogen und dabei von beigemengten Verunreinigungen befreit, dann an der Sonne getrocknet. Die so erhaltene rohe Guttapercha (Getah muntah) wird mit Wasser und etwas Zitronensaft oder Kokosöl gekocht, von Verunreinigungen befreit und in Formen gegossen. Sie bildet dann Blöcke von 10 – 20 kg. Die Guttapercha des Handels ist in den besten Sorten fast weiß, sonst rötlich, oft ziemlich dunkel und marmoriert, auf dem Schnitt heller. Sie fühlt sich fettig an, ist geschmacklos, riecht namentlich beim Erwärmen charakteristisch, angenehm, besitzt etwa das spezifische Gewicht 0,96 – 0,99, ist undurchsichtig, schneidbar, bei 0 – 25° lederartig zäh, wenig elastisch und dehnbar. Bei 45° wird sie teigig, bleibt aber zäh, bei 62 – 65° wird sie weich und so geschmeidig, dass man sie zu sehr dünnen Blättern auswalzen und in Formen pressen kann, deren feinste Details sie auch nach dem Erkalten bewahrt. Bei 100° wird sie klebrig, auch in kochendem Wasser, in dem sie ihre Form verliert und aufquillt. Sie nimmt hierbei 5 – 6 % Wasser auf, das sie an der Luft sehr langsam wieder abgibt. Bei 150° schmilzt sie unter teilweiser Zersetzung. Bei höherer Temperatur gibt sie ähnliche Produkte wie Kautschuk. Guttapercha leitet Wärme und Elektrizität sehr schlecht, und durch Reiben wird sie stark negativ elektrisch. Sie widersteht den meisten Lösungsmitteln. In Wasser ist sie vollkommen unlöslich, Alkohol und Ether lösen sie nur zum Teil, Öl löst nur in der Hitze geringe Mengen. Dagegen löst sich Guttapercha leicht in Schwefelkohlenstoff und Chloroform, bei gelindem Erwärmen in Benzin, Terpentinöl, Erdöl und Kautschuköl. Sie widersteht konzentrierten Lösungen von Alkalien, Salzlösungen, verdünnten Säuren und dem Chlor, während sie von konzentrierter Schwefel- und Salpetersäure angegriffen wird.

Guttapercha besteht aus 78 – 82 % Gutta (C₁₀H₁₆)n und drei Oxydationsprodukten dieses Kohlenwasserstoffes, Fluavil C₁₀H₁₆O, Alban C₄₀H₆₄O₂ und sehr unbeständigem Guttan, sie enthält auch Gerbstoffe, Salze und zuckerähnliche Stoffe. An Luft und Licht, besonders bei 25 – 40° und in Form dünner Platten, Bänder oder Fäden, oder wenn sie abwechselnd befeuchtet und getrocknet wird, verändert sich Guttapercha schnell, wird brüchig, zerreiblich, harzig, in Alkohol, Ether und Alkalien löslicher und selbst ein guter Leiter der Elektrizität. Diese Oxidation erfolgt nicht im Dunkeln und unter Wasser, namentlich nicht unter Seewasser. Man bewahrt Guttapercha am besten auf in Gruben, die mit Wasser gefüllt und vom Licht abgeschlossen sind. Auch im Erdboden hält sie sich sehr gut; unterirdische Telegrafenkabel zeigen sich nach mehr als 25 Jahren unverändert, ebenso Seekabel, die in den Jahren 1850 – 69 gelegt worden sind. Gegen Schwefel verhält sich Guttapercha ähnlich wie Kautschuk.

Zur Verarbeitung wird die Guttapercha auf einer Schneidemaschine in seine Späne zerschnitten, die man mit kaltem und warmem Wasser wäscht und von den abgelösten Verunreinigungen durch Absetzen trennt, dann durch Einleiten von Dampf erweicht und durch Kneten zu Blöcken vereinigt. Diese zerreißt man in noch weichem Zustand durch eine schnell rotierende Zahntrommel in seine Teilchen, die durch zuströmendes Wasser fortgespült und ausgewaschen werden. Die erhaltene gleichförmige Masse wird zwischen Walzen mit dicken, stumpfen Zähnen geknetet und ist dann für den Gebrauch fertig. Lässt man sie zwischen glatten Walzen hindurchgehen, so erhält man sie in Form von Platten oder Papier und bei Einschaltung eines Schneideapparats in Form von Bändern. Ebenso werden Röhren gepresst etc. Wie Kautschuk, kann man Guttapercha auch vulkanisieren und ihr dadurch die unangenehme Eigenschaft entziehen, bei 40 – 60° zu erweichen. Besser als Schwefel, der beim Vulkanisieren des Kautschuks angewendet wird, eignen sich aber für Guttapercha die Unterschwefligsäuresalze des Bleies oder Zinks. Man mischt 100 Teile Guttapercha mit 15 Teilen des Salzes bei 100° und erwärmt den geformten Gegenstand auf 140°.

Guttapercha findet mannigfache Verwendung; man benutzt sie als Surrogat von Leder, Pappe, Papiermaché, Holz, Papier, Metall etc. in allen Fällen, wo es auf Undurchdringlichkeit gegen Wasser, Widerstand gegen Alkohol, Laugen und Säuren ankommt und keine höhere Temperatur mitwirkt. Die in der Wärme erweichte Guttapercha gibt beim Einpressen in befeuchtete Formen, Holzschnitte etc. sehr scharfe Abdrücke derselben, und man benutzt sie deshalb in der Galvanoplastik zur Darstellung der Formen. Einige der wichtigsten Verwendungen der Guttapercha sind außerdem Treibriemen, Röhren für Wasserleitungen, Pumpen und Spritzen, allerlei Gefäße, Liderungen, Sohlen, Bougies, Katheter, Ornamente, Rahmen, Messerhefte, Säbelgriffe, Peitschen, Knöpfe, Dosen, Hähne, Heber, Trichter, Überzüge für Walzen zum Pressen und Appretieren etc. Namentlich überzieht man mit Guttapercha Telegrafendrähte zu unterirdischen und unterseeischen Leitungen. Ein Gemenge von 1 Teil Guttapercha mit 2 Teilen Kautschuk steht in Bezug auf seine Eigenschaften in der Mitte zwischen beiden Substanzen und lässt sich wie Guttapercha vulkanisieren. Zur Darstellung von reiner, farbloser Guttapercha löst man 1 Teil in 20 Teilen Benzin, klärt die Lösung durch Zusatz von gebranntem Gips oder Tonpulver, zieht die klare Lösung ab und fällt durch Zusatz des doppelten Volumens Alkohol die reine Guttapercha, die man mit Alkohol wäscht, in heißem Wasser zusammenknetet und zu dünnen Stangen ausrollt, die unter Wasser aufbewahrt werden müssen. Sie dient meist nur als Zahnkitt, indem man sie in heißem Wasser erweicht und in die ausgetrocknete Zahnhöhlung drückt. Eine Lösung in 12 – 14 Teilen Chloroform diente früher unter dem Namen Traumaticin als elastisches Kollodium, haftet aber der Haut wenig fest an und zerfällt leicht. Durch Walzen hergestelltes Guttaperchapapier wird zu Verbänden benutzt. Guttaperchaabfälle können leicht wieder zusammengeknetet werden; durch Einwirkung der Luft brüchig und harzartig gewordene Guttapercha lässt sich zwar auch wieder zu einer homogenen Masse verarbeiten, erhält aber die Eigenschaften frischer Guttapercha nicht wieder. Man kann die Guttapercha mit Leinöl in jedem Verhältnis zusammenschmelzen und erhält dadurch Mischungen von verschiedener Konsistenz; 1 Teil Guttapercha gibt mit 10 Teilen Leinöl eine gleichförmige Auflösung, die sich zum Überziehen von Geweben u. dgl., also zum Wasserdichtmachen, eignet. Weißer Kattun wird durch diese Flüssigkeit gelblich durchscheinend, bleibt sehr weich und lässt sich leicht mit Farben bedrucken. Firnisse aus Guttapercha zum Überziehen von Guttaperchafabrikaten oder zum Wasserdichtmachen von Geweben bereitet Fry mit Terpentinöl oder Steinkohlenteeröl, die er aber zunächst mit Kautschuk oder Guttapercha (auf 5 kg Öl 180 – 240 g) destilliert. Guttaperchafirnis kann benutzt werden zum Überziehen von Dokumenten u. dgl., indem das Papier dadurch nicht verändert wird, der Firnisüberzug durchsichtig ist und mithin auch die feinste Schrift deutlich erkennbar bleibt. Das Dokument wird durch den Firnis gegen Wasser, Säuren, Alkalien vollkommen unempfindlich, und die Schrift kann nicht verlöscht werden. Man hat sich vielfach bemüht, Surrogate für Guttapercha herzustellen, die wichtigsten dürften die Nigrite sein, die aus Kautschuk mit den Rückständen der Ozokeritdestillation durch Zusammenkneten gewonnen werden. Sie besitzen größere Isolationsfähigkeit und bemerkenswert geringe elektrische Leitungsfähigkeit.

Im Handel unterscheidet man nach Obach vier Hauptgruppen von Guttapercha: 1) Echte Sorten, d. h. Guttapercha von Palaquium-Arten, insbesondere von Palaquium oblongifolium, und zwar Pahang von der Malaiischen Halbinsel, Bulongan rot von Borneo und Banjer rot von Borneo. 2) Soondie von Payena, und zwar Bagan goolie von Borneo, Goolie soondie rot oder Kotariugin goolie soondie von Borneo und Serapong goolie soondie von Sumatra. 3) Weiße Guttapercha von unbekannten Baumarten auf Borneo, vielleicht unter anderm von Palaquium polyanthum oder pustulatum und Payena-Arten. 4) Gemischte Sorten von Borneo (Sarawak), Sumatra (Padang) und Banka. Der Hauptstapelplatz aller rohen Guttaperchasorten ist Singapur. Zwei Drittel von dessen Ausfuhr, die von 1885 – 96: 32 000 Tonnen im Werte von 100 Mill. Mark betrug, gehen nach London und Liverpool, den Rest nehmen die Märkte von Hamburg, Rotterdam und Marseille auf. Von der englischen bleiben etwa drei Viertel in England. Guttapercha wurde in ihrer Heimat von den Eingebornen zu Axtstielen etc. benutzt. In Singapur lernten sie Montgomery und Joze d’Almeida kennen; ersterer legte sie 1842 der Indischen Kompanie, letzterer 1843 der Asiatischen Gesellschaft in London vor. Die ausgezeichneten Eigenschaften der Guttapercha riefen sehr schnell eine bedeutende Nachfrage hervor, und schon 1845 wurden 11,2 Tonnen in England eingeführt. 1882 betrug die Einfuhr in England 3602 Tonnen. Die so schnell hervorgerufene Nachfrage hatte zur Folge, dass die Gewinnung der Guttapercha in der rücksichtslosesten Weise betrieben wurde; man hieb die Bäume nieder und verwüstete in den ersten Jahren große Wälder. Erst durch die englische Guttapercha-Handelsgesellschaft wurde ein rationeller Betrieb eingeführt.

• Auf epilog.de am 1. September 2016 veröffentlicht

Reklame