Bau & Architektur – Brücken
Viadukt über das Cuyahogatal in Cleveland
Illustrirte Zeitung • 15.2.1879
Dem rastlos schaffenden Geist der Menschheit, der vor keinem Wagnis zurückschreckt, Hindernisse überwältigt, die unbesieglich schienen, Ideen verkörpert, deren Ausführung als unmöglich erachtet wurde, eint sich die materielle Kraft des heute zu hoher Vollkommenheit gediehenen Maschinenwesens, und beide miteinander in Verbindung rufen Schöpfungen hervor, deren Großartigkeit die Bewunderung der ganzen Welt erregt.

Ein solches Werk, das mit gerechtem Enthusiasmus begrüßt wurde, ist vor kurzem dem öffentlichen Verkehr übergeben worden: die Brücke, welche, das weite Tal des Cuyahoga überspannend, die beiden Ufer dieses Flusses miteinander verbindet. Dieser großartige Bau ist für den Geschäftsverkehr der aufblühenden Stadt Cleveland im nordamerikanischen Staat Ohio sehr wichtig und bildet zugleich eine Zierde für diese Ortschaft.
Viele Jahre vergingen in erbitterten Kämpfen über die Ausführung dieses Projekts. Einmal begonnen wurde das Werk dann aber mit jener Rührigkeit und Kühnheit ausgeführt, welche ein charakteristisches Merkmal der unternehmungslustigen Amerikaner bilden.
Einen Begriff von den Dimensionen der Brücke kann man sich nach der Mitteilung machen, dass auf derselben sieben Fuhrwerke bequem nebeneinander fahren können, während zu beiden Seiten der Fußweg Raum für je vier Mann bietet; in Zahlen ausgedrückt: 19½ m Gesamtbreite, wovon 12 m auf die Fahrstraße entfallen. Um von einem Ende der Brücke bis zum anderen zu gelangen, braucht man, mäßig ausschreitend, etwa 15 Minuten, da man eine Länge von 980 m zu durchmessen hat.
Auf der Ostseite von dem Hügel an der Superiorstreet beginnend, besteht der Viadukt zunächst aus einem 46 m langen gepflasterten Erddamm mit starken Widerlagermauern an den Seiten, dem sich dann die eisernen Brückenbestandteile anschließen. Zwischen dem ersten Flusspfeiler und dem ersten Bogen der steinernen Brücke auf der Westseite musste ein Raum von ca. 100 m überspannt werden, den eine Drehbrücke einnimmt, nicht die größte, wohl aber die schwerste der Welt, welche mittels Dampfkraft um einen steinernen Brückenpfeiler bewegt wird, der zum Teil im Wasser am Rand des westlichen Ufers steht. Sämtliches Eisen, das zu der Brücke verwendet wurde, ergibt ein Totalgewicht von 1440 t. Die Fortsetzung des Viadukts jenseits der Drehbrücke wird von steinernen Bögen gebildet, denen sich dann wieder ein Erddamm anschließt, der mit jenen zusammen eine Gesamtlänge von 420 m hat.
Wer auf der Brücke verweilt, um sich an der herrlichen Aussicht zu erfreuen, die sich hier bietet, der sieht ein prächtiges Panorama vor sich ausgebreitet; zur Rechten liegt einer der schönsten Seen der Neuen Welt, der von romantischen Ufern umrahmte Eriesee, zu Füßen des Beschauers entwickelt sich das rege Treiben der Flussschifffahrt oder, wenn des starren Winters Macht die Schiffe in eisigen Banden hält, das heitere Leben des Eislaufs. Zu beiden Seiten des Flusses erheben sich Häuser, Fabriken, Kirchen, zwischen denen sich Straßen entlang ziehen, und dem weiter schweifenden Auge zeigt sich zur Linken das von waldigen Höhen begrenzte Tal, das zahllose Eisenbahnlinien durchschneiden. Überall entfaltet sich reges frisches Leben, das auf eine gedeihliche Fortentwickelung Clevelands schließen lässt, für welches dieser Viadukt einen wichtigen Faktor bildet.