U-Bahn in Berlin

Untertunnelung eines
bewohnten Geschäftshauses für die
Untergrundbahn in Berlin

Zentralblatt der Bauverwaltung • 24.11.1906

Voraussichtliche Lesezeit rund 17 Minuten.
Geschäftshaus am GendarmenmarktAbb. 1. Geschäftshaus am Gendarmenmarkt in Berlin.

Die Fortsetzung der Berliner Untergrundbahn vom Potsdamer Platz nach dem Spittelmarkt sollte ursprünglich nach Durchquerung des Leipziger Platzes ganz durch die Mohrenstraße geführt werden. Das hätte die Durchbrechung des Häuserblockes nach der Niederwallstraße bedingt. Mit Rücksicht auf die kostspieligen Grundstückerwerbungen wurde wie bekannt diese Linienführung dahin abgeändert, dass die Bahn, am Gendarmenmarkt aus der Mohrenstraße kommend, von der Markgrafenstraße aus mit 80 m Halbmesser in die Taubenstraße einbiegt (Abb. 2). Hierdurch entstand die eigenartige Aufgabe, das an der Ecke Markgrafen- und Taubenstraße kürzlich errichtete Geschäftshaus des Architekten Theising (Abb. 1) nachträglich mit dem Tunnel zu unterfahren, und zwar im Gegensatz zu den Neubauten des Hotels Aschinger am Potsdamer Platz und der Erweiterung des Wertheimschen Warenhauses am Leipziger Platz, wo die Tunnelanlagen gleich bei der Gründung der Bauten vorgesehen waren, hier aber unter ein fertiges, in voller Benutzung befindliches Gebäude eingebaut werden mussten. LageplanAbb. 2. Lageplan. Zu dem Zweck waren das Kellergeschoss und die Grundmauern des Hauses entsprechend umzubauen. oder zu unterfangen und zu unterfahren. Die Achsteilung beträgt im allgemeinen rund 4,30 m. Große Fenster und reiche Sandsteinverblendung, an der Ecke schwere Erker und Giebelaufbauten, eiserne Stützen, Steindecken ohne gemauerte versteifende Zwischenwände kennzeichnen die Bauart des Hauses. Abb. 3 gibt den Grundriss der in Frage kommenden Ecke des Hauses wieder mit der Lage der Untergrundbahn und der erforderlichen Umbauten, Abb. 4 einen Querschnitt, welcher den Einbau des zweigleisigen Tunnels im Gebäudeinneren zeigt und die daraus erforderliche Art der Umbauten. Die neuen Grundmauern in der Nähe der Untergrundbahn mussten 0,9 m an den Seiten und 1,2 m an den Mittelstützen tiefer gelegt werden als die entsprechenden Tunnelfundamente, um Übertragung von Geräuschen und Erschütterungen durch den Bahnbetrieb auf das Gebäude zu vermeiden. GrundrissAbb. 3. Grundriss. Aus demselben Grund wurde die Hauskonstruktion in völlige Unabhängigkeit von der Tunnelkonstruktion gebracht. Der Fußboden über dem Tunnel, Kappengewölbe mit Kiesauffüllung, ist 1 m stark. Unter dem Eckpfeiler des Hauses war ein hinreichend starker und tiefer Pfeiler zu errichten, um nicht allein die Ecke des Hauses weiter zu tragen, sondern auch zum Teil die Lasten der übrigen Frontpfeiler und der Kellerdecke. Eine Verstärkung außerhalb der Baufluchten war selbstverständlich ausgeschlossen. Die Untergrundbahn musste deshalb so weit in das Hausinnere gerückt werden, dass dieser einzige Stützpunkt des Hauses auf der einen Tunnelseite die erforderliche Abmessung erhalten konnte. Auf der anderen Seite war eine der Bahnkrümmung folgende Stützmauer zu errichten, auf welcher die Haussäule A (Abb. 3) unmittelbar zu stehen kam. Querschnitt durch den TunnelAbb. 4. Querschnitt durch den Tunnel. Ferner war der mangelnden Bauhöhe wegen die Anordnung von Zwischenstützen notwendig, und zwar je einer unter den Frontmauern und zwei im Hausinneren, im ganzen also vier, die durch Mittel-Unterzüge verspannt waren, um die Kappenträger der Decke, vor allem die Träger zur Abfangung der Haussäule C (Abb. 3 u. 4) zu tragen. Diese eisernen Mittelstützen, welche nicht mehr als 35 cm mit Einschluss der Ummantelung aus Zement in der Quere messen durften, sind zu je zweien auf gemeinschaftlicher Grundplatte aus Trägerrost in Betonumhüllung gestellt. Von den Frontpfeilern steht der äußerste in der Taubenstraße auf der begrenzenden Stützmauer, die übrigen drei auf Zwillingsträgern nach Abb. 4. Auch drei Frontpfeiler an der Markgrafenstraße stehen in gleicher Weise auf Zwillingsträgern, die aus statischen Gründen und der Aufstellung wegen schwebende Stöße erhalten haben. Der innere Träger dieser Zwillingsträger hatte außerdem die schief eingewinkelten Kappenträger zu tragen. Auch die Mittelunterzüge sind schief eingewinkelt. Wie aus den dargestellten Einzelheiten (Abb. 4) hervorgeht, ist von vornherein bei der Entwurfsbearbeitung des eisernen Tragwerks auf möglichste Erleichterung der schwierigen Aufstellungsarbeiten Rücksicht genommen.

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• Auf epilog.de am 18. Oktober 2024 veröffentlicht

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