Bau & Architektur – Brücken
Umbau der Eisenbahn-Kettenbrücke über den Donaukanal in Wien
Zentralblatt der Bauverwaltung • 15.3.1884
Die im Jahr 1860 erbaute Kettenbrücke der Wiener Verbindungsbahn über den Donaukanal, bei welcher sich gefahrdrohende Schäden gezeigt haben, soll umgebaut und durch eine Bogenbrücke von 69 m Lichtweite ersetzt werden. Die Gesamtkosten dürften ‚sich auf 150 – 160 000 Gulden belaufen und es soll mit dem Bau der Brücke sofort begonnen werden, so dass die Pfeiler und Zubauten bereits im Juni, der Überbau, wenn möglich, im Oktober 1884 fertiggestellt wird. Die Montierungsgerüste sind mit Rücksicht auf die Fortdauer einer ungehinderten Schifffahrt entworfen worden. Der bemerkenswerte Umstand, dass eine eiserne Brücke nach kaum 24-jährigem Bestand schon gänzlich abgetragen werden muss, veranlasst zu den nachstehenden weiteren Angaben. Die Verbindungsbahnbrücke ist die erste für Lokomotivbetrieb erbaute Kettenbrücke, und zwar wurde dieselbe nach dem System Schnirch unter der Leitung des Erfinders mit Doppelketten, welche durch Streben versteift sind, ausgeführt, ein System, welches auch später mehrfach, z. B. bei der Aspernbrücke über den Donaukanal (für Straßenverkehr), Anwendung gefunden hat. Die Brücke ist zweigleisig und hat zwischen den Aufhängepunkten der Ketten eine Spannweite von 83,4 m, die Entfernung der Mittellinien der beiden Kettenwände beträgt 9,8 m, der Pfeil der Kettenlinie 1/20 der Spannweite. Die an den Hängestangen befestigten Querträger, auf welchen die Langschwellen des Gleises liegen, sind 0,76 m hoch und als engmaschige Gitterträger ausgeführt (s. Abb.).
Bereits bei der im August 1860 vorgenommenen Probebelastung, nach welcher die von der Staatsverwaltung erbaute Brücke von den den Betrieb führenden Direktionen der Nord- und Südbahn zu übernehmen war, zeigten sich mancherlei Anstände, welche den damaligen Baudirektor der Südbahn, K. v. Etzel, zu einem über den Wert der Konstruktion für Eisenbahnbrücken sehr absprechenden Gutachten veranlasste. Abgesehen von der erheblichen Senkung, bewirkte die Befahrung der Brücke jedes Mal eine heftige wellenförmige Bewegung der Fahrbahn, wodurch die Langschwellen und die auf denselben befestigten Schienen scharfe Biegungen erlitten. Die Versteifung der Kette zeigte sich als unzureichend, um den Bewegungen der Fahrbahn den nötigen Widerstand entgegenzusetzen, die Kette geriet selbst in entsprechende Schwankungen in senkrechter Richtung, und infolge dessen traten bedeutende Verbiegungen der Hängestäbe an beiden Enden der Brücke auf, welche nach Wegnahme der Belastung nur teilweise wieder verschwanden.
Auf Grund dieser Erscheinungen hielt v. Etzel die beständige sorgfältigste Beobachtung und Unterhaltung der Brücke für dringend geboten und beantragte schließlich, dass die Brücke nur unter der Bedingung in den Betrieb zu übernehmen wäre, dass die Staatsverwaltung die Kosten der Unterhaltung und der etwa erforderlich werdenden Wiederherstellung trüge und die Bahngesellschaften für alle Beschädigungen an den Fahrbetriebsmitteln, welche durch den abnormen Zustand der Brückenfahrbahn verursacht würden, schadlos hielte, und ferner, dass die Verantwortlichkeit für alle Unfälle, deren Eintreten in nicht ferner Zukunft nur allzu wahrscheinlich wäre, der Staatsverwaltung überlassen bliebe. Mag nun auch v. Etzel, durch seine Stellung veranlasst, in dem Ausdruck seiner Befürchtungen zu weit gegangen sein, so beweist doch die gegenwärtige Sachlage, dass sein Urteil im Großen und Ganzen richtig gewesen. Die Schäden der Konstruktion traten in den letzten Jahren in bedenklicher Weise zutage und äußerten sich, so viel wir hierüber erfahren konnten, zunächst in bedeutenden und unregelmäßig auftretenden Senkungen, unverhältnismäßigen Drehungen und sonstigen Deformationen der Hängestangen, in Abschleifung der Kettenbolzen u. dgl. m. Auch die Art der Befestigung der Querträger an den Hängestangen, welche beiderseits an vier Punkten erfolgt, soll als mangelhaft erkannt worden sein. Unserer Ansicht nach dürfte die zweigleisige Anlage mit ihrer dem Charakter des Hängewerkes so wenig entsprechenden einseitigen Belastung eine der Hauptursachen der schnellen Zerstörung der Brücke gewesen sein. Bereits im vergangenen Sommer wurde dieselbe in allen Teilen eingehend untersucht und, nachdem man sich überzeugt, dass eine bloße Wiederherstellung dem Zweck nicht genügen würde, mit der Aufstellung des Entwurfes für eine neue Brücke begonnen. Zu der raschen Inangriffnahme des Baues mag auch die Eröffnung des Personenverkehrs auf der Verbindungsbahn, welche früher nur dem Güterverkehr diente, beigetragen haben.