Handel & IndustrieDruck & Papier

Über Stereotypie und Polytyphie

Pfennig Magazin • 13.9.1834

Voraussichtliche Lesezeit rund 10 Minuten.

Unter den technischen Erfindungen des 19. Jahrhunderts, welche man als ein natürliches Ergebnis unseres Bildungsganges ansehen kann und die in der Kulturgeschichte der Menschheit als begreifliche Wirkungen von allgemein anerkannten Ursachen hervortreten, dürfte die Stereotypie fast den ersten Rang einnehmen. In einem unserer  früheren Blätter behaupteten wir, dass sich die Erscheinung der Schnellpresse nur als Folge eines allgemein empfundenen Bedürfnisses erklären lässt; das Nämliche können wir mit gleichem Rechte von der Stereotypie behaupten; sie ist nicht das Werk eines spekulativen Kopfes, der auf einen Entwurf gedacht hätte, welcher mit den Anforderungen des wirklichen Lebens in keiner Berührung gestanden hätte; sie ist nicht erfunden, um den Büchermarkt mit großen, die Preise herabdrückenden Vorräten zu füllen, sondern sie ist erfunden, um den geistigen Verkehr noch lebendiger zu machen, als er damals war, denn eben dieser Verkehr war es, der damals schon anfing, in allen Volksklassen einheimisch zu werden. Das Bedürfnis also gab als mittelbare Ursache der Stereotypie ihre Entstehung. Doch statt unseren Leser lange mit allgemeinen Betrachtungen zu ermüden, wollen wir den Schritt zur Sache tun. Alle unsere Leser kennen die Letternformen in Buchdruckereien. In diesen Formen stehen die Buchstaben in der Ordnung, wie wir sie auf dem bedruckten Papier finden. Ist mit dieser Letternform eine erforderliche Anzahl von Bogen bedruckt, so nimmt der Setzer die Lettern einzeln heraus und legt jeden Buchstaben in sein Fach. Es gibt nun Verhältnisse, in welchen sich die Notwendigkeit, die Arbeit zu vereinfachen und Zeit zu gewinnen, als unbezweifelt dringend herausstellt. Die erste Auflage eines Buches ist erschöpft, das Bedürfnis nach einer zweiten hat sich ausgesprochen, es sind eine Menge Bestellungen eingegangen, die Herstellung der zweiten Auflage muss beschleunigt werden usw. Man müsste also mit dieser zweiten Auflage wieder von vorn anfangen, der Setzer müsste seine Lettern wieder in die Formen einsetzen; das Buch aber ist 24 Bogen stark, und an einem Tag kann der Setzer nicht mehr als einen halben Bogen aussetzen; es müssten also entweder mehrere Setzer gleichzeitig beschäftigt werden, oder vor 48 Tagen wäre das Buch nicht ausgesetzt. Hier ist die Wahl zwischen zwei Übelständen gleich. Wie kann man nun einen Vorteil der Zeit gewinnen und das abermalige Setzen unnötig machen? Natürlich, wenn man die Lettern gleich anfangs in ihren Formen stehenließ. Aber da hätte man 48 Formen für 48 ganze Bogenseiten stehenlassen müssen; allein der Buchdruckereibesitzer hat seine Rahmen nötig, ein großer Teil seiner beweglichen Lettern steht untätig darin, und welch eine unermessliche Quantität von Lettern steckt nicht in einem Buch! Wie gewichtsvoll ist nicht eine Lettern- oder Satzform! Es war somit die Aufgabe zu lösen, wie bei einem möglichst geringeren Kostenaufwand, als beim alten Verfahren, dauernde Formen anzuschaffen wären, um dem augenblicklichen Bedarf eines Buches durch dessen schleunigsten Druck Abhilfe tun zu können, ohne sämtliche Satzformen in den Rahmen stehenzulassen. Statt nun einen Abriss der Erfindungsgeschichte dieser Kunst zu liefern, halten wir es für zweckmäßiger, das jetzt angewendete Verfahren der Stereotypie selbst zu erklären. Diejenigen unserer Leser aber, welche sich gründlich über die früher angewandten Verfahrungsweisen, z. B. die Didotsche, Herhansche und Hoffmannsche Methode unterrichten wollen, verweisen wir auf den  Beitrag von Karl Karmarsch im Jahrbuch des polytechnischen Instituts in Wien. Es ist nun unsere Aufgabe, so verständlich und gründlich, als es in unseren Kräften steht, bei unserer Darstellung zu Werke zu gehen, und auf Verständlichkeit und Klarheit der Darstellung des Nützlichen hat der Leser ein begründetes Recht, als ihm die Genauigkeit, mit welcher technische Operationen beschrieben werden, die wirkliche Anschauung ersparen soll.

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• Auf epilog.de am 3. September 2024 veröffentlicht

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