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Über den Wert der Fahrstraßenhebel in Weichen- und Signal-Stellwerken

Zentralblatt der Bauverwaltung • 1.10.1892

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

In den Weichen- und Signal-Stellwerken wird die erforderliche Abhängigkeit zwischen den Weichen- und Signalhebeln im Allgemeinen auf die Weise erzeugt, dass zugleich mit der Umlegung eines Signalhebels eine Schubstange verschoben wird, welche mittels der darauf angebrachten Verschlussteile die Verriegelung der Weichen­hebel bewirkt. Kann die Stange wegen der unrichtigen Stellung irgendeines beteiligten Weichen­hebels nicht verschoben werden, so ist auch das Ziehen des Fahrsignals nicht möglich. Neuerdings schaltet man aber vielfach zwischen Signal- und Weichen­hebel einen sogenannten Fahrstraßenhebel ein, welcher jenes Abhängigkeitsverhältnis vermittelt. Sind die Weichen für eine bestimmte Fahrstraße gestellt, so muss zunächst der Fahrstraßenhebel umgelegt und dadurch die Verriegelung der Weichen­hebel bewirkt werden; erst dann ist es möglich, das entsprechende Fahrsignal zu ziehen. Um die Weichen­hebel wieder frei zu geben, muss zuerst das Fahrsignal eingezogen und dann der Fahrstraßenhebel in seine Grundstellung zurückgelegt werden. - R E K L A M E - Hans Dominik: Denkende Maschinen Diese anscheinend überflüssige Weitläufigkeit bietet den Vorteil, dass das Fahrsignal unmittelbar nach der Durchfahrt des Zuges eingezogen werden kann, ohne dass dadurch der Stellwerkswärter sogleich in den Stand gesetzt wird, auch die Weichen umzustellen. Es kann damit also dem betriebs­gefährlichen Umstellen einer Weiche unter dem Zug vorgebeugt werden. Diese Maßregel hat besonders dann Wert, wenn der Signalmast zugleich Blockmast ist und zur Ermöglichung einer schnellen Zugfolge das Fahrsignal recht frühzeitig eingezogen werden muss, damit die von dem vorausfahrenden Zug verlassene Blockstrecke für den nächstfolgenden freigegeben werden kann. Die Wirkung der bezeichneten Maßregel ist freilich nur dann sicher, wenn man den Zug selbsttätig bei der Freigabe des Fahrstraßenhebels mitwirken lässt. Zu diesem Zweck wird an einem Punkt, welcher etwas weiter als eine größte Zuglänge hinter der fraglichen Weiche liegt, neben dem Gleis eine Taster­vorrichtung angebracht, welche bei dem Darüber­rollen der ersten Loko­motiv­achse auf elektrischem Wege eine Hemmung im Stellwerk auslöst und dadurch den Augenblick bezeichnet, von welchem ab der bis dahin festgehaltene Fahrstraßenhebel zurückgelegt werden kann. Erst hierdurch erlangt letzterer seine volle Bedeutung.

Statt dessen ist auch in Vorschlag gebracht, den gezogenen Fahrstraßenhebel unter elektrischen Blockverschluss der Station zu legen, dergestalt, dass diese die Freigabe des Fahrstraßenhebels und damit auch der Weichen­hebel nach vollständiger Einfahrt des Zuges zu bewirken hätte. Dies würde aber häufig nachteilige Verzögerungen in der Benutzung der Weichen zur Folge haben und hat deshalb bei den Bahnverwaltungen keinen Anklang gefunden.

Hier sei noch auf eine anderweitige Möglichkeit, den Fahrstraßenhebel zu verwerten, aufmerksam gemacht, wie sie sich bei Anwendung von Ausfahrtsignalen nicht selten bieten dürfte.

Die vorstehende Abbildung soll in einfachen Linien das westliche Ende einer Station darstellen, welche von einzelnen Zügen ohne Aufenthalt durchfahren wird. Die Signale A, B, C werden ebenso wie die Weichen 1, 2, 3 von dem Stellwerk Wbd (Westbude) aus bedient. Die Ausfahrt eines Zuges von Gleis I nach Westen kann nur freigegeben werden, wenn Weiche 1 auf das gerade Gleis und die feindliche. Weiche 2 b auf das gekrümmte Gleis eingestellt und in dieser Stellung verriegelt ist. Die Signale B und C sollen zugleich dazu dienen, den Zug nicht früher aus der Station hinauszulassen, als bis von der nächsten Station bzw. Blockstation die anschließende Blockstrecke freigegeben ist. Deshalb werden die Signalhebel für die Ausfahrt ebenso wie der für die Einfahrt vom Stations­büro aus unter Blockverschluss gehalten und können von dort erst freigegeben werden, nachdem die Station selbst ihr Streckenblockfeld freibekommen hat. Außerdem bedingt die Rücksicht auf die Betriebssicherheit, dass einem Zug, der von Osten kommt und die Station ohne Aufenthalt zu durchfahren hat, die Einfahrt nur freigegeben werden kann, nachdem auch die Weichen 1 und 2 b in die angegebene Stellung gebracht und darin verriegelt sind; es könnte sonst vorkommen, dass bei Ausfahrt eines Güterzuges aus Gleis III nach Westen zwar das Haltesignal an dem Ausfahrts­mast B stände, dass aber ein von Osten auf Gleis I einfahrender Zug vor diesem Haltesignal nicht rechtzeitig zum Stehen gebracht werden könnte, namentlich, wenn bei Nebel der Lokomotivführer das Signal erst in großer Nähe erkennen sollte. Um dem dann unvermeidlichen Zusammenstoßes vorzubeugen, würde es also angezeigt erscheinen, dass zunächst das Fahrsignal am Mast B hergestellt sein müsste, ehe vom Stations­büro aus die Einfahrt von Osten her freigegeben werden kann. Das Blockwerk der Station müsste demgemäß in entsprechende Abhängigkeit von der Stellung des Ausfahrtsignalhebels in Wbd gebracht sein. Dies würde aber zur Folge haben, dass auch für die auf der Station haltenden Züge der genannten Richtung vor der Einfahrt jedes Mal schon das Ausfahrtsignal am westlichen Stations­ende hergestellt sein müsste. Wäre dies auch an sich nicht unzulässig, da das Ausfahrtsignal grundsätzlich nicht als Auftrag zum Ausfahren gelten soll, so würde doch damit ein wesentlicher Nachteil verknüpft sein; es würde nämlich, solange die nächstfolgende Blockstrecke noch von einem Zug der Richtung Ost-West besetzt ist, das Einfahrtsignal am östlichen Stations­ende überhaupt nicht gegeben werden können. Hier bietet nun wieder die Einschaltung eines Fahrstraßenhebels in das Stellwerk Wbd die gesuchte Abhilfe. - R E K L A M E - Der neue Werkstätten-Bahnhof der Berlin-Anhalter Eisenbahn bei Tempelhof Trifft man die Anordnung so, dass durch die Umlegung jenes Hebels nicht nur die Verriegelung der Weichen 1 und 2 b bewirkt, sondern auch zugleich in dem Blockwerk der Station eine Hemmung ausgelöst und dadurch die Freigabe des östlichen Einfahrtsignals ermöglicht wird, so ist die richtige Stellung der Ausfahrtsweiche 1 und die abweisende Stellung der feindlichen Weiche 2 b unter allen Umständen gesichert, sobald der Lokomotivführer am östlichen Stations­ende das einarmige Einfahrtsignal vorfindet; dagegen braucht das Ausfahrtsignal an dem Mast B nur gezogen zu werden, wenn der betreffende Zug die Station ohne Aufenthalt durchfahren soll, und der Stellwerkswärter erhält dazu den Auftrag durch die elektrische Freigabe des zugehörigen Signalhebels vom Stations­büro aus. Züge, die auf der Station zu halten haben, brauchen daher nicht unnötigerweise vor dem Einfahrts­mast zurückgehalten zu werden, und durchfahrende laufen nicht Gefahr, am westlichen Stations­ende einen Zusammenstoß zu erleiden. Allerdings wird es bei schneller Zugfolge vorkommen können, dass ein Zug, welcher planmäßig durchzufahren hätte, zum Halten gebracht werden muss, weil die nächste Blockstrecke noch nicht frei ist, und zwar wird dies in manchen Fällen, namentlich bei Nebel, zweckmäßig nicht auf, sondern vor der Station zu geschehen haben, damit der Lokomotivführer nicht in die Lage kommt, möglicherweise an dem zu spät erkannten Haltesignal bei B vorüberzu­fahren. Dies ist dann aber eine überhaupt nicht zu vermeidende Verzögerung, die lediglich auf die vorgeschriebene Inne­haltung des Stationsabstandes zurückzuführen ist.

Die Fahrstraßenhebel in dieser bisher ungewöhnlichen Weise nutzbar zu machen, dürfte sich in nächster Zeit häufiger Gelegenheit bieten; denn die in § 3 der Betriebsordnung vom 5. Juli 1892 neu aufgenommene Bestimmung über die Sicherung spitz befahrener Weichen wird vielfach zur Aufstellung von Ausfahrtsignalen Anlass geben, und anderseits wird das wiederholte Vorkommen von Zusammenstößen infolge der Nachlässigkeit einzelner Stations­beamten bezüglich der Inne­haltung des Stationsabstandes zwischen zwei Zügen gleicher Richtung es nahe legen, diese Ausfahrtsignale entweder unmittelbar in die durchgehende Blockleitung einzubeziehen oder, wie hier angenommen, durch Vermittlung des Stations­büros von der Freigabe der anschließenden Blockstrecke abhängig zu machen.

• H. Oberbeck.

• Auf epilog.de am 31. Mai 2025 veröffentlicht

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