DaseinsvorsorgeWasserwirtschaft

Die Trockenlegung des Sees Fucino

Das Neue Universum • 1880

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Nicht weit von Tagliacozzo liegt, oder richtiger lag der Fuciner oder Colaner See. Wie das Harlemer Meer jetzt nur noch dem Namen nach besteht und in die saftigsten Wiesen und die fruchtbarsten Äcker verwandelt ist, so ist auch der größte der mittelitalienischen Seen ausgetrocknet und der Landwirtschaft dienstbar gemacht worden.

Römischer TunnelAlter römischer Tunnel unter dem Monte Salviano.

Das Gebirge der Apenninen ist vielfach wild und zerklüftet. Der See von Fucino wurde gespeist durch die zählreichen kleinen Wasserläufe, welche von dem Gebirge in die Tiefe rieselten und sich in einem mächtigen Kessel ohne Abfluss sammelten. Durch den Monte Salviano ist er von dem nahen Flüsschen Liri geschieden. Aber diese abgelegene Stelle, 155 km nördlich von Neapel und 86 km östlich von Rom, war deshalb doch schon im Altertum berühmt. Schon Julius Cäsar fasste den Plan, den See auszutrocknen, doch ohne ihn auszuführen. Sein vierter Nachfolger Claudius griff den Plan wieder auf. Die zu diesem Zweck ausgeführten technischen Arbeiten wurden von Plinius für die bemerkenswertesten und außer­ordent­lichsten in dieser für die römische Zivilisation so bedeutsamen Periode erklärt. Auch Tacitus, Suetonius und Diocassius erzählen mit Rühmen von diesen Arbeiten, welche von Trajan und Hadrian, im Mittelalter durch Friedrich II., vielleicht auch von Alphons I. von Arragonien und dann von den neapolitanischen Fürsten fortgesetzt, aber nicht beendigt wurden. Welche kolossale Arbeiten aber auch in früherer Zeit ausgeführt wurden, zeigt ein römischer Tunnel unter dem Monte Salviano der nebenstehenden Abbildung mit dem Blick gegen den jetzt verschwundenen See dargestellt ist. Offenbar war er von Anfang an zu hoch gelegt und wurde nach und nach vertieft, ohne aber die genügende Tiefe zu erlangen. Nach allen diesen vergeblichen Bemühungen hatte man sich daran gewöhnt, das ganze Projekt für unausführbar zu halten. Da wurde es in unserer Zeit von dem enorm reichen Fürsten Alexander Torlonia aufs Neue in Angriff genommen und den modernen Hilfsmitteln der Technik und der Ingenieurwissenschaft gelang die Ausführung vollkommen. Schwierigkeiten, die in 18. Jahrhunderten nicht bewältigt werden konnten, sie sind beseitigt worden und kann die Trockenlegung des Fucinus als ein Triumph des menschlichen Geistes in ähnlicher Weise gefeiert werden, wie der Suezkanal oder die amerikanische Pazifik­bahn.

Nicht der Gewinn an Ackergrund allein war es, der von Kaiser Claudius an bis jetzt den Gedanken an die Austrocknung des Sees zäh festhalten und schließlich zur Ausführung kommen ließ; namentlich sollten dadurch die gesundheitlichen Verhältnisse des umgebenden, reich bewohnten Gebietes gehoben werden. Elf Jahre lang ließ Claudius an einem Tunnel durch den Monte Salviano arbeiten, 30 000 Menschen wurden dabei beschäftigt, vierzig Schächte wurden dabei abgeteuft, und am Schluss stellte sich heraus, dass der Tunnel viel zu hoch angelegt war, so dass das Wasser kaum zur Hälfte seiner Höhe ausfließen konnte.

See Fucino 1861Der See Fucino im Jahr 1861 vor seiner Austrocknung (15 775 Hektaren Oberfläche).

1854 begannen die Arbeiten des Fürsten Torlonia. In der Richtung des römischen Tunnels wurde tiefer ein neuer gelegt, und schon am 9. August 1862 begann der Ausfluss des Seewassers. Während 405 Tagen bis zum 30. September 1863 (12 Tage lang wurde in dieser Zeit der Abfluss gesperrt) flossen 16 m³ in der Sekunde ab, oder im Ganzen nahe 541 000 000 m³. Dabei sank die Oberfläche des Sees um 4,3 m. Hatte sich nun auch die ursprüngliche Wasserfläche von 16 000 Hektaren sehr wesentlich vermindert und einen großen Teil des Seebodens freigelegt, so genügte dies doch noch nicht. Ein zweiter Kanal D E wurde nun bis zur tiefsten Stelle gelegt, die ringsum vom Gebirge kommenden Wasserläufe aufgefangen, vereinigt und ebenfalls in den Haupttunnel geleitet – Arbeiten, die viel Zeit und Geld kosteten, die aber jetzt beendet sind, so dass der ehemalige See von Colano oder Fucino als solcher nicht mehr vorhanden ist. Die zahlreichen Fischer, die nur von dem See lebten, wurden durch Überweisung von Ackerland entschädigt und sehr bald zeigte sich auch der günstige Einfluss der Beschäftigung auf den Charakter des Volks. Doch nicht die ganze trockengelegte Fläche von 17 000 Hektar konnte direkt dem Ackerbau überwiesen werden; natürlich geht ein Teil desselben durch Kanäle, Weganlagen etc. verloren.

Ausgetrockneter See FucinoDas Bett des ausgetrockneten Sees Fucino. Gegenwärtiger Zustand der Besitzung des Prinzen A. Torlonia, entstanden nach der Trockenlegung des Sees, mit den ausgeführten Arbeiten und der Einteilung des Bodens für die Kultivierung.

Die Stelle, wo das Wasser seinen unterirdischen Lauf beginnt, ist durch einen künstlerisch vollendeten Monumentalbau bezeichnet. Bedeutende Erdmassen mussten vorher bewegt und das Gebiet in Terrassen abgestuft werden. WasserfallFall des abgeleiteten Wassers in den Fluss Liri. Die Umgebung ist parkartig angelegt und bietet ein reizendes Bild. Von der über 7 m hohen Galerie hat man einen wundervollen Blick auf die gewonnene fruchtbare Ebene von etwa 5 Stunden Erstreckung in der Richtung der Längsachse, die ringsum von Bergen umsäumt ist. Sie liegt 657 m über dem Meer und zeigt auf einen Blick all die großartigen Anlagen, die erforderlich waren, um sie dem Wasser abzuringen.

Ehe der Tunnel durch den Mont Cenis beendet war, konnte kein anderer mit dem Tunnel Torlonia durch den Monte Salviano an Länge wetteifern. Aber man darf dabei nicht vergessen, dass ja Torlonia die gesamten Arbeiten auf eigene Kosten ausführen ließ, die sich innerhalb 23 Jahren auf mindestens 50 Millionen Franken beliefen.

Nicht das alte Seebecken allein hat an Schönheit gewonnen; wahrhaft malerisch ist die Stelle am Ufer des Flusses Liri, MonumentMonument am Beginn der unterirdischen Wasserleitung. wo das Wasser des Fucino aus dem Tunnel sich ergießt und sich in mächtiger Kaskade mit dem des Liri mischt.

Es ist eine schöne Sache, reich zu sein. Wie selten aber finden wir den Reichtum da, wo zum Besten der ärmeren und ganz armen Mitmenschheit ein passender Gebrauch von den irdischen Glücksgütern gemacht wird. Fürst Torlonia ist ungeheuer reich, aber er hat mit seinem Geld ein wahrhaft großes Werk geschaffen groß durch die Masse der Arbeit an sich und der zu bewältigenden Schwierigkeiten, groß durch die darauf verwendeten Summen. Am größten aber ist sie durch die bewegende Ursache. Er wollte die sittlichen und ökonomischen Verhältnisse der Bevölkerung heben, er wollte den Gesundheitszustand verbessern. Beides ist ihm gelungen. Aus nomadischen armen Fischern hat er behagliche und fleißige Ackerbauern gemacht und das Sumpffieber ist auch im Winter verschwunden. Fürst Torlonia hat sich durch das Austrocknen des Sees von Fucino ein unvergängliches Denkmal gesetzt.

• Auf epilog.de am 12. Mai 2025 veröffentlicht

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