Handel & Industrie – Lebensmittelproduktion
Der Thunfischfang
Pfennig Magazin • 22.12.1834
Alle Länder, ja man könnte fast sagen alle Städte Europas haben ihre Volksfeste; allein es dürfte kaum eine Volksbelustigung geben, welche mit einer so lebhaften Teilnahme von Seite aller Stände begangen wird, und deren Entstehung zugleich sich in ein so entferntes Altertum verliert, als der Thunfischfang in Sardinien; ein Fremder, der diese Insel besuchte und dieser Lustbarkeit nicht beiwohnte, wird sich nicht rühmen können, Sardiniens Volksleben in seinem ganzen Umfange zu kennen.
Der Thunfisch.Der Thunfisch, schon von den Römern als eine Delikatesse geschätzt, macht einen wichtigen Handelsartikel Siziliens, Sardiniens und einiger Seestädte Frankreichs aus. Er gehört in die Gattung der Makrelen, ist bis beinahe auf die Mitte des Bauches stahlblau, welche Farbe ohne Schattierung in einen Silberschiller übergeht, wird zwei bis zehn Fuß lang, an sechs Zentner schwer und so fett, dass ihm zuweilen die Haut platzen soll, und ohne Zweifel ist er der größte Fisch unter denjenigen, welche in Europa gegessen werden. Dieser gefräßige Raubfisch bemächtigt sich der kleineren Fische, indem er durch Schwimmen in schneckenhausförmigen Linien (Spirallinien) einen Strudel hervorbringt, in welchen jene immer mehr und mehr in die Enge getrieben werden, bis sie, die Gefahr nun wohl ahndend, sich aber nicht mehr retten können und in den offenen Rachen ihres Feindes geraten. Zur Laichzeit zieht er, gleich der Sardelle, aus der Nordsee in das Mittelländische Meer, setzt an den Küsten Frankreichs, Spaniens und Portugals zur Zeit der Sommersonnenwende seine Eier ab, die nicht größer als Mohnsamenkörner sind, und kehrt mit der jungen Brut gegen den Winter in seine Heimat zurück. Auf diesen Zügen, wo die Thunfische in Gesellschaft zu Tausenden schwimmen, sollen sie sich oft so dicht zusammendrängen, dass man kaum mit einem Boote sich durcharbeiten kann. Man sieht ihn häufig aus dem Wasser springen. Die Form des Zuges gleicht der bei älteren Völkern üblichen keilförmigen Schlachtordnung; an der Spitze des Thunfischgeschwaders schwimmt ein großer und starker Fisch, welchem die anderen instinktmäßig nachziehen. Schon in beträchtlicher Entfernung kündigt sich ihre Ankunft durch ein dem heftigen Wind ähnliches Geräusch an. Ein Flintenschuss, sowie überhaupt ein plötzlicher Lärm, oder, wie bei den Sardellen, ein heller Gegenstand, unterbricht den Zug und bringt ihn in Unordnung. Von dieser Eigenschaft erzählt schon der römische Naturforscher Plinius folgendes Beispiel: »Im Frühling ziehen die Thunfische in zahlreichen Scharen aus dem Mittelländischen in das Schwarze Meer; nahe bei dem Vorgebirge von Chalkedon erhebt sich ein nackter Fels von blendend weißer Farbe, vor welchem sie, sobald sie ihn gewahr werden, plötzlich umkehren und dem byzantinischen Vorgebirge, welches der Küste von Chalkedon gegenüberliegt, zuschwimmen. Diese Veränderung ihres Zuges verursacht, dass der Thunfischfang am byzantinischen Vorgebirge sehr ergiebig ausfällt.«
Wie schon oben bemerkt, ist der Thunfischfang ein wahres Volksfest, und nichts kann für einen Fremden, der das Innere der Insel bereiste, gegen die Einöden, welche er eben durchstreifte, einen interessanteren Kontrast abgeben, als das Volksgewühl zu Portoscuso. Hier herrscht ein lebendiges Gemisch aller Stände, und alles, was für Frohsinn empfänglich ist, eilt der Meeresküste zu, um sich in den allgemeinen Jubel einzumischen und der wilden Treibjagd, welche mit dem Thunfisch vorgenommen wird, beizuwohnen. Das Schauspiel ist in der Tat unvergleichlich. Die Matanza, wie man in Sardinien den Fang nennt, wird damit eröffnet, dass die Schiffer eine große Strecke des Meeres mit ihren Fahrzeugen versperren. Gleichzeitig werden, gleichlaufend mit den Küsten, die Netze geworfen; letztere bilden zwei lange Parallelwände, werden nach oben durch große am Saum befestigte Korkstücke, nach unten jedoch durch Blei, Steine und an verschiedenen Stellen durch eiserne Anker straff gehalten und nehmen oft eine Strecke von bis zu 2000 Metern ein. Kommt nun ein Geschwader von Thunfischen angeschwommen, so kehrt es an den Fahrzeugen um, schwimmt der Küste zu und befindet sich so zwischen den Netzen und dem Ufer. Die Fische merken nun bald, dass sie in die Enge getrieben sind und suchen an den Netzen einen Ausweg. Die Netze, welche auf diese Bewegung der Fische eingerichtet sind, bestehen aus mehreren durch Quernetze geteilte Zellen, von denen jede Wand nach Bedürfnis geöffnet und geschlossen werden kann. Solange kein Fisch darin ist, sind sie sämtlich offen. Die Längenwand eines Netzes hat nur eine Öffnung, und sobald nur erst ein einziger Fisch in dieselbe geschwommen ist, kann man sicher auf zahlreiche Nachfolger rechnen.
In nebenstehender Abbildung ist diese Öffnung mit C bezeichnet. Der Fisch würde also zuerst in die Zelle 3 geraten; hier sucht er wieder einen Durchgang und gerät in 2 und endlich in 1. Da aber seine Gefährten nachschwimmen, so kehrt er nicht um, und auf diese Weise füllt sich bald die erste Zelle, welche alsdann zugezogen wird. Eine gleiche Bewandtnis hat es mit den übrigen Zellen. Sobald auch der Eingang C geschlossen ist, umlagern die Fischer mit ihren Booten die Zelle B, welche man Totenkammer (camera di morte) nennt, und nun beginnt die Hauptszene des ganzen Fischfanges. Sobald diese, gewöhnlich mit vielen tausend Fischen gefüllte Totenkammer in die Höhe gezogen wird, schlagen die Thunfische mit ihren Schwänzen wie rasend um sich und verursachen eine heftig schäumende Bewegung des Meeres, gegen welche sich die Boote behaupten müssen. Ein alter erfahrener Schiffer führt bei dem Fischfang das Kommando, fährt auf seinem Kahn von einer Totenkammer zur anderen, spricht den Schiffern, die sich gegen den Wellenschlag behaupten müssen, auf eine altherkömmliche Weise Mut ein, oder gibt ihnen für ihre Saumseligkeit oder ihre Ungeschicklichkeit Verweise. Ist das Netz so weit in die Höhe gehoben, dass die Fische dicht nebeneinanderzuliegen kommen, so geht es an ein schreckliches Morden und Schlachten, dass einem an diese Szenen nicht gewöhnten Zuschauer heiß und kalt zu Mute wird. Die Schiffer, von Branntwein halb berauscht, ergreifen ihre mit Spitzen versehenen Stangen und fahren damit regellos und so wütend unter die zappelnden Meerbewohner, dass in wenigen Augenblicken die Oberfläche des Wassers, so weit man sehen kann, rot gefärbt ist. Das blitzschnelle Zappeln der Fische, das schäumende Blutmeer, das Töten und Jubeln der Fischer, die kleinen Unfälle, die sich dabei ereignen, die Anstrengungen der Bootsleute, um einen Fisch von mehreren Zentner Gewicht an Bord zu bringen – Szenen, die sich bald hier, bald dort erneuen – gewähren ein Schauspiel, das nicht nur auf jeden Fremden einen unauslöschlichen Eindruck macht, sondern auch jedes Jahr von den Bewohnern Sardiniens mit neuem und ungeschwächtem Beifall betrachtet wird. Ein Kanonenschuss kündigt die Rückkehr der Fahrzeuge an, die, mit reicher Beute belastet, ans Land stoßen. Hier werden die etwa noch lebenden Fische vollends getötet, sogleich ausgeweidet und in den schon bereitstehenden Fässern eingesalzen. Alles, was Appetit hat, speist nun Thunfisch, und die Familien laden einander zu Thunfischschmäusen ein. Gewöhnlich haben sich zu diesem Volksfest eine Menge Fremder, sowohl Ausländer als Bewohner des Inneren der Insel, eingestellt, wodurch alsdann fast in allen Familien die Tafeln um diese Zeit einen beträchtlichen Zuwachs von Gästen erhalten.
Ungekocht sieht das Fleisch des Thunfisches wie Rindfleisch aus. »Man kann sich«, sagt der italienische Schriftsteller Cetti, »kaum einen Begriff von den mancherlei Geschmäckern des an den verschiedenen Stellen seines Körpers befindlichen Fleisches machen. An jedem Teil hat das Fleisch einen anderen Geschmack; hier ähnelt er dem Kalbs- und dort dem Schweinefleisch. Die sardinischen Fischer haben zur Bezeichnung dieser verschiedenen Fleischsorten eine Menge Wörter, welche mein Gedächtnis nicht behalten hat. Das mit dem Namen sorra bezeichnete Bauchstück ist das köstlichste, und noch einmal so teuer die carne netta, in welche jenes übergeht.«
Wie alle zur Gattung der Makrelen gehörigen Fische, so ist auch der geschlachtete Thunfisch sehr weichlicher Natur, und außerhalb des Wassers hält er sich kaum drei Stunden frisch, worauf er schnell in Fäulnis übergeht; daher wird er auch mit aller nur möglichen Schnelligkeit eingesalzen oder mariniert. Das Verfahren des Marinierens besteht darin, dass man ihn in Stücke schneidet, diese auf eisernen Rosten über dem Feuer braten lässt, sie alsdann mit Öl bestreicht und hernach mit Salz, Pfeffer, Gewürznelken und Lorbeerblätter einmacht. Zum Einsalzen bezieht man das Salz von Trapani in Sizilien, weil das sardinische zu diesem Zwecke untauglich ist. Aus den Köpfen und Eingeweiden bereitet man Tran, welcher in Italien, sowie an allen Orten, wo Thunfischfang ist, zum Brennen benutzt wird. In Sizilien wird der Thunfisch an der ganzen nördlichen Küste, vorzüglich aber zu Palermo, gefangen und man versendet von da jährlich über 20 000 Fässer marinierter oder eingesalzener Thunfische. Frankreich erhält seinen Thunfisch aus der Provence. Vorzüglich ist daselbst die kleine Stadt Saint-Tropez ihres marinierten Thunfisches wegen im Rufe, von wo man diesen Artikel weit und breit versendet.