Handel & Industrie

Der Thüringer Medizinhandel

Die Gartenlaube • 1873

Voraussichtliche Lesezeit rund 16 Minuten.

Die Thüringer Medizinhändler dürften wohl den meisten unserer Leser unter dem Namen ›Balsamträger‹, ›Olitätenträger‹, oder ›Königseer‹ (nach dem von dem schwarzburgischen Amt Königsee ausgestellten Reisepass) bekannt sein, da dieselben mit ihren Arzneiwaren früher ganz Deutschland und die angrenzenden Länder durchwanderten. Es gab wohl einen ähnlichen Industriezweig auf dem Erz- und Riesengebirge; besonders wurden Schneeberger Wurzelmänner im vorigen Jahrhundert als Konkurrenten der Thüringer Balsamträger genannt. Nirgends aber hat das Verfertigen von Arzneimitteln und deren Vertrieb eine solche Ausbildung erlangt wie in Thüringen und hier ganz besonders wieder in der Oberherrschaft des Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt. Wir haben uns nun die Aufgabe gestellt, auf die Geschichte dieses merkwürdigen Industriezweiges näher einzugehen.

Zu welcher Zeit unsere Balsamträger vom Thüringer Wald zuerst in die Welt gezogen sind, ist uns unmöglich zu bestimmen gewesen. Berthold Sigismund in seiner Landeskunde des Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt nimmt an, dass der Handel der Balsamträger im 17. Jahrhundert, bald nach dem Dreißigjährigen Krieg entstanden sei, und nennt einen aus Oberweißbach stammenden Apotheker in Breitenbach, J. M. Mylius, als den Ersten, der Arzneien durch Herumträger habe verkaufen lassen.

Indessen glauben wir, einen älteren Ursprung annehmen zu dürfen. Sollte nicht der Apotheker Mylius als Oberweißbacher den hier schon herrschenden Medizinhandel erst nach Breitenbach verpflanzt haben? Auffällig ist jedenfalls, dass er in Oberweißbach in Zeiten, so weit man zurückgehen kann, in der Blüte stand und noch steht, während er in Breitenbach nie zur Ausdehnung gelangte. Zuzugeben ist allerdings, dass der Aufschwung dieses Industriezweiges erst in die Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege fällt. Dass es schon im 16. Jahrhundert Ruß-Hütten, Pottaschesiedereien, Öfen zur Darstellung von Teer und Bergöl in diesem Distrikt des Thüringer Waldes gab, ist aus alten Urkunden ersichtlich. Schon frühzeitig wurde auch Wacholderbeersaft verfertigt, und als nützliches Mittel weithin verkauft. Räucherungen mit Wacholderbeeren galten im Mittelalter als Schutzmittel gegen die Pest. Aus dem Samen der Tanne wurde Öl destilliert, das sogenannte Gustelöl, und als Bergöl verkauft, ebenso aus Fichtenharz. Daher wohl der Name Olitätenhändler. Da diese Stoffe in die Apotheke geliefert wurden, liegt es sehr nahe, anzunehmen, dass die Thüringer dafür Arzneiwaren eintauschten, die sie weiter verkauften und zuletzt als anstellige Leute selbst zu verfertigen lernten.

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• Auf epilog.de am 12. Juli 2024 veröffentlicht

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