Handel & IndustrieFabrikation

Die Teppichfabrikation

Westermanns Monatshefte • September 1864

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Durch die Einführung des mechanischen Webestuhles hat dieser Industriezweig einen wesentlichen Aufschwung genommen, denn hierdurch sind die Erzeugungskosten bedeutend ermäßigt worden. Heute liefert ein solcher Stuhl bereits täglich beinahe 58 Ellen, d. h. doppelt so viel als der erste mechanische Stuhl dieser Art oder fünf- bis sechsmal so viel als ein gewöhnlicher Handstuhl. Dieser Fortschritt ist besonders der besseren Ware zugutegekommen, deren Fabrikation sich bedeutend vermehrt hat, zumal mit dem billigen Preise zugleich noch eine geschmackvollere Zeichnung der Muster und eine mehr harmonische Anordnung der Farben, sowie eine größere Lebhaftigkeit derselben Hand in Hand geht. Zumeist gilt dies von England, aber auch in Preußen haben die mechanischen Stühle bereits die frühere Handweberei vollständig verdrängt, sowie man hier überhaupt bemüht gewesen ist, die sämtlichen neuen mechanischen Erfindungen auf diesem Gebiet sich zu eigen zu machen. Trotz alledem aber hat man es noch nicht dahin bringen können, den friedlichen Kampf auf dem großen Weltmarkt siegreich zu bestehen, weil man immer noch einen großen Teil der zu diesen Artikeln benötigten Garne aus England beziehen muss, und dann ist auch der Verbrauch in dem Zollverein nicht bedeutend genug, um einen sicheren Grund für eine erfreuliche Entwickelung dieses Industriezweiges zu liefern. In Belgien arbeiten erst wenige mechanische Stühle in der Teppichfabrikation und Frankreich hat erst in den letzten Jahren angefangen, dieselben einzuführen.

Der Hauptsitz der englischen Teppichindustrie ist der West-Riding von Porkshire und zwar Halifax für die billigeren bedruckten Teppiche, deren Anfertigung seit 1845 einen von dem Erfinder nicht im Entferntesten geahnten Aufschwung genommen und namentlich in den letzten Jahren verschiedene andere Teppichsorten der Art verdrängt hat, dass deren Fabrikation ganz eingestellt worden ist, und Kidderminster in Worcestershire für die Brüsseler und Samtteppiche. An dem letzten Ort sind 20 000 Menschen von diesem Industriezweig abhängig. 1772 genügten 250 Handstühle, um die Nachfrage nach Teppichen zu befriedigen, heute aber arbeiten außer zahlreichen Handstühlen bereits mehr als 400 mechanische Webstühle. Seit 1772 ist der Bedarf von Teppichen mindestens um das Zwölffache gestiegen.

Die Gesamtproduktion an Teppichen beläuft sich jährlich auf 14 052 600 Taler und davon kommen auf Porkshire 46,45 %, auf Kidderminster und Umgegend 29,86 %, auf Schottland 16,11 %, auf Durham, Kendal und Umgegend 5,69 % und auf Somersetshire und Wiltshire 1,89 %. Die Gesamtzahl der in dieser Industrie beschäftigten Arbeiter beträgt gering gerechnet 40 000.

Ganz bedeutend hat sich der Absatz der englischen Teppiche nach Frankreich infolge des Handelsvertrages gehoben. 1861 wurden dahin für 458 054 Taler ausgeführt, noch um 7,93 % mehr als in den zehn Jahren von 1851 bis 1860 mit Ausnahme des Jahres 1856, wo in Folge der internationalen Industrieausstellung zu Paris der Absatz fast doppelt so groß war als in dem einzelnen Jahr vorher und nachher.

Dadurch ist indessen die französische Industrie nicht beeinträchtigt worden. Diese befasst sich weniger mit der Anfertigung der wohlfeileren Teppiche. Die Erzeugnisse der Staatsfabriken, zu allen Zeiten Schoßkindern des Hofes, sind seit zwei Jahrhunderten berühmt und haben der französischen Privatindustrie, die in Tourcoing, Aubusson, Abbeville und Nimes ihren Sitz hat, stets als Vorbild gedient. Der Absatz dieser kostbaren und künstlichen französischen Teppiche nach England hat durch den Handelsvertrag nicht wenig gewonnen. Überhaupt ist Frankreich dasjenige Land in Europa, wo die orientalische Teppichweberei zuerst festen Fuß gefasst hat. Wie die Sage berichtet, sind bei dem Einbruch der Sarazenen in Frankreich zurzeit Karl Martells einige Weber zurückgeblieben, wenigstens melden die in dem Châtelet zu Paris für die Zunft der Pariser Teppichwirker ausgefertigten Verordnungen, dass die sarazenischen Weber die ältesten im Lande seien.

Außerhalb der kaiserlichen Fabriken sind in den genannten Städten noch circa 2000 Hände beschäftigt und deren Erzeugnisse belaufen sich jährlich auf circa 4 000 000 Taler.

Belgien und Holland beschäftigen je 500 bis 600 Arbeiter in der Teppichindustrie und deren Produktionswert kann für das Jahr auf je 266 000 Taler veranschlagt werden. Der Hauptsitz der holländischen Teppichindustrie ist Deventer.

Die gesamte Erzeugung von Teppichen aller Art beschäftigt in Österreich circa 3000 Arbeiter und der Wert der jährlichen Produktion beträgt dort ungefähr 2 000 000 Gulden, zumeist sind dies aber Fabrikate sehr geringer Art. Im nordwestlichen Ungarn werden sehr ordinäre Laufteppiche verfertigt. Mit Ausnahme von zwei größeren Etablissements ist diese Industrie in den Händen des Kleingewerbes. Ferner bildet die Erzeugung ordinärer Tischteppiche eine Hausindustrie der Bewohner des Pustertales in Tirol. Die ungarischen wie die tirolischen Teppiche werden durch Hausierer vertrieben, die ersteren ausschließlich nur im Inland. Die Tiroler wandern mit ihrer Ware wohl über die Grenze, doch ist diese veraltete Ware nicht mehr nach dem Geschmack der Leute, die vor den Bergen wohnen.

In Wien wird eine besondere Art von Fußteppichen aus Tuchenden erzeugt. Fußteppiche aus Wollabfall oder mehr oder weniger feiner Wolle werden in sieben Fabriken in Nieder- und Oberösterreich und in der Umgegend von Reichenberg verfertigt.

Außerhalb Preußens ist die Teppichindustrie im deutschen Zollverein erst noch in der Entwicklung begriffen.

Im Morgenland – Türkei, Persien, Ostindien, Algier – spielt dieser Industriezweig bekanntlich eine große Rolle. Hier hat ja überhaupt die Wiege dieses äußerst interessanten Industriezweiges, der nach Einigen überhaupt den Anfang der Wollenweberei gebildet haben soll, gestanden. Wie vor Jahrhunderten werden die Teppiche hier noch heute mit der Hand geknüpft. Ebenso wie diese alte Fabrikationsweise hat sich aber auch der alte gute Ruf der Fabrikate erhalten.

In Indien sind Lahore, Benares und Mirzapur die Hauptorte der Teppichindustrie; außerdem werden dergleichen Fabrikate noch in einigen anderen Distrikten, z. B. Masulipatan, Agra usw. in geringerer Ausdehnung angefertigt. In Baraut, Bareilly und Jubalpur werden die Thugs und andere Verbrecher in den Gefängnissen ausschließlich in dieser Weise beschäftigt. Die Arbeit dieser Gefangenen ist gut und dabei äußerst wohlfeil.

Allerdings wird die Teppichindustrie noch heute in Indien in großer Ausdehnung betrieben, aber sie könnte, da die Nachfrage von Seiten Englands und des europäischen Kontinents sehr bedeutend ist, einen großen Aufschwung nehmen, wenn dem nicht die ganze morgenländische Weise entgegenstände. Die Teppichmacherei bildet hier zwar ein reguläres Gewerbe, aber doch selten die alleinige Beschäftigung der hierbei beteiligten Arbeiter. Neben dieser geteilten Beschäftigung bilden noch die Unregelmäßigkeit der Bestellung und der Bezahlung wesentliche Hindernisse des Aufschwungs dieses Industriezweiges. Für den Absatz nach Europa ist hinderlich, dass man kein Verständnis für die hier passenden Maße hat. In Betreff der Zeichnungen und Färbungen hat man zwar versucht, sich dem europäischen Geschmack anzubequemen, aber grade hier wäre es zu wünschen, dass man bei dem englischen Stil verharre, denn nur darin kann man Ausgezeichnetes leisten.

Die Nachahmung geknüpfter Teppiche in türkischer Weise hat in Görlitz, Schmiedeberg und Cottbus bedeutende Fortschritte gemacht. Diese Bereicherung der vaterländischen Industrie ist um so erfreulicher, als die zu dieser Fabrikation benötigten Garne bereits in ausreichendem Maße bei uns angefertigt werden. Da in diesem neuen Industriezweig die billige Handarbeit eine bedeutende Rolle spielt, so ist zu erwarten, dass sich derselbe noch mehr ausdehnen wird und dass seine Erzeugnisse sich auch im Ausland Anerkennung und Absatz verschaffen werden.

Entnommen aus dem Buch:
Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ersetzten Dampfmaschinen zunehmend die Muskelkraft und ermöglichten eine zunehmende Mechanisierung der bis dahin handwerklich geprägten Güterproduktion. Der Abbau von Handelshemmnissen und neue Verkehrswege eröffneten überregionale Märkte, immer mehr Produkte mussten immer schneller und billiger produziert werden. Arbeitsteilung und Spezialisierung veränderten ganze Wirtschaftszweige. Die historischen Originalbeiträge und Abbildungen in diesem Buch geben einen unverfälschten Einblick in die Wirtschaft des 19. Jahrhunderts.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 104 Seiten | ISBN: 978-3-7578-2490-7

• Auf epilog.de am 9. November 2024 veröffentlicht

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