FeuilletonReisen

Szenen aus dem Südpolarmeer

Von Friedrich Körner

Die Gartenlaube • 1856

Voraussichtliche Lesezeit rund 14 Minuten.

Mit Recht bewundert man die großartige Pracht der tropischen Urwälder mit ihren blütenbedeckten Riesenbäumen, um die sich Lianen wie Blumen-Girlanden winden, während farbenprangende Orchideen wie schwebende Blumenbeete von den Westen herniederschweben, bunte Vögel in den breitblättrigen Baumkronen sich tummeln und metallisch schillernde Kolibris um die hellen Blüten schwirren; diesen von Lebensfülle strotzenden und von Farbenpracht strahlenden Urwäldern gegenüber stellt man die Sahara mit ihrer einförmigen Öde und der erschreckenden Erhabenheit ihrer lautlosen Einsamkeit, die nur erstickende Sandstürme und trügerische Luftspiegelungen kennt. Wenn man aber die Natur in ihrer grauenhaften Großheit und furchtbarsten Erhabenheit schauen will, dann muss man sich an die Enden der Welt und des Lebens versehen, muss die schauerlichen Wasser- und Eiseinöden des Südpolarmeers mit seinen berstenden Gletschern, tobenden Vulkanen, heulenden Stürmen und schwimmenden Eisbergen betrachten. In jenen Wüsteneien grenzen Leben und Tod aneinander, ringen die Elemente in ungefesselter Wut miteinander um die Herrschaft, dass die Erde unter dem Rasen der Schneestürme und Vulkane in ihren Angeln zu beben scheint.

Die Südhälfte unseres Erdkörpers bedeckt ein ungeheures Meer, in welches die Südspitzen der Festländer wie Landzungen hineinragen. Ins Endlose dehnen sich die weißen Kämme der rollenden Wogen aus, unabsehbar heben sich brausende Wasserberge hinter Wasserbergen, fahren Stürme heulend über die Kammlinien der schäumenden Fluten wie über die Saiten einer Riesenharfe und entlocken ihnen grause Melodien, die das Menschenherz erstarren machen. Um das Unheimliche dieser Meereseinsamkeit zu steigern, sind südlich vom 60. Grad nur sparsam einige öde Inselklippen über das Polarmeer zerstreut, und die Südspitzen Amerikas, welche am weitesten gegen den Südpolarkreis vorragen, wie von Stürmen zerzaust und zerrissen. Auf jenen Inseln ist alles Pflanzenleben erstorben, da sprießt kein Beerenkraut, nickt kein Halm am Strand, klebt kein Moos, keine Flechte an den feuchten Felswänden, die schroff aus dem Meere mit ihren schwarzen Wänden emporsteigen, als die emporgetriebenen Zacken unterseeischer Glutherde, welche in der Winterkälte jener Gegenden um so leichter erstarrten. Ein Wall schimmernder Gletscher umlagert diese Klippen, blendende Firnfelder dehnen sich über die Hänge aus, und uralte, fast ewige Gletschermassen türmen sich auf ihrem Scheitel zu Bergen von bis zu 3000 Meter empor. Hinter diesen schroffen Eisufern von an die 300 Meter Höhe heben sich zuweilen Eisberge neben Eisbergen empor bis ins Unabsehbare und schimmern endlose Schneefelder, auf denen sich die tieferen Stellen wie leichte Schatten abzeichnen. Doch sieh, aus jenem Kegel steigen schwarze Rauchwolken und wälzen sich unbeholfen über die Schneefelder hin. Jetzt steigt eine glutrote Flamme aus dem 3800 Meter hohen Erebus, der etwa 12 Grad vom Südpol entfernt ist. Ein greller Schein fällt auf die Gletscher und Eisfelder um ihn her, ringsum funkelt es von roten, blauen und gelben Lichtern, als ob sich die Eiskristalle in Lichtstrahlen auflösen wollten, ein bunter Farbenschimmer schwebt um die Eiswelt, mengt Schatten und Licht, Eiszacken und Gletscherschlünde, Fels und Meer zu einem fantastischen Farbenspiel, bis die Vulkanwand unter furchtbarem Krachen springt, die Gletscher bersten und donnernd ins Meer schießen, Firnfelder schmelzen, aus allen Schluchten siedende Bäche hervorbrausen, und der Glutbach der Lava in wilder Pracht die Bergwand niederrinnt.

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• Auf epilog.de am 18. Juni 2024 veröffentlicht

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