Handel & Industrie – Fabrikation
Stählerne Präzisionsröhren der Mannesmann-Röhren-Werke
Prometheus • 6.11.1895
Das Schrägwalzverfahren der Gebrüder Mannesmann hat, mag man über die Erfolge dieser genialen Erfinder denken, wie man will, unzweifelhaft in hohem Maße anregend und befruchtend auf die mit der Herstellung von Metallröhren beschäftigte Industrie eingewirkt. Abgesehen von geringfügigen Abweichungen wurden und werden auch heute noch geschweißte Röhren aus Eisen in der Weise hergestellt, dass ein der Weite der Röhre entsprechend breiter, an den Kanten abgeschrägter Blechstreifen röhrenförmig zusammengebogen und in der Weise zusammengeschweißt wird, dass man den zur Schweißglut erhitzten Rohrkörper über einen Dorn durch eine Matrize, d. h. durch das entsprechend weite Loch in einer Eisen- oder Stahlplatte hindurchzieht, wobei die aneinanderstoßenden oder über einander greifenden Kanten des Bleches durch Pressung verschweißt werden. Der Dorn muss hierbei so weit in die Matrize hineinragen, dass eine entsprechende Pressung stattfinden kann. Oder man bewirkt die Schweißung durch Walzen der Röhre über einen Dorn, ähnlich wie Rundeisen gewalzt wird.

So vortreffliche Röhren auch in dieser Weise hergestellt werden, wird sich doch nicht bestreiten lassen, dass durch Walzen oder Ziehen ohne Schweißnaht hergestellte Röhren besonders dann den Vorzug verdienen, wenn auf deren größere Widerstandsfähigkeit gegen inneren Druck, wie auf Biegungsfestigkeit Wert gelegt werden muss. Nahtlose Röhren, d. h. Röhren ohne Schweißung, lassen sich aus feinstem Stahl herstellen, ohne dass der Stahl an Güte einbüßt. Das ist bei Röhren mit Schweißnaht nicht der Fall.
Die hieraus sich herleitenden Vorteile haben die Mannesmann-Röhren-Werke erkannt und darauf hin nach und nach eine Röhrenindustrie entwickelt, deren Erzeugnisse, unseres Wissens, von keiner anderen Fabrik übertroffen werden. In Abb. 1 sind nach fotografischen Aufnahmen in dem Mannesmann-Röhren-Werk zu Bous a. d. Saar gefertigte Röhren dargestellt, die, um als Schaustück zu dienen, zu entsprechend langen Enden zerschnitten, teleskopartig ineinandergeschoben sind. Das Verfahren zur Herstellung solcher Röhren ist im Grunde genommen sehr einfach, was nicht ausschließt, dass zum Gelingen eine reiche Summe von Erfahrungen gehört. Die Röhren werden aus bestem Stahl, die feineren aus vorzüglichem schwedischen Holzkohlenstahl von bestimmtem Kohlenstoffgehalt in der Weise gefertigt, dass man aus dem runden, massiven Stahlblock durch Schrägwalzen (kurzweg ›Blocken‹ genannt) eine dickwandige Röhre herstellt, welche im Pilgerwerk zu einem langen Rohr ausgewalzt wird. Nach mancherlei vorbereitenden Behandlungen wird dieses Rohr in kaltem Zustand in der Weise gezogen, wie es Abb. 2 ersichtlich macht.
Abb. 2. Zu diesem Zweck wird das Rohr A zunächst über den Kopf des Dorns C gesteckt, dessen anderes Ende in der Ziehbank festgehalten wird. Die Länge des Dorns muss so reguliert sein, dass der Kopf eine bestimmte Lage im Loch der Matrize B hat. Durch die letztere wird das Rohr in der durch den Pfeil angedeuteten Richtung mittelst einer Zange hindurchgezogen, zu welchem Zweck sein vorderes Ende für das Maul der Zange zu einem Griffstück zusammengeschmiedet und mit einem kleinen Loch zum Einströmen der Luft beim Ziehen versehen ist. Die Zange wird in der Ziehbank von Schrauben oder Laschenketten gezogen. Das Ziehen wird nach vorherigem Ausglühen des Rohres so lange wiederholt, bis der äußere Durchmesser und die Wandstärke des Rohres das verlangte Maß erreicht haben, denn mit jedem Zug werden Rohrdurchmesser und Wandstärke kleiner. Beide lassen sich auf diese Weise nach Zehntel-Millimetern regulieren, weshalb diese Rohre mit vollem Recht die Bezeichnung Präzisionsrohre verdienen. Da viele Rohre entsprechend der zu erzielenden Wandstärke mehrere Züge durchmachen müssen, so kann eine bessere Gewähr für ihre vorzüglichen Festigkeitseigenschaften nicht geboten werden, als das Herstellungsverfahren selbst. Ein Dorn lässt sich nur bei Röhren bis zu etwa 5 mm innerem Durchmesser anwenden, dann wird das Rohr wie Draht weiter gezogen. Das feinste Rohr rechts in Abb. 1 ist nur so weit, dass eine mitteldicke Stecknadel hineingeht. Die Oberfläche der Röhren außen und innen ist so glatt, dass sie wie poliert erscheint.
Das Geraderichten so dünnwandiger Röhren mittelst Drucks oder durch Biegen in der Weise, wie es bei dickwandigen Röhren üblich ist, würde nicht ohne deren Schädigung ausführbar sein und immer ungenau bleiben. Die Fabrik hat für diesen Zweck eine Maschine erfunden, die mittelst exzentrischer Scheiben diese Arbeit tadellos verrichtet.
Die dünnwandigen Stahlrohre sind für einzelne Industriezweige von hoher Bedeutung und mit die Ursache von deren schneller Entwickelung geworden. Die Fahrradindustrie z. B. verdankt ihnen zum nicht geringsten Teil ihr Emporblühen in den letzten Jahren. Von den deutschen Radfahrern, welche englische Fahrräder wegen ihrer Leichtigkeit und sonstiger Vorzüge, wirklicher und vermeinter, den in Deutschland gefertigten vorziehen, werden es wenige wissen, dass viele englische Fahrräder aus Stahlröhren gebaut werden, die aus dem Mannesmann-Röhren-Werk in Bous stammen. Selbst amerikanische Fahrradfabriken verarbeiten in großen Mengen deutsche, in Bous gefertigte Stahlrohre, was ohne Zweifel nicht geschehen würde, wenn englische und amerikanische Fabriken dieselben in gleicher Güte liefern könnten.
Wohin wir im heutigen Verkehrswesen blicken, begegnen wir überall dem Drängen nach gesteigerter Schnelligkeit des Verkehrs. Diese fordert zu ihrer Verwirklichung in erster Linie höhere Leistungen der Verkehrsmittel, die selbstredend nur die Wirkung größerer Betriebskraft sein können. Es wäre ein Irrtum, anzunehmen, dass mit Vergrößerung der Bewegungsmaschine allein schon die Aufgabe gelöst sei; denn mit der Größe wächst auch ihr Gewicht, dessen Fortschaffung einen entsprechenden Teil von der Arbeitskraft der Maschine vorweg in Anspruch nimmt. Je schwerer ein Fahrrad ist, um so mehr Kraft muss der Radfahrer für eine gewisse Fahrgeschwindigkeit aufwenden, da er das größere Gewicht des Fahrrades mit fortbewegen muss. Je haltbarer daher die Röhren sind, die zu seinem Bau dienen, um so leichter kann es sein. Was hier im Kleinen gilt, trifft auch im Großen zu. Die Lokomotiv- und Wasserrohrkessel, die den Maschinen schnell große Mengen hochgespannten Dampf, also eine gegen früher sehr gesteigerte Betriebskraft liefern sollen, bedürfen zu diesem Zweck einer großen Zahl druck- und biegungsfester Rohre, die selbstredend möglichst leicht, gleichzeitig aber auch möglichst genau gearbeitet sein müssen. Diese gesteigerten Forderungen der Maschinentechnik werden von den Stahlröhren der Mannesmann-Röhren-Werke in vollem Maß erfüllt, und sie finden deshalb für diesen Zweck bereits weitgehende Verwendung. Sie haben bei der durch ihre Herstellungsweise gewährleisteten Betriebssicherheit nicht unwesentlich zur Entwickelung der Dampfkesseltechnik beigetragen. Es ist auch wahrscheinlich, dass ihr Verwendungsgebiet sich immer mehr erweitern wird. Bedenkt man z. B., dass ein Fahrrad das Acht- bis Zehnfache seines Gewichtes und ein Eisenbahn-Güterwagen nur eine Belastung trägt, welche etwa seinem eigenen Gewicht gleichkommt, so wird man nicht bezweifeln, dass hier noch große‘ Fortschritte möglich sind.
• J. Castner