Berliner Bauwerke
Die Stadttore Berlins
Deutsche Bauzeitung • 25.5.1867
Über das Schicksal der alten Stadttore Berlins ist nunmehr neulich ein weiteres Stück Entscheidung bekanntgeworden. Die einige Zeit lang bestehende Absicht, das Rosenthaler, Hamburger und Oranienburger Tor wegen ihres Kunstwertes (?) zu erhalten, ist aufgegeben; jene Tore sind gleichfalls zum Abbruch bestimmt und wird somit auch auf der nördlichen Seite der Stadt, die einer Verschönerung wahrlich am Dringendsten bedarf, ein Boulevard entstehen, vorausgesetzt, dass es gelingt, zwischen Oranienburger und Neuem Tor, das erforderliche Terrain von den alten Kirchhöfen zu erwerben. Gleichzeitig scheint man von dem bis auf die neueste Zeit gehegten Plan an Stelle des alten Halleschen Tores einen Triumphbogen zu erbauen, Abstand genommen zu haben.
Die sämtlichen auf der Nordseite der Spree gelegenen Tore mit den zugehörigen Nebengebäuden – die am Oranienburger- und Neuen Tor ausgenommen – sind zum Abbruch bestimmt und zum Teil schon verschwunden. Dem Abbruch des Königstors steht augenblicklich noch entgegen, dass sich daran eine Gedenktafel für den hier am 20. Februar 1813 als erstes Opfer des Freiheitskampfes gefallenen Freiherrn von Blomberg befindet, über deren anderweitige Aufstellung noch Entscheidung zu treffen ist.
Von dem schon im vorigen Jahre beabsichtigten Abbruch der Stadtmauer auf dieser Seite der Spree verlautet, nachdem dieselbe in das Eigentum des Magistrats übergegangen ist, noch Nichts, ebenso dürfte die Anlage der Boulevardstraße, ganz abgesehen von der Strecke zwischen dem Oranienburger und dem Neuen Tor noch geraume Zeit auf sich warten lassen.
Auf dem südlichen Ufer ist die Mauer bereits beseitigt, mit Ausnahme der neuen Mauer am Wassertor und einiger Strecken, die noch als Bewährungen dienen. Von den Toren sind, abgesehen von einigen Vergitterungen, nur noch die Torgebäude am Potsdamer, Anhalter- und Köpenicker Tor vorhanden. Erstere sind in die Umgestaltung der Plätze hineingezogen und dienen dem achteckigen Leipziger Platz, der sonst sehr unschön in den unregelmäßigen Potsdamer Platz übergehen würde, als architektonischer Abschluss. Mehr aus diesem Grund, als um ihrer selbst willen sind sie erhalten worden; denn so berechtigt die Pietät auch sein mag, mit der man sie als eines der Erstlingswerke Schinkels betrachtet, so ist doch gerade dieses Beispiel der Verwendung des griechischen Tempelschemas zu modernen Zwecken (vom einseitig ästhetischen Standpunkt abgesehen) ein nicht eben glückliches und zu ihrer Verschönerung haben die Anbauten, die man im vorigen Jahr um des lieben Bedürfnisses willen hinzufügte, nichts weniger als beigetragen. Die beiden Gebäude dienen gegenwärtig als Büro für die Stadt-Telegrafie.
Ganz zwecklos und hinderlich dagegen erscheinen die Gebäude am Anhalter Tor, die deshalb auch bald dem bereits vielfach ausgesprochenen Verlangen nach ihrer Beseitigung weichen dürften. Ebenso werden die Gebäude am Köpenicker Tor, die jetzt noch auf freiem Feld stehen, sowie die am Neuen und Oranienburger Tor, trotz aller Pietät, schließlich den Bedürfnissen der Zeit erliegen.
Die wichtigste, freilich am Wenigsten erfreuliche Nachricht knüpft sich an das Brandenburger Tor. Dass dieses Denkmal, auf das jeder Berliner mit vollem Rechte stolz ist, erhalten bleiben muss, darüber besteht wohl kein Zweifel; von hohen Gebäuden auf beiden Seiten eingeschlossen und an der Grenze zwischen Stadt und Tiergarten gelegen, wird es auch stets den Charakter eines Tores sich bewahren. Aber man hatte gehofft, dass es bei der günstigen Gelegenheit, die durch den Fall der Stadtmauer sich darbot, von allen hässlichen Anhängseln befreit werden würde, die ihm von seiner früheren Bestimmung her ankleben, dass es in Wirklichkeit umgestaltet werden würde zu dem idealen Monument preußischen Ruhmes, für das es bereits im Geiste des Volkes gilt. Man hatte ferner gehofft, dass den gesteigerten Bedürfnissen des heutigen Verkehrs, für den die schmalen Öffnungen von zusammen nur 15 m Breite, namentlich an Festtagen bei weitem nicht mehr ausreichen, Rechnung getragen werden sollte. – Durch den jetzt bevorstehenden Umbau wird man sich sehr enttäuscht sehen.
Die fiskalischen Behörden haben sich leider auch in diesem Fall nur zu einer halben Maßregel entschließen können, die voraussichtlich niemanden befriedigen wird. Die Militärwache, deren Verlegung am Potsdamer Tor keine Schwierigkeiten gemacht hat, soll in ihrer gegenwärtigen Gestalt mit dem weit vorspringenden Gitter bestehen bleiben. Die beiden Nebengebäude, welche in der inneren Gesamtfassade als stattliche Säulenbauten erscheinen, werden also ihren Kern, in dem einige des Lichtes und der Luft ermangelnde Stuben sich befinden, behalten und noch ferner die trostlosesten Beispiele einer Scheinarchitektur bieten, die wir in Berlin besitzen. Ebenso bleiben die beiden Flügelbauten, die das Tor von der Außenseite flankieren und im Wesentlichen die Wirtschaftshöfe zu den Tor-Gebäuden enthalten, mit ihren seltsamen Pilastern (den Relief-Bildern dorischer Säulen) bestehen. Dass sie verlängert und auf den beiden schmalen Seiten durch Sandsteingebälk mit je drei dazwischen gestellten Säulen mit dem Wacht- resp. Steuergebäude verbunden werden, ist die ganze Veränderung, die erfolgen soll.
Gewonnen wird dadurch Nichts als zwei schmale Seitendurchgänge an Stelle der alten Fahrwege, die innerhalb des Tores nach der Kommunikation führten, die eigentliche Passage wird dadurch so gut wie gar nicht verbessert. Die ideale Bedeutung des Monuments aber, als preußische Siegespforte, erhält eine sehr unangenehme Zugabe in einigen öffentlichen Bedürfnisanstalten, die neben denjenigen, welche bereits für die Hausbewohner bestehen, in den beiden Flügelbauten angelegt werden sollen.
Man würde eine derartige Zusammenstellung kaum für möglich halten, wenn die Ausführung nicht bereits befohlen wäre; es bleibt in diesem Fall wohl kaum etwas übrig, als sie auf das Tiefste zu beklagen. Welche Quelle des wohlfeilsten Spottes wird nicht allein den Gegnern Preußens damit an die Hand gegeben werden!
Es wäre vermutlich doch nicht so schwer gewesen, für die Wache, falls deren Verbleiben in jener Gegend Bedürfnis ist, einen anderen Platz ausfindig zu machen. Damit war die Möglichkeit gegeben, die beiden Nebengebäude, von allen Einbauten befreit als Fußgängerpassagen zu Öffnen, während die fünf mittleren Öffnungen des Haupttores Durchfahrten werden konnten. Für die öffentlichen Bedürfnisanstalten aber, deren Nützlichkeit an und für sich nicht bestritten werden soll, würde in dem benachbarten Tiergarten wohl eine schicklichere Stelle sein.