VerkehrTransport

Die Seileisenbahn

Der Berggeist • 23.7.1869

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.

Aus  Der Berggeist vom 18.6.1869 und aus einigen anderen Zeitungen habe ich kürzlich ersehen, dass es dem englischen Ingenieur Hodgson gelungen ist, die Brauchbarkeit der Seileisenbahn darzutun, indem er zu Leicester in England eine solche Bahn von 4800 m Länge gebaut hat und dieselbe mit Erfolg für den Transport von Steinen anwendet, auch angeblich bereits in mehreren anderen Ländern ähnliche Anlagen einleitet. Hierdurch ermutigt bringe ich mein System einer solchen Bahn in Erinnerung, welche ich im Jahr 1861 erfunden und zu Bad Oeynhausen, sowie zu Bochum in Westfalen versuchsweise ausgeführt und seitdem an den verschiedensten Stellen in Deutschland, England, in der Schweiz usw. unter Vorlegung von Zeichnungen und Beschreibungen in Vorschlag gebracht habe.

Generalansicht einer SeileisenbahnAbb. 1. Generalansicht einer in flacher Gegend über Gräben und kleine Flüsse hergestellten Seileisenbahn.

Meine Seileisenbahn stimmt, abgesehen von den nebensächlichen Konstruktionen und Kraftanwendungen, genau überein, mit der von Hogdson eingeführten. Dieselbe besteht im Wesentlichen aus einem straff aufgespannten Drahtseil oder Eisendraht von 2 – 5 cm Stärke, welches oder welcher in Abständen von 50 – 100 m derart seitlich unterstützt ist, dass einseitige Rollwagen darüber hinweg resp. an den Unterstützungen entlang fahren können.

Seileisenbahn für zwei GleiseAbb. 2. Seileisenbahn für zwei Gleise.

Die Skizze Abb. 1 gibt eine Generalansicht einer in flacher Gegend über Gräben und kleine Flüsse hergestellten Seileisenbahn, deren Einrichtung für zwei Gleise aus dem Querschnitt Abb. 2 ersichtlich wird.

Ein Gleis besteht aus einem Eisendraht a a von 3 cm Stärke, welcher in Holzgerüsten auf der kannelierten Spitze eiserner Haken b b getragen wird und welcher an einer Seite durch eine starke Erdwinde mit der Kraft von 20 – 30 t Gewicht angespannt ist.

Auf dem Draht laufen äußerst leichte, zierliche Seilwagen (Abb. 1 c c und Abb. 3). Die kannelierten Räder derselben laufen auf dem Draht und sind durch ihre Achse mit einer Eisen-Konstruktion seitlich in der Weise verbunden, dass der Schwerpunkt des Ganzen unten liegt und dass die Fahrt über die Stützpunkte hinweg unbehindert vonstattengeht. SeilwagenAbb. 3. Seilwagen. Die zu bewegenden Lasten d d hängen unter den Seilwagen; deren Gewicht kann 500 – 1000 kg betragen, doch ist es möglichst zu verteilen. Es können mehrere Seilwagen zu einem Zug vereinigt werden, doch ist es erforderlich, dieselben durch zwischengehängte Stangen in gewissen Entfernungen von einander zu halten. Die Bewegung geschieht im vorliegenden Fall (Abb. 1) durch ein Zugseil ohne Ende von etwa 15 mm Stärke, welches auf beiden Seiten um Trommeln gelegt ist, deren eine durch eine Maschine gedreht wird, wenn nicht etwa bei einer Neigung der Bahn die gefüllten Lastwagen die leeren hinauf ziehen können. Es lässt sich auch jede andere bewegende Kraft anwenden; Zugtiere können auf dem Boden gehen und die Seilwagen ziehen; selbst eine sehr leicht konstruierte Lokomotive kann unter einem solchen Wagen hängend mit den Rädern desselben in Verbindung gebracht werden.

Eine Seileisenbahn der vorbeschriebenen Art lässt sich in wenigen Wochen meilenweit herstellen. Die Kosten derselben pro Kilometer werden sich in Norddeutschland ungefähr stellen, wie folgt:

2 Eisendrähte von 31 mm Stärke, 12,5 t875 Taler
2 Eisendrahtseile von 16 mm Stärke, 0,8 t144 Taler
20 Gerüste mit eisernen Haken à 10 Taler200 Taler
1 Erdwinde, 2 Trommeln, 10 Rollen500 Taler
10 Seilwagen à 10 Taler100 Taler
Aufstellung100 Taler
zusammen1919 Taler

Der Grunderwerb einer Fläche von 2 – 3½ m Breite ist natürlich besonders zu berechnen und wo nicht die Neigung der Bahn zur Bewegung ausreicht, da ist die Beschaffung eines Motors mit in Betracht zu ziehen.

Auf einer solchen Bahn lässt sich die Förderung einer großen Steinkohlengrube (500 – 750 t pro Tag) kilometerweit mit geringeren Transportkosten, wie auf irgendeiner anderen Bahn, befördern.

Fluss-TrajektAbb. 4. Fluss-Trajekt.

Außer dieser gewöhnlichen Ausführung, welche für Bergwerke, Steinbrüche, Ziegeleien, Torfstiche, Abfuhren sumpfiger Wiesen usw. sehr häufig nützliche Anwendung finden kann, sind auch noch manche anderweitige Zwecke durch ähnliche Konstruktion zu erreichen. In Verbindung mit einem Kettenbrückensystem und bei Anwendung zweier Eisendrähte, resp. Rundeisen von 4 – 5 cm Stärke, wie dies die Abb. 4 zeigt, lassen sich äußerst billige Trajekte über große Flüsse für große Eisenbahnwagen aufspannen. Die Ersteigung der steilsten Berge und Felswände lässt sich, wie Abb. 5 andeutet, durch eine Seilbahn aus einem, oder zwei sehr soliden Drahtseilen und unter Anwendung eines geeigneten Motors bei f zu gleicher Leichtigkeit und Regelmäßigkeit bringen, wie solche in den Steinkohlenschächten von 500 – 800 m Tiefe stattfindet, aus welchen jetzt täglich Tausende von Menschen heraufgewunden werden.

GebirgsbahnAbb. 5. Gebirgsbahn.

In einem zierlichen Glascoupe können 6 – 8 Menschen binnen 5 Minuten auf den Rigi befördert werden, und wenn schon heute Fürsten und Prinzen zuweilen in Bergwerken ihr Leben der sicheren Kraft guter Drahtseile anvertrauen, so wird auch das große Publikum nach wenigen Vorgängen die Scheu vor einem luftigen, aber mit 10facher Sicherheit konstruierten Apparate verlieren.

Im Allgemeinen kann ich über die Seileisenbahn noch das Folgende bemerken:

1. Das Neue derselben besteht nur in der Überwindung der Stützpunkte und in der dadurch gegebenen Möglichkeit, beliebige Längen zu überspannen.

2. An Billigkeit und Leichtigkeit der Herstellung übertrifft die Seilbahn wegen der Vermeidung aller Planierungsarbeiten jede andere Bahn bei Weiten.

3. Die tote Last der Wagen und Gefäße lässt sich auf 15 – 20 % der zu bewegenden Masse reduzieren, während dieselbe bei anderen Bahnen 50 – 100 % beträgt.

4. Die hinderliche Reibung wird auf das mögliche Minimum gebracht.

5. Die Geschwindigkeit der Bewegung kann bis außerordentlicher Größe gesteigert werden.

6. Die Schwierigkeiten regelmäßigen Betriebes, welche bei kleinen, unvollkommenen Versuchen stets hervortreten, lassen sich bei soliden Ausführungen mit etwas Umsicht und Geduld bald überwinden und die Anstrengung wird durch überraschende Resultate belohnt werden.

Mein Wunsch besteht darin, dass nunmehr, nachdem englischer Unternehmungsgeist die praktische Ausführbarkeit erwiesen hat, auch meine Landsleute von diesem Eisenbahnsystem Gebrauch machen möchten. Bei geeigneten Mitteilungen über betreffende Ortsverhältnisse und Zwecke werde ich gerne bereit sein, bezügliche Vorarbeiten zu unterstützen.

Neurode in Niederschlesien, 5. Juli 1869.
• Baron F. F. von Dücker, Königl. Preuß. Bergassessor.

Entnommen aus dem Buch:

Neuerscheinung

Während Seilbahnen im ostasiatischen Raum schon recht früh zum Einsatz kamen, wurden in Europa erst ab dem späten Mittelalter vereinzelte Anlagen erbaut. Ausgehend von der Entwicklung von Seileriesen für den Holz-Transport begann dann um 1870 die systematische Konstruktion von Seilbahnen. Gustav Dieterich schildert die Geschichte der Seilbahnen von den Anfängen bis zum ›System Bleichert‹, und so bietet diese erweiterte und reichhaltig illustrierte Neuausgabe einen umfassenden Überblick über die Erfindung der Drahtseilbahnen.
  PDF-Leseprobe € 18,90 | 172 Seiten | ISBN: 978-3-7693-4011-2

• Auf epilog.de am 3. Februar 2025 veröffentlicht

Reklame