Handel & Industrie – Lebensmittelproduktion
Seefisch-Züchtereien
Prometheus • 13.6.1894
Es wird sehr häufig auf die Unerschöpflichkeit der Fischvorräte des Meeres hingewiesen, und es ist oft berechnet worden, dass trotz der Millionen von Fischen, welche alljährlich an den verschiedensten Orten der See entnommen werden, an ein Aussterben dieser nützlichen Bewohner des Meeres vorläufig nicht zu denken sei. Nichtsdestoweniger deutet die zunehmende Häufigkeit schlechter Fischereierträge in entgegengesetzter Richtung, und man ist daher in den verschiedenen Zentren des Seefischfanges schon längst in aller Stille zu der Ansicht gekommen, dass es wohl besser sei, sich nicht allzu sehr auf die genannten Berechnungen zu verlassen, sondern rechtzeitig für einen Ersatz der dem Meere entnommenen Fische zu sorgen.
Der Weg hierzu war auf das Klarste angedeutet: durch die großen Erfolge unserer Süßwasser-Fischzuchtanstalten. Die Anzahl der von fast allen weiblichen Fischen abgelegten Eier ist ganz ungeheuer groß, und sie ist es offenbar nur deswegen, weil der allergrößte Teil dieser frei im Meere schwimmenden Eier niemals zur Entwickelung gelangt, sondern von allerlei anderen Seegeschöpfen als willkommene Nahrung verschlungen wird. Nur ein ganz geringer Prozentsatz dieser Eier entwickelt sich wirklich zu lebendigen Fischchen; sobald sie aber so weit gelangt sind, ist ihre Fortexistenz schon viel besser gesichert, weil der lebendige Fisch durch seine Beweglichkeit den seiner harrenden Feinden weit besser entgehen kann. Von dieser Betrachtung ausgehend, hat man an verschiedenen Stellen Seefischbrutanstalten errichtet, in welchen die Eier von Seefischen gesammelt und vor gierigen Räubern geschützt ausgebrütet werden. Sobald die jungen Fische eine gewisse Größe erlangt haben, werden sie ins Meer ausgesetzt und sich selbst überlassen. Die ersten derartigen Anstalten sind in den Vereinigten Staaten, Neufundland, Kanada und Norwegen gegründet worden und haben sich durchaus bewährt. 1893 ist auch die neue schottische Fischzuchtanstalt in Dunbar in Betrieb gesetzt worden. Dieselbe hat in diesem Jahre bereits 7 700 000 junge Fische im Firth of Forth ausgesetzt und weitere 8 500 000 Eier sind zurzeit in Entwickelung begriffen.
Die Art und Weise, wie die Fischzucht betrieben wird, lässt sich wie folgt beschreiben.
In einem am Meeresufer eigens zu diesem Zweck angelegten Brutteich werden die laichenden Fische hineingelassen, dieselben legen hier ihre Eier ab, welche auf der Oberfläche schwimmen und in einem am Ausfluss des Teiches gespannten feinmaschigen Netz zurückgehalten werden. Von diesem werden die Eier abgesammelt und in großen Reservoiren zur Entwickelung gebracht. Die Reservoire werden mit fließendem Seewasser gespeist, welches durch eine unausgesetzt tätige doppeltwirkende Pumpe herbeigeschafft wird, deren Leistung etwa 32 000 l in der Stunde beträgt. Das Seewasser wird zur Erzielung vollständiger Klarheit und Sauberkeit durch mehrere Lagen von Flanell hindurchgepresst. In diesem fließenden Wasser entwickeln sich die Eier in etwa drei Wochen zu jungen Fischen.
Die Sterblichkeit der befruchteten Eier erwies sich in Dunbar als außerordentlich gering, sie betrug nur etwa 4 %, während in Neufundland 37 – 50 %, in Norwegen sogar ein noch höherer Anteil zu Grunde ging. Zum Teil mag dies darauf beruhen, dass die genannten älteren Anstalten Schellfischeier ausbrüten, während man sich in Dunbar bis jetzt nur mit den widerstandsfähigeren Eiern der Scholle beschäftigt hat. Während die norwegischen Seefischzüchtereien im ersten Jahre bloß etwa fünf Millionen junge Schellfische produziert, ihre Erträge aber allmählich bis auf 200 Millionen pro Jahr gesteigert haben, während die Brutanstalt von Neufundland etwa 17 Millionen jährlich produziert, rechnet die neue schottische Anstalt darauf, schon im ersten Jahre etwa 30 Millionen junge Schollen zur Welt zu bringen. Wenn die Zucht denselben erfreulichen Fortgang nimmt, wie sie es bis jetzt getan hat, so beabsichtigt man auch die bedeutend feinere und wertvollere Seezunge sowie den Steinbutt in dieser Anstalt zu züchten. Die nötigen Vorkehrungen für eine bedeutende Vergrößerung der Anstalt sind von vornherein vorgesehen und es ist auch bereits jetzt in Aussicht genommen, die jungen Fische nicht unmittelbar nach der Geburt und Verzehrung des anhängenden Dottersacks ins offene Meer zu setzen, sondern dieselben in besonders dazu hergerichteten und geschützten Teichen noch so lange zu pflegen, bis sie vollständig die Gewohnheiten und das Gebaren der alten Fische angenommen haben und dadurch desto besser im Stande sind, den Nachstellungen ihrer Feinde zu entgehen.
Den Bestrebungen der geschilderten gemeinnützigen Anstalt können wir den besten Erfolg wünschen und nur hoffen, dass Deutschland dem von anderen Ländern gegebenen Beispiele recht bald folgen möge. Da es neuerdings namentlich für die so sehr schmackhaften Plattfische nachgewiesen ist, dass dieselben keine großen Wanderungen unternehmen, sondern stets in einem gewissen Umkreise des Ortes verbleiben, an dem sie geboren sind, ist an einer großen Wirksamkeit derartiger Anstalten für die Vermehrung des Fischreichtums in ihrer unmittelbaren Nähe nicht mehr im geringsten zu zweifeln.