Forschung & Technik – Technik
Pneumatische Uhren
Das Neue Universum • 1880
Für eine größere Stadt ist es eine wahre Wohltat, eine Anzahl von Straßenuhren zu haben, die einen übereinstimmenden Gang haben. Die elektrischen Uhren sind auch vielfach verbreitet, wer aber einige Erfahrung mit denselben gesammelt hat, wird auch zugestehen, dass sie manchen Störungen unterworfen sind.
Im Haus wird die Elektrizität auch zu Haustelegrafen verwendet. Doch lässt sich, um ein Läutewerk in Bewegung zu setzen, auch eine Luftsäule in Anwendung bringen, bei welcher durch Fingerdruck eine Bewegung in einer Luftsäule hervorgebracht wird.
Schon auf der großen Ausstellung zu Paris 1878 waren Uhren in der österreichischen Abteilung, bei welchen die Übertragung der Bewegung durch komprimierte Luft erfolgte. Unterdessen wurde die Erfindung verbessert und 1880 in verschiedenen Teilen von Paris pneumatische Uhren aufgestellt und ein Abonnement bei Privaten eröffnet, um auch die Häuser mit solchen Uhren zu versehen.
Es ist nicht ohne Interesse, das System dieser Uhren kennenzulernen. Zu ihrem Betrieb ist erforderlich:
- eine Zentralwerkstätte, in welcher komprimierte Luft erzeugt und woraus diese jede Minute in
- die Rohrleitung abgelassen wird, welche sich in den Straßen und in die Häuser verzweigt.
- Öffentlich oder bei Privaten aufgestellte Zifferblätter mit der Einrichtung, um den Druck der verdichteten Luft auf die Zeiger zu übertragen.
In der Zentralwerkstatt wird durch eine Maschine Luft von fünf Atmosphären Druck in einem Vorratsbehälter von 8 m³ Inhalt gesammelt und von da aus in einen anderen so abgelassen, dass die Luft im zweiten eine bestimmte geringere Spannung hat. Von hieraus tritt die Luft jede Minute in das Röhrensystem, welches durch die Normaluhr Abb. 2 geöffnet und geschlossen wird. Abb. 2 Pneumatische Normaluhr. Das Räderwerk links ist das eigentliche Uhrwerk zur Bewegung des Zeigers und des Sekundenzeigers bei D. Das Rädersystem rechts steht mit dem links in Verbindung und dient zur Regulierung des Luftabflusses durch das Rohr J von dem Behälter her in die Leitung, die mit dem Rohr N in Verbindung steht. Der Schieber R schließt N von J ab oder verbindet beide. Am Beginn einer Minute öffnet sich der Schieber R und die Luft strömt 20 Sekunden lang durch N in die Leitung. Hierauf wird R geschlossen, dann steht die Leitung durch das Rohr K mit der Atmosphäre während 40 Sekunden in Verbindung. Nun beginnt eine zweite Minute, wo dieselben Bewegungen stattfinden.
Die verdichtete Luft, welche jede Minute 20 Sekunden lang durch das Rohr N abfließt, verteilt sich in das gesamte Röhrensystem, so groß es auch sein mag. Es ist ähnlich demjenigen der Gasanstalten. Die weiteren Röhren sind von Schmiedeeisen, die in den Privathäusern aus Blei oder übersponnenem Kautschuk. Gegenüber den Gasröhren haben sie den Vorteil, dass sie keinerlei Gefahr im Gefolge haben, auch sehr leicht auszubessern sind.
Verfolgen wir nun die Wirkung der verdichteten Luft auf die Zeiger einer Uhr, sie sei klein oder groß, in einem Privathaus oder öffentlich aufgestellt, die Einrichtung ist immer dieselbe. Abb. 3 Mechanismus einer pneumatischen Straßenuhr. Abb. 3 zeigt sie: auf einem Endstück der Rohrleitung sitzt ein Blechkasten mit Kautschukscheibe, die in jeder Minute einmal aufgeblasen wird, wenn die komprimierte Luft in das Rohr eintritt und wieder zusammensinkt, wenn die Verbindung des Röhrensystems mit der atmosphärischen Luft hergestellt ist. Dabei wirkt sie auf einen Hebel, der in ein Zahnrad mit sechzig Zähnen eingreift und dieses zum Umdrehen bringt. Auf der Achse derselben sitzt der Minutenzeiger, der also in einer Stunde die ganze Umdrehung vollendet hat. Nicht gezeichnet sind die Zwischenräder zur Bewegung des Stundenzeigers.
In ähnlicher Weise werden sich auch Uhren mit Schlagwerk in Tätigkeit setzen.
Vor der Madeleine-Kirche in Paris steht eine sehr elegante Straßenuhr (Abb. 1), die nach diesem System eingerichtet ist. Andere finden sich an anderen Stellen der Stadt. Doch haben auch im Privatgebrauch die pneumatischen Uhren viel Anerkennung gefunden. Sie werden verliehen und für den Gebrauch im Tag 5 Centimes bezahlt, für solche mit Schlagwerk 6 Centimes, nach unserem Geld im Jahr 14,60 Mark* ohne und 17,52 Mark* mit Schlagwerk. [*) rd. 125 € bzw. 150 € in 2023]
Tief bis zum Meeresgrunde wird dem kühnen Taucher verdichtete Luft zugeführt, ohne die er seine schwere Arbeit nicht ausführen kann. Tief in die Berge hinein wird auch verdichtete Luft gepresst, um Bohrmaschinen zu treiben und den Verkehr zu ebnen. Nicht die wenigstnützliche Aufgabe der verdichteten Luft ist es aber, den Menschen anzuzeigen, wie viel Uhr es ist.