Verkehr – Nahverkehr
Die Pfeiler-Eisenbahn zu New York
Das Neue Universum • 1880
Die günstige Lage New Yorks und seiner Vorstädte an der Mündung des Hudson und zu beiden Seiten des Meeresarms East River haben dieser Stadt eine Bedeutung für Handel und Verkehr erworben, die nächst London von keiner anderen Stadt erreicht wird. Aber durch die Lage auf einer schmalen Insel sind große Teile der Stadt weit vom Hauptsitz des Handels und vom Hafen entfernt. Es ist also nötig, dass der Kaufmann seine Geschäftsräume von seinen Wohnungsräumen trennt und so kann es vorkommen, dass er von seiner Familienwohnung 3,5, selbst 15 und mehr Kilometer Entfernung zurücklegen muss, um in sein Böro zu gelangen. Ähnlich ist es mit dem Arbeiter, der nicht immer in der Nähe seiner Werkstatt auch eine Wohnung haben kann. Und doch haben beide und tausende in ähnlicher Lage einen solchen Weg in der Regel zweimal im Tag zurückzulegen.
Allen diesen kommt nun das ausgedehnte Eisenbahnnetz um New York außerordentlich zustatten. Da die Fahrpreise gering sind, so ist es schließlich einerlei, wo jemand wohnt; es ist leicht, für geringes Geld an das Ziel zu gelangen, und die darauf verwendete Zeit ist auch gering.
Von New York selbst gehen nur zwei direkte Eisenbahnverbindungen aus, aber durch den leichten Verkehr mit den Vorstädten Hoboken, Jersey-City und Brooklyn und ihren Eisenbahnen ist die Möglichkeit gegeben, rasch nach jeder Richtung hin gelangen zu können. Nur in der Stadt selbst fehlte es trotz Pferdebahn und zahllosen Fuhrwerken an den Mitteln für den so notwendigen Verkehr.
Es wurden mancherlei Vorschläge gemacht. Die unterirdische Eisenbahn Londons, die sich so gut bewährt hat, reizte zur Nachahmung. Aber die Verhältnisse dort sind ganz andere, wie in New York. Dies erkannten auch die Kapitalisten und gaben kein Geld für die Ausführung dieses Plans. Auch sollte in eben so vielen Monaten dem Bedürfnis entsprochen werden, als eine unterirdische Bahn Jahre zur Ausführung beansprucht haben würde.
So entschloss man sich, auf starken Pfeilern über der Straße eine Eisenbahn anzulegen, welche ihrerseits nicht den Straßenverkehr hemmen konnte.
Versetzen wir uns an das Hauptende der Riesenstadt, da wo Hudson und East River sich vereinigen. Hier ist die Batterie, ein großer mit Parkanlagen geschmückter Platz, der den herrlichsten Blick auf die Bucht und den Hafen gewährt. Hier ist das Stationsgebäude für die Pfeilerbahn, hier sind die mächtigen und bequemen Treppen, die hinaufführen. Die Fahrkarte kostet 44 Pfennige, einerlei für welche Entfernung. Züge gehen häufig ab und man hat nicht lange zu warten. Im Anfang, wo in größeren Zeitabschnitten die Züge abgelassen wurden, konnte diese Bahn nicht recht lebensfähig werden. Dazu kam, dass anfangs von feststehenden Maschinen an den Endstationen die Züge durch Drahtseile gezogen wurden.
Auch das hat sich geändert und die Lokomotive versieht ihren Dienst auf der Pfeilerbahn wie auf jeder anderen. In sanfter Kurve umfährt man die Batterie und dann biegt die Bahn in die Greenwich-Straße ein. Sie hält an verschiedenen Stationen je etwa 30 Sekunden lang und erreicht ihr Ende doch in der halben Zeit, als wenn man mit Wagen und Pferd dahin gefahren wäre.
Haltestelle der Pfeiler-Eisenbahn in New York.Sieht man von der Straße nach dem auf hohem Eisengerüst fahrenden Zug, oder blickt man vom Waggon herab auf das wühlende Getümmel der Straße, so kann man sich nicht des Gedankens erwehren, wie furchtbar hier die Folgen einer Entgleisung des Zuges sein müssten. Doch ist diese durch besondere Vorkehrungen geradezu zur Unmöglichkeit gemacht.
Es lässt sich nicht leugnen, dass die Pfeilerbahnen manche Unannehmlichkeit mit sich bringen. Die Bewohner der davon berührten Straßen haben das rumpelnde Getöse der Züge Tag für Tag, die Pferde, welche darunter auf der Straße vor ihrer Last keuchen, werden erschreckt und scheu, und die Pfeiler sind vielfach ein wirkliches Hemmnis des Verkehrs. Und doch sind andererseits die Vorteile außerordentlich und die ganze Bevölkerung, nicht die Unternehmer allein, nehmen daran Teil. So kann es uns nicht wundern, dass jetzt schon die erste Anlage sich nach den verschiedenen Teilen der Stadt gewaltig ausdehnte, und mit jeder neuen, in den allgemeinen Verkehr hineingezogenen Seitenlinie wird der Nutzen für die Gesamtheit größer, immer mehr schwinden die sonst riesigen Entfernungen zu einem kleinen Raum zusammen. Es wird Zeit gespart und Zeit ist Geld.