Verkehr – Schifffahrt
Panamakanal und Tehuantepec-Schiffsbahn
Zentralblatt der Bauverwaltung • 9.4.1881
Das Jahrhundert der Technik wird noch vor seinem Ende ein Ziel erreicht sehen, dessen Erstrebung bis vor kurzem in das Gebiet der sonderbaren Schwärmerei gerechnet wurde: Die Verbindung des Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean durch einen Seeschifffahrtsweg ist gesichert. Wenn nicht alles trügt, werden sogar zwei Konkurrenzlinien noch vor Ablauf dieses Jahrzehnts Zentralamerika durchschneiden, eine südliche ›europäische‹, der offene Kanal durch die Landenge von Panama, und eine nördliche ›amerikanische‹, die Schiffsbahn über den Isthmus von Tehuantepec. Dass nach langjährigem fruchtlosen Planen der Stein endlich ins Rollen gekommen ist, dafür gebührt der Ruhm dem Geschick und der Tatkraft desselben Mannes, der mit eiserner Zähigkeit alle Widerstände zu überwinden gewusst hat, die sich auch dem Bau des Suezkanals entgegenstellten, Ferdinand von Lesseps. Hier wie dort lagen die ernstlichsten Hindernisse nicht in der technischen Aufgabe, wiewohl deren Lösung Schwierigkeiten genug beim Suezkanal bot und noch weit größere beim Panamakanal bietet. Hier wie dort waren es politische Bedenken gerade derjenigen Mächte, deren Staatsangehörigen von der Ausführung des interozeanischen Schifffahrtsweges die größten Vorteile zufallen mussten. England, dessen Regierung die Vollendung des Suezkanals mit allen Mitteln zu hintertreiben suchte, hat für seinen ostindischen Verkehr den Löwenanteil der wirtschaftlichen Errungenschaften, die jener Bau dem Welthandel bringen sollte, davongetragen. Jeder Schifffahrtsweg durch Zentralamerika ist in erster Linie für die Vereinigten Staaten von Nordamerika von Nutzen, da die Abkürzung der Seewege zwischen Europa und Ostasien oder Australien längst nicht so bedeutend ist, wie die Verminderung der Entfernung zwischen der östlichen Union und den pazifischen Staaten. Gerade wie seinerzeit Lord Palmerston das Übergewicht des französischen Einflusses auf das Transitland Ägypten fürchtete, suchten die amerikanischen Staatsmänner die Anlage eines Kanals im Gebiet der Republik Columbia zu verhindern, da die Monroe-Doktrin, welche die Einmischung europäischer Mächte in Angelegenheiten der ›Neuen Welt‹ verbietet, durch den Kanalbau, in jenem, dem unmittelbaren Einfluss der Union zu fern gelegenen Land bedroht zu werden schien.
Der erste Versuch, eine Aktiengesellschaft für die Ausführung des Panamakanals zu Stande zu bringen, scheiterte größtenteils an dem passiven Widerstand der Hauptinteressenten, der Amerikaner. Das entmutigte den unerschrockenen Lesseps keineswegs. Er suchte den Feind im eigenen Lager auf, er bereiste die ganze Union, hielt Meetings über Meetings ab, widerlegte die übertriebenen Gerüchte über die Schrecknisse der jedem Europäer sicheren Tod bereitenden Panama-Fiebers dadurch, dass er mit Weib und Kind die Trasse bereiste, kurz er nahm durch die Macht seiner Persönlichkeit alle Hindernisse im Sturm, so dass man sich in den Vereinigten Staaten nicht länger sträubte – »that’s our boy« — und seine Aktien zeichnete.
Nun war für die Gegner des Projektes Gefahr im Verzug. Infolge der Bildung der Kanal-Gesellschaft und der Sicherung des Kapitals ließen sich in der seitherigen Weise, durch Aufstellung von Gegenprojekten, an deren ernstliche Verwirklichung man schwerlich denken konnte, Erfolge nicht mehr erhoffen. Da die Ausführung des Panamakanals unter vorwiegend europäischem Einfluss gesichert war, so galt es jetzt, eine amerikanische Konkurrenzlinie zu schaffen, womöglich innerhalb der Machtsphäre von Washington. Die Republik Mexiko ist so nachbarfreundlich, ihren Isthmus von Tehuantepec zu diesem Zweck zur Verfügung zu stellen. Der bekannte Ingenieur Eads, Erbauer der Saint-Louis-Brücke und Leiter der
Mündungs-Regulierung des Mississippi, erfand sein Schiffseisenbahn-System. Unter äußerst günstigen Bedingungen schloss die Gründungsgesellschaft Captain Eads’ Ship Railway Company, welcher die Unionsregierung ihren besonderen Schutz angedeihen zu lassen scheint, einen Vertrag mit der mexikanischen Verwaltung ab. Und augenblicklich untersucht eine Kommission von amerikanischen und mexikanischen Ingenieuren die mutmaßliche Trasse, um danach das Projekt genauer aufstellen und veranschlagen zu können. Der Gesellschaft ist nicht allein die Erhebung von Transitzöllen, welche die des Panamakanals um das Doppelte übersteigen dürfen, zugestanden, sondern es sind ihr auch bedeutende Landstrecken und Hafenplätze mit der einzigen Bedingung zugesichert worden, dass der mexikanische Staat die Schiffsbahn nach Verlauf von 99 Jahren zu zwei Dritteln ihres Wertes ankaufen kann. Der Vertrag enthält außerdem die bemerkenswerte Bestimmung, dass die Gesellschaft die Einnahmen der Schiffsbahn einer fremden Regierung, welche den Bau etwa durch Vorschüsse oder Garantieleistung zu unterstützen beabsichtigt, hypothekarisch verpfänden darf. Im Zusammenhang hiermit ist dem Repräsentantenhaus in Washington der Antrag unterbreitet worden, eine Zinsgarantie von 6 % für 200 Mill. Mark* *) 1000 Mark von 1881 entsprechen ein Kaufkraft von rd. € 8800 in 2024 d. h. zwei Drittel des voraussichtlichen Anlagekapitals zu übernehmen. Obgleich weder diese Bewilligung zweifellos feststeht, noch die Details der Konstruktion in völlig befriedigender Weise festgestellt sind, so hält man in den Vereinigten Staaten nach einer Mitteilung des Scientific American den Bau der Schiffsbahn dennoch für gesichert.
Die Trasse der letzteren soll besondere Schwierigkeiten nicht bieten. Die Länge der Linie (180 km) ist 2½-mal so groß wie die des Panama-Kanals (73 km). Die Baukosten würden jedoch voraussichtlich um die Hälfte geringer ausfallen als die des offenen Kanals (320 Mill. Mark gegen 640 Mill. Mark). Der – besonders für den Verkehr mit Kalifornien – wichtige Vorzug besteht darin, dass der Isthmus von Tehuantepec um 2000 km weiter nach Norden liegt als die Landenge von Panama, so dass beispielsweise der Weg zwischen San Francisco und New Orleans um nahezu 4000 km abgekürzt wird. Auch hätten Segelschiffe den Vorteil, dass sie einen erheblich geringeren Teil ihrer Fahrt in der durch Windstillen und Wirbelstürme gefährlichen Kalmenregion zurückzulegen brauchten.
Inzwischen haben sich die durch den Bau des Suezkanals, den Wiener Donaudurchstich und die Antwerpener Hafenbauten bekannten Unternehmer Couvreux und Hersent erboten, die Erdarbeiten und Kunstbauten des Panamakanals für 512 Mill. Franc (rd. 400 Mill. Mark) in 8 Jahren fertigzustellen und durch ihren Oberingenieur M. Gaston Blanchet, der mit dem Bevollmächtigten der Gesellschaft, M. Armand Reclus, am 30. Januar 1881 in Panama eingetroffen ist, die vorbereitenden Arbeiten beginnen lassen. Von der früher beabsichtigten Anlage eines Kanaltunnels ist Abstand genommen worden. Man will die 87 m über dem mittleren Meeresspiegel hohe Wasserscheide mit einem mächtigen Felseinschnitt durchbrechen. Bei der Sohlenbreite von 24 m und ¼-facher Böschung würde der 25 km lange und an der tiefsten Stelle 87 + 9 = 96 m tiefe Einschnitt allein etwa 28 000 000 m³ Ausschachtung notwendig machen. Im Alluvium soll die Sohlenbreite des Kanals 22 m, die Wasserspiegelbreite bei 9 m Tiefe und 1½-facher Böschung also rund 50 m betragen. Die ganze zu bewegende Bodenmasse wird auf 75 000 000 m³ geschätzt, wovon etwa 25 000 000 m³ harter Fels. Die Unternehmer rechnen darauf, unter Benutzung der vorhandenen Wasserkräfte mit 10 000 Arbeitern täglich 50 000 m³ lösen zu können. Die Nähe der Eisenbahn Panama - Aspinwall (Colón), deren Lauf der Kanal im Allgemeinen folgt, wird die Arbeit einigermaßen erleichtern. Doch bietet außer dem erwähnten Rieseneinschnitt noch die Kanalführung im Tal des Chagres, eines Wildbaches, dessen Fluten zuweilen in wenigen Stunden bis zu 14 m anschwellen sollen, ganz beträchtliche Schwierigkeiten. Während der Suezkanal etwa 2¾ Mill. Franc pro Kilometer gekostet hat, ist für den Panama-Kanal das Vierfache vorgesehen: 11 Mill. Franc pro Kilometer.
• H. Keller.