Bau & Architektur – Öffentliche Bauten
Ein neuer Aussichtsturm im Harz
Prometheus • 11.11.1896
Die berechtigte Freude der Menschen an weitem Umblick auf bewaldeter Bergeshöhe hat die Aussichtstürme entstehen lassen, die als ›Luginsland‹ über die Wipfel der Waldriesen emporragen. Früher zuweilen aus Stein, dann meist aus Holz gebaut, werden sie in unserem Zeitalter des Stahls und Eisens in gebührender Weise auch hieraus hergestellt, in luftigem Gitterwerk, wie es der luftigen Höhe angemessen ist. Der Aussichtsturm auf der Josephshöhe bei Stolberg im Südharz. Die ältesten ihrer Art nehmen sich allerdings inmitten der schönen Natur wunderlich genug aus, sie waren wohl ein Niet-, aber nichts weniger als ein Kunstwerk. Wir haben es jedoch im Laufe der Zeit gelernt, auch solchem aufragenden Stabgewirr gefällige Formen zu geben und so den das Auge beleidigenden Gegensatz zwischen diesen ›Werken aus Menschenhand‹ und ihrer schönen Umgebung, wie die Natur sie geschaffen, zu mildern, auch wohl gar zu versöhnen. Wie erfreulich man in dieser Richtung fortgeschritten ist, das zeigt der in unserer Abbildung dargestellte Aussichtsturm, der auf der Josephshöhe, der 575 m hohen Kuppe des Auerberg bei Stolberg im Unterharz, errichtet und im August 1896 dem Verkehr übergeben worden ist. Auf der von Heimischen und Fremden viel besuchten Josephshöhe werden von den Stolbergern nach altem Brauch die pfingstlichen Maifeste gefeiert. Mit Rücksicht darauf ist der Fuß des Turmes von einer geräumigen Schutzhalle umgeben, aus welcher der in dem Porphyrfelsen fest gegründete Turm bis zu 40 m Höhe emporragt, so dass selbst den kräftigsten Riesen des Waldes es nicht gelingen wird, den Blick in die Ferne von seiner Höhe zu verdecken.
Der Turm ist nach den Plänen des Baurats Beisswänger von der Braunschweiger Dampfkessel- und Gasometerfabrik vorm. Wilke & Co. erbaut worden. Die mit farbigen Wappenschildern der Fürsten zu Stolberg-Stolberg und des Harzklubs, den gemeinsamen Bauherren des Turmes, geschmückte Schutzhalle ist auf einem im hohen Unterbau von quadratischem Grundriss errichtet und bietet Raum für 500 Personen. Bequeme Treppen führen im Inneren des Turmes hinauf; nach 97 Stufen betritt man die erste Plattform, auf der sich gegen 100 Personen gleichzeitig aufhalten können; weitere 110 Stufen führen zu der mit einem Sonnendach überdeckten Krönung des Turmes, die etwa 30 Besuchern Platz gewährt. Das Eisenwerk des Turmes erreicht das stattliche Gewicht von 120 000 kg. Die Baukosten haben 53 000 Mark [rd. 430 000 € in 2023] betragen.
Möge dieses schöne Beispiel recht viele Nachahmung finden! Wir haben in Deutschland Bergkuppen genug, die eines solchen Schmuckes ebenso würdig, wie bedürftig sind.