Verkehr – Eisenbahn
Der neue Bahnhof der Leipzig-Dresdener Eisenbahn in Leipzig
Illustrirte Zeitung • 1.4.1865
Als im Jahr 1839 der Betrieb auf der ganzen Strecke der Leipzig-Dresdener Eisenbahn eröffnet wurde, staunte mancher und für die damaligen Verhältnisse nicht mit Unrecht, die auf dem Bahnhof in Leipzig errichtete Personenhalle als Merkwürdigkeit an. Das Bauwerk war nach einem englischen Entwurf von dem hiesigen Zimmermeister Richter mit der für Leipzig neuen Konstruktion des Bohlendaches ausgeführt worden, hatte aber durchaus noch nicht die Gestalt, in welcher es sich bis zum Juni 1864 präsentierte und deren Charakter noch heute die stehenden Ruinen in deutlichen Umrissen zeigen. Einige Jahre nach Eröffnung wurden die vier Ecktürme angebaut und noch später zwischen denselben die Räume für die Restaurations- und Empfangslokalitäten. Mit kluger Vorsicht hatte man die oben gedachte sehr leichte Konstruktion gewählt, da man das Gebäude von vornherein nur als ein interimistisches betrachtete, welches, nachdem man über die Entwickelung und die Bedürfnisse des Betriebes genügende Erfahrungen gesammelt haben würde, einem massiven größeren Gebäude Platz machen müsse. Ein solches Gebäude wird nun bis Ende September 1865 fertig aufgeführt sein und das obige Bild zeigt dem Leser dasselbe in seiner Vollendung; es ist nach dem Entwurf des Oberingenieurs Pöge in Dresden durch den hiesigen Architekten E. Hetzel ausgeführt und soll nicht nur den jetzigen, sondern auch den Ansprüchen des immer wachsenden Verkehrs für lange Zeit genügen. Um unseren Lesern einen Begriff von der Bedeutung und dem Umfange des Bauwerkes zu geben, mögen folgende Erläuterungen dienen.

Das ganze Bauwerk besteht aus sieben einzelnen Teilen, die, wenn auch miteinander durch die Halle und den offenen Perron verbunden, doch jeder für sich ein abgeschlossenes Ganzes bilden. Die Front nach der Promenade zeigt das Administrationsgebäude, welches durch eine Mauer mit vier Bogenöffnungen und einer darauf befindlichen zur Deckung des Hallendaches angebrachten Loggia mit dem links davon stehenden Turm, der für sich den Eingang und den Abschluss des Perrons für Extrazüge bildet, verbunden ist. Durch Aufführung dieses Turms wurde es möglich, eine gewisse Symmetrie mit der Fassade des benachbarten Magdeburger Bahnhofes herzustellen. Der Turm, welcher nur 3½ m im Quadrat groß ist, enthält eine Billettverkaufsexpedition, die Uhr und eine nach derselben führende Treppe; die Öffnungen in der Verbindungsmauer dienen zum Durchlaufen der Fahrzeuge nach der Drehscheibe. Die Längenangaben und andere Maße des Originaltextes wurden in das metrische System umgerechnet. Das Administrationsgebäude ist in seiner Front nach dem Bahnhof zu 30 m, nach der Promenade 22 m lang und enthält im Parterre die Räume für Kasse, Buchhaltung, Telegraf, Ingenieurbüro und Archiv; in der ersten Etage die Räume für die Sitzungen des Direktoriums und des Ausschusses, sowie das Hauptbüro; in der zweiten Etage Beamtenwohnungen. Auf drei Seiten des Gebäudes erhebt sich im Mittel eine Attika, welche auf der Promenadenfront mit einer von dem hiesigen Bildhauer Albrecht entworfenen und von dem Steinmetzmeister Schirmer in Sandstein ausgeführten plastischen Gruppe (Saxonia, Industrie und Handel schirmend) gekrönt werden soll. An dieses, auch durch die Architektur als Hauptgebäude ausgezeichnete Bauwerk schließt sich das Restaurationsgebäude an; dasselbe, 65 m lang, besteht aus zwei Flügeln von je 30 m Länge und 12 m Tiefe und einem Mittelbau von 11 m Länge und 15½ m Tiefe. Schon die Bezeichnung des Gebäudes deutet seinen Zweck an, nur ist besonders zu bemerken, dass es außer den Wartesälen und Fremdenzimmern in seinem Mittelbau einen Empfangssalon für den König und für die königliche Familie enthält.
Mit dem Restaurationsgebäude durch einen aus Eisen und Glas erbauten und außerhalb desselben in Form einer Veranda angebrachten Korridor verbunden folgt: die Abgangshalle von 25 m Länge und 22 m Tiefe, die Räume für Billettverkauf, Gepäckannahme, Inspektion, Polizei etc. und in der Etage getrennt von dem durch die Etagenhöhe gehenden Vestibül, Beamtenwohnungen enthaltend. Zwischen diesen genannten drei Bauwerken und dem oben gedachten Perron für Extrazüge liegt die von Eisen konstruierte, in ihrer Tiefe auf 17 m Breite sich freitragende Halle, welche sonach eine Länge von 120 m besitzt, und die allein für das Ablassen der Züge, sowie für die Unterbringung von Personenwagen bestimmt ist. Zunächst der Abgangshalle folgen der Reihe nach der aus zwei Flügeln von je 16½ m Länge und 7 m Tiefe, sowie aus einem Mittelbau von 19 m Länge und 16½ m Tiefe bestehende, sonach im ganzen 52 m lange Eilgutspeicher, dann die 22 m im Quadrat große Ankunftshalle, und endlich das 44½ m lange, 7 m tiefe Betriebsgebäude mit dem den Abschluss des Ganzen bildenden Schlussbau von 9 m Länge und Tiefe. Da der Name diese Gebäude ihrem Zwecke entsprechend kennzeichnet, so bedarf es hierzu keines weiteren Kommentars. Vor den letztgenannten Bauwerken befindet sich ein 6 m breiter bedeckter, nach der Bahnseite offener Perron, der sich an die oben genannte Halle anschließt und an seinem äußersten Ende noch eine unbedeckte Verlängerung von 55 m Länge und 4½ m Breite hat, sonach eine Gesamtlänge von 182 m besitzt, welche für die Ankunft der Züge bestimmt ist. Das Dach desselben ruht auf einer Reihe eiserner Säulen, von denen es rechts und links in die Höhe steigt, also einen umgekehrten Sattel bildet, so dass das Wasser in den hohlen Säulen abfließt, und ist auf der geschlossenen Seite mit der Mauer verankert. Die Gesamtlänge der in ihrer Reihenfolge genannten Gebäude beträgt also 247 m und des Perrons incl. der Halle 302 m; leider konnte die Flucht wegen der Verengerung des Bahnhofs durch den angrenzenden Stadtteil, welcher die Georgen-, Mittel- und Eisenbahnstraße, sowie den Schießstand des Schützenhauses enthält, und da die Gebäude in der Richtung von Südwest nach Nordost liegen, während die Bahnrichtung von West nach Ost geht, nicht in eine gerade Linie gelegt werden, sondern sie bricht sich am Eilgutspeicher auf eine Länge von 55 m in einer Kurve von 275 m Radius. Zur Ausführung dieser Bauwerke gehörte ein Zeitraum von nahezu 2½ Jahren, der gewiss ein sehr kurzer genannt werden kann, wenn man bedenkt, dass der Betrieb nicht gestört werden durfte, außerdem aber die Gleislage verändert, neue Schleusen und Straßen gebaut, und ein ziemlich bedeutender Komplex alter Gebäude bis unter die Fundamente abgebrochen werden musste, und trotz der kolossalen Mengen durch den Abbruch gewonnener Mauersteine, immer noch über zwei Millionen neuer Steine gebraucht wurden.