Verkehr – Eisenbahn
Motorwagen auf Vollbahnen
Der Motorwagen • Januar 1898
Auf einigen Linien der Württembergischen Staatsbahn stellte sich mehrfach das Bedürfnis heraus, eine verhältnismäßig häufige Verkehrsgelegenheit für einen nicht sehr dichten Verkehr zu schaffen.
Um diesem Bedürfnis zu genügen, hat die Aktiengesellschaft Elektrizitätswerke (vorm. O. L. Kummer & Co.) in Dresden-Niedersedlitz in Gemeinschaft mit der Akkumulatorenfabrik AG in Hagen i. W. einen Vollbahn-Akkumulatorwagen hergestellt, der dort in Verwendung steht, wo Bahnhöfe berührt werden, auf welchen die elektrische Ladung jeweilen bewerkstelligt werden kann.

Der Wagen ist ein gewöhnlicher Personenwagen III. Klasse mit 48 Sitzplätzen, Mittelgang, und zwei Plattformen. Derselbe wurde mit Drehgestellen von 1,7 m Radstand versehen, von denen eines mit mechanischer Doppelbremse, das andere mit zwei Elektromotoren zu je 35 PS ausgerüstet ist; das letztere Drehgestell wird nur elektrisch gebremst.
Die Akkumulatoren-Batterie ist in einem unterhalb des Wagens zwischen den Drehgestellen federnd aufgehängten Kasten untergebracht. Sie besteht aus 188 Zellen, Typ III, G. O. 83, deren Gesamtgewicht 5,8 t beträgt.
Die Ladung der Batterie erfolgt in zwei Reihen mit einer Spannung von 240 V, während die Entladespannung der in einer Reihe geschalteten Batterie 340 V, die Kapazität 16 kWh beträgt. Die Ladung wird auf einem besonderen Gleis vorgenommen, neben welchem sich der Ladeständer befindet; derselbe besteht in einer ca. 1,7 m hohen gusseisernen Säule, in welche die Ladekabel einmünden. Er enthält außer den notwendigen Sicherungen einen doppelpoligen Ausschalter und zwei Lademelder. Die letzteren zeigen dem Wärter die beendete Ladung für jede Batteriehälfte durch Ertönen einer Klingel und das Fallen einer Scheibe an.
Der Vorgang der Ladung spielt sich in folgender Weise ab: Nach Ankunft des Wagens stellt der Wärter einen am Wagen befindlichen doppelpoligen Umschalter auf ›Ladung‹, wodurch die Trennung der bisher hintereinander geschalteten Batterie in zwei Hälften erfolgt. Dadurch wird zugleich die Schaltung in der Weise geändert, dass es unmöglich ist, durch ein etwaiges Verstellen der Steuerungsvorrichtung während der Ladung eine Hintereinanderschaltung der Batteriehälften vorzunehmen. Nun werden durch eine Leitungsschnur mit Steckkontakten die Pole der Batterie mit den Klemmen am Ladeständer verbunden. Die Steckkontakte können erst nach Einstellen auf Ladung in die Anschlussdose des Wagens eingeführt und dann nicht wieder daraus entfernt werden, solange Strom durch die Ladekabel fließt. Der doppelpolige Umschalter besitzt außer der Stellung ›Ladung‹ und der Stellung ›Fahrt‹ sowie der Stellung ›Halt‹ noch eine Notstellung. Hierbei ist die Batterie in zwei Reihen geschaltet, so dass der Wagen bei etwaigem Schadhaftwerden eines Elementes oder dgl. noch mit Hilfe einer Batteriehälfte weiter fahren kann. Was die Beleuchtung anbelangt, so hat die Erfahrung gelehrt, dass gerade während der Ladung das Bedürfnis nach Licht vorhanden ist. Demgemäß wird bei der Stellung des Umschalters auf Ladung die Anzahl der brennenden Lampen im Verhältnis zu der höheren Ladespannung vermehrt, wobei eine der mehrbrennenden Lampen als transportable Handlampe ausgebildet werden kann. Selbstverständlich können die Lampen auch während der Dauer der Ladung abgeschaltet werden. Die Steuerungsvorrichtung besteht in der bei den Straßenbahnwagen üblichen Weise aus zwei auf den Plattformen angebrachten Steuerapparaten, mit der Doppelbremse für das eine Drehgestell derartig kombiniert, das von den Steuerungsgabeln aus zugleich die mechanische Bremsung erfolgt. Der Wagenführer hat demgemäß nur einen Hebel zu bedienen, mit dem er fahren, halten und bremsen kann. Ein anderer kleiner Hebel dient lediglich zur Einstellung der Hauptgeschwindigkeit bei Beginn der Fährt und zum elektrischen Bremsen oder Rückwärtsfahren.