FeuilletonReisen

Moderne Riesenhotels

Das Neue Universum • 1881

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Bei dem geringen Reisebedürfnis im frühen Altertum gab es noch keine eigentlichen Hotels; dafür kam die Gastfreundschaft dem Reisenden in weit höherem Maße entgegen als heutzutage. An den großen Handelsstraßen besonders den karawanen­mäßig bereisten, hatte man jedoch Logierhäuser, die aber außer der Gelegenheit zum Übernachten für Mensch und Tier nichts boten; Lebensmittel und Futter musste der Reisende mit sich führen. So sind heute noch die orientalischen Karawansereien beschaffen. Erst in der römischen Kaiserzeit kamen allmählich Gasthäuser auf, und zwar als Deversoria für die höheren Stände, als Tabernae oder Cauponae für die niederen. Daneben bildeten sich Garküchen (Popinae). Der Name Taberna hat sich noch in Städtenamen, wie Zabern, Bergzabern, Rhein­zabern, erhalten. Die spätere Entstehung der Wirtshäuser knüpft sich an das Aufblühen des Handels im Mittelalter, auf welches auch unser heutiges (nicht sehr vorteilhaftes) Kneipenleben zurückzuführen ist. Die eigentliche Entwickelung des Hotelwesens fällt aber in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo die rasche Ausbreitung der Eisenbahnnetze über die zivilisierte Welt dem Reisen eine nie geahnte Erleichterung und Ausdehnung verschaffte. Da vervielfältigte sich auch das Bedürfnis, besonders bei länger dauernden Touren, am Ende des Tages ein Heim zu finden, das neben einigem Komfort eine gute Verpflegung bieten konnte. Das heutige Hotelwesen ist denn auch auf einem Standpunkt angelangt, dass man sogar in jeder kleinen Stadt bei nicht zu hohen Ansprüchen gut wohnen kann. Höheren Ansprüchen können natürlich nur größere und ganz große Städte gerecht werden, sowie anderseits Orte, welche aus irgendeinem Grund (Badegelegenheit, durch Naturschönheit ausgezeichnete Umgebungen) in massenhafter Weise Vergnügungsreisende heranziehen. Solche dem Luxus dienenden Etablissements meidet aber der berufsmäßige Reisende oder der auf einer Erholungsreise begriffene Tourist sorgfältig. Sie kennen ihre Häuser nach dem Renommee, und wenn sie einmal in den Fall kommen, ein unbekanntes Haus beziehen zu müssen, so stellen sie vorher klüglich Erkundigungen an. Anderseits bleibt besonders der Geschäftsreisende immer gern auf einer gewissen Höhe, weil eben für ihn ein gewisses Maß von Komfort und eine entsprechend gute Verpflegung Bedürfnis ist.

Wie nun das Eisenbahnnetz in den Vereinigten Staaten von Amerika rascher und großartiger aufgebaut wurde als in irgendeinem anderen Land, so entwickelte sich dort auch das Hotelwesen zuerst auf großem Fuß. Dort baute man zuerst jene Riesenhotels von über fünfhundert Zimmern, die man seit einigen Jahren in Europa, wenn auch meist in etwas kleinerem Maßstab, nachgeahmt hat. Lange Zeit galt das Palace-Hotel in San Francisco als das größte der Welt, und es steht jetzt noch, wenn auch übertroffen, immer noch mit in erster Linie. Es ist 114 m lang, 89 m breit und 38 m hoch, hat sieben Stockwerke, zwei unter und fünf über der Erde und zählt außer den Empfangs-, Billard-, Speise- und sonstigen Sälen 750 Zimmer und 377 Badezimmer. Es umfasst drei mit Glas gedeckte Höfe, in denen sich Gärten mit Springbrunnen, Statuen etc. befinden. Jedes Zimmer ist mit einem Löschapparat versehen und enthält außerdem eine Vorrichtung, wodurch jede außergewöhnliche Erhitzung einer Wand sich mittelst Klingel beim Wachhabenden kundgibt. Das Parterre wird, wie das ja jetzt bei fast allen großen Hotels der Fall ist, von Verkaufsmagazinen aller Art eingenommen, so dass der Reisende, ohne unter dem Dach fortzugehen, seine sämtlichen Einkäufe besorgen kann. Jede große Stadt in den Vereinigten Staaten hat jetzt ihre Riesenhotels. New York z. B. besitzt fünfzehn derartige Etablissements mit zusammen 4662 Zimmern, so dass also auf jedes durchschnittlich 311 Zimmer kommen. Die Bedienung bestand im Jahr 1879 aus 2785 Personen, darunter 1479 männlichen und 1306 weiblichen Geschlechts. Die Tagesausgabe eines Gastes betrug durchschnittlich 39 Mark [rd. 340 € in 2023]. Billig sind also diese, allerdings auch im höchsten Grad eleganten und den weitgehendsten Ansprüchen gerecht werdenden Häuser nicht! Dabei darf man aber nicht vergessen, dass man es hier mit amerikanischen Verhältnissen zu tun hat. Unter den New Yorker Hotels befindet sich auch das von dem reichsten Kaufmann in Amerika, dem berühmten Alexander Turney Stewart († 10.4.1876) gebaute Hotel, speziell für Frauen, das als solches aber bald wieder einging, da es seinem ursprünglichen Zweck nicht entsprach. Es zählt über 500 Zimmer. Eine hervorragende Stelle unter den New Yorker Hotels nimmt auch das Windsor-Hotel ein. Zu den ersten amerikanischen Etablissements zählt das Grand Pacific-Hotel in Chicago. Das größte aller Gasthäuser soll aber das Riesenhotel zu Atlantic City sein, einem Seebad im Staat New York mit einer Frequenz von 40 000 Badegästen. Es soll nämlich 1000 Zimmer aufweisen.

Die größten Hotels auf dem europäischen Kontinent besitzen Paris und Berlin. Paris weist drei Riesenhotels mit je 700 Zimmern auf: das Grand Hotel du Louvre, das Grand Hotel und das Hotel Continental. Letzteres soll das prachtvollste und komfortabelste überhaupt bestehende Gasthaus sein. Berlin hat in neuester Zeit in dem Kaiserhof und dem  Zentralhotel zwei Etablissements erstehen sehen, die sich ebenfalls dem ersten Rang bei­zählen dürfen. Das Zentralhotel verdient einer etwas eingehen­deren Erwähnung. In der Länge 109 m, in der Breite 82 m und in der Höhe 30 m messend, enthalten seine oberen drei Geschosse 400 elegante Logierzimmer. Unterhalb dieser befinden sich die verschiedenen Salons sowie Familienwohnungen von sechs bis acht Räumen und endlich auch Logierzimmer für bescheidenere Ansprüche. Das Erdgeschoss enthält 30 elegante Läden. Einer der an den 30 m langen und 19 m breiten Hof sich anschließenden Säle hat eine Länge von 60 m und eine Breite von 11 m. Das Ganze erreicht seinen Abschluss in einem 75 m langen und 23 m breiten von einer Glaskuppel überdeckten Wintergarten.

Dass England ebenfalls Riesenhotels aufzuweisen habe, ist fast selbstverständlich. Besondere Erwähnung verdienen das London and North Western-Hotel in Liverpool sowie in London das Midland Grand Hotel, das Holborn Viaduct Hotel und das neue Grand Hotel, bei dessen Bau und Einrichtung man von dem Prinzip ausging, alles in dieser Art Vorhandene zu überbieten.

• Auf epilog.de am 31. März 2025 veröffentlicht

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