Handel & Industrie – Fabrikation
Die Deutsch-Amerikanische
Maschinenfabrik von Ernst Kirchner & Co.
in Sellerhausen-Leipzig
Spezialfabrik für Sägemaschinen und Holzbearbeitungsmaschinen jeder Art
Uhlands Industrielle Rundschau • 29.12.1887
Die Erfindung der zur Bearbeitung des Holzes dienenden Maschinen datiert, abgesehen von der Holzdrehbank und den verschiedene: Systemen der Gattersäge, aus den letzten drei Jahrzehnten. In allgemeinen Gebrauch kamen dieselben zuerst in Amerika, wo infolge es ungeheuren Holzreichtums die Holzindustrie sich rasch entwickelt hatte und wo bei dem Mangel an menschlichen Arbeitskräften die Anwendung mechanischer Hilfsmittel als dringendes Bedürfnis erscheinen musste. Demgemäß waren auch die ersten in Deutschland bekanntgewordenen Holzbearbeitungsmaschinen amerikanisches Fabrikat. Später traten englische und französische Konstruktionen auf dem betreffenden Gebiet konkurrierend auf; gegenwärtig sind jedoch die Leistungen der einheimischen Industrie, wenn dieselbe auch noch teilweise nach amerikanischen Mustern arbeitet, in so hohem Grad vervollkommnet, dass der Bedarf Deutschlands an derartigen Maschinen durch seine eigene Produktion gedeckt wird und deutsche Fabriken dieser Branche auf dem Weltmarkt tonangebend geworden sind.
Zu den hervorragendsten Etablissements, die sich als Spezialität den Bau von Holzbearbeitungsmaschinen zur Aufgabe gemacht haben, gehört die im Jahr 1878 in dem Leipziger Vorort Sellerhausen errichtete Deutsch-Amerikanische Maschinenfabrik von Ernst Kirchner & Co. Mit Rücksicht auf die ungünstigen Verhältnisse, unter denen das genannte Unternehmen ins Leben gerufen wurde, die Verteuerung des Rohmaterials, welcher durch de Einfuhr überseeischer Hölzer, bei den hohen Transportkosten derselben, nicht wirksam genug begegnet werden konnte, die Steigerung der Arbeitslöhne und die erhöhten Ansprüche der Konsumenten bezüglich der Qualität der Arbeit handelte es sich darum, Maschinen zu konstruieren, bei deren Anwendung einerseits die Erzeugung von Abfällen, somit der Verlust an Material, auf das geringste Maß beschränkt war und die anderseits bei größter quantitativer Leistungsfähigkeit sich auch zur Ausführung solcher Arbeiten eigneten, von denen man bis dahin angenommen hatte, dass sie nur von Hand hergestellt werden könnten. Mit nur wenigen Arbeitern und noch weniger Hilfsmaschinen wurde von Kirchner vor nunmehr kaum neun Jahren der Bau von Holzbearbeitungsmaschinen begonnen und damit diese jetzt so blühende Fabrikation in Leipzig begründet; heute beschäftigt die Firma trotz der weitgehenden Verwendung von Spezialwerkzeugmaschinen über 200 Arbeiter. Dieselbe baut vorwiegend nach eigenen Patenten Hobel-‚ Abricht-, Füge-, Kehl-, Nut- und Spundmaschinen, Fräs-, Zapfenschneide-, Bohr- und Stemmmaschinen, Gattersägen, Kreis- und Bandsägen aller Art, Fourniersägen und Schälmaschinen Drehbänke, Maschinen zur Fabrikation der Holzwolle, dieses in neuerer Zeit so beliebten Verpackungs- und Polstermaterials, ferner Maschinen und Apparate zur Instandhaltung der Werkzeuge, z. B. Messerschleif- und Sägenschärfmaschinen, Sckränkapparate und Stanzmaschinen für Sägezähne. Auch sind kürzlich von der Firma Bretterschneideeinrichtungen nach neuem System in Ausführung genommen, welche den durch die Bildung von Sägespänen entstehenden Holzverlust zu vermeiden bestimmt sind. Diese Einrichtungen umfassen eine ganze Serie von Maschinen, deren Neuerungen bereits zur Patentierung einreicht sind. Im Ganzen sind bis jetzt aus der Fabrik etwa 9000 Maschinen hervorgegangen, die in allen Kulturländern verbreitet sind. Zu ihren Abnehmern zählt die Firma die renommiertesten Vertreter der Holzindustrie sowie Eisenbahnwerkstätten, Schiffswerften, Arsenale etc. Ihre Fabrikate, die sich ebenso sehr durch sinnreiche Konstruktion und solide Ausführung als durch gefällige Form und saubere Arbeit empfehlen und deshalb auf allen von ihr beschickten Ausstellungen durch die höchsten Auszeichnungen anerkannt worden sind, haben insbesondere zur Förderung der Bau- und Möbeltischlerei wesentlich beigetragen.

In der Abbildung ist die äußere Ansicht des Kirchnerschen Etablissements in seiner jetzigen Ausdehnung wiedergegeben. Benutzt man von Leipzig aus die Pferdebahnlinie Leipzig –
Bevor irgendeine Maschine die Fabrik verlässt, gelangt sie in den Probierraum, der einen Teil des großen, neuerbauten Arbeitssaales bildet. Diese Abteilung macht den Eindruck einer Tischlerei oder Zimmererwerkstatt, in welcher zur Ausführung der mannigfachen Arbeiten Maschinen zur Anwendung kommen. Besonders interessant ist die bei aller Vielseitigkeit Universalmaschine zum Abrichten, Hobeln, Fügen, Nuten, Federn, Kehlen, zur Herstellung von Kegeln und Radnaben sowie von runden und kantigen Säulen, Quadern und anderen Dekorationsarbeiten. Weiterhin liegen die Schlosserei und die Montierungshalle, in welch letzterer sich dem Besucher Gelegenheit bietet, die Sorgfalt zu beobachten, die hier auf die kleinsten Konstruktionsdetails verwendet wird. Auf der einen Seite der mit Oberlicht versehenen Halle befinden sich die Magazinräume, aus denen die Rohmaterialien den Werkstätten zugeführt werden; auf der anderen Seite schließt sich der große Maschinensaal an, in welchem über 150 verschiedene Werkzeugmaschinen, gruppenweise verteilt, durch eine Dampfmaschine von 50 PS betrieben werden, der ein Kessel von 63 m² Heizfläche den erforderlichen Dampf liefert. Die Werkzeugmaschinen, fast sämtlich neuesten Systems, arbeiten mit einer Präzision und Akkuratesse, welche schon an sich die Vortrefflichkeit der Kirchnerschen Holzbearbeitungsmaschinen zu gewährleisten vermag. Durch die ganze Länge des Saales erstreckt sich das Gleis eines Laufkrans, der die schweren Arbeitsstücke an jeden beliebigen Punkt befördert. Auf den Galerien ist die wie jede der Abteilungen unter der Aufsicht eines eigenen Meisters stehende Modelltischlerei eingerichtet, in welcher die Ideen zu immer neuen Verbesserungen in das erste Stadium der Verwirklichung treten. In den Bodenräumen werden, nach den einzelnen Maschinen geordnet, tausende von Modellen aufbewahrt, die einen bedeutenden Wert repräsentieren, um von hier aus nach Bedarf den verschiedenen Gießereien zugesendet zu werden. Auf dem Hof der Fabrik, zu welchem man nach Besichtigung der Schmiede gelangt, lagern beträchtliche Vorräte an Hölzern, welche teils zum Probieren der Maschinen, teils zum Verpacken derselben verwendet werden. Zum Transport schwerer Stücke sind hier wie in den Werkstätten Schienen gelegt, die von entsprechend der Beschaffenheit des Materials eingerichteten eisernen Wagen befahren werden und durch ein Zweiggleis mit dem Hauptgüterbahnhof und den Staatsbahnen verbunden sind. Für die nächste Zeit sind weitere Bauten in Aussicht genommen, die dem Wohl der Arbeiter zugutekommen sollen. Wem es gestattet ist, einen Gang durch dieses innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraumes zu imponierender Größe herangewachsene Etablissement zu tun, der wird die Überzeugung gewinnen, dass ideale und materielle Erfolge, wie sie hier in greifbarer Gestalt zur Erscheinung gelangen, nur durch das ernste, unbeirrte Streben nach Vervollkommnung auf einem durch Neigung und Fähigkeiten bestimmten Gebiet zu erreichen sind und dass die an der Spitze des illustrierten Hauptkataloges der Firma (in der ersten Auflage desselben) stehende Devise »Wer rastet, rostet« im vorliegenden Fall nicht nur auf dem Papier prangt, sondern in der Tat Wahlspruch des Leiters der Fabrik geblieben ist.
• M. L.