VerkehrSchifffahrt

Kopfschleusen in Frankreich

Zentralblatt der Bauverwaltung • 11.7.1885

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.

Zu der  Beschreibung der in Bromberg ausgeführten Kopf- oder Sackschleuse wird die Mitteilung von Interesse sein, dass man in Frankreich für dieselbe Aufgabe, zwei spitzwinklig zusammentreffende Schifffahrtsrichtungen mit verschiedener Höhe des Wasserspiegels durch eine Schleuse zu verbinden, gleiche oder ganz ähnliche Lösungen gefunden hat.

Das erste und zutreffendste Beispiel findet sich an der Verbindungsstelle der im Süden Frankreichs gelegenen Kanäle von Beaucaire und von Bourgidou. Die tiefste Haltung der erstgenannten Wasserstraße lag früher offen gegen das Mittelmeer und mit diesem dem gleichen Wechsel unterworfen, so dass auch alle hohen Fluten weit in das Land hineintreten konnten. Schleuse bei Aigues-MorteAbb. 1. Lageplan der Schleuse bei Aigues-Mortes. Um diesem Übelstand abzuhelfen, wurde, wie der Lageplan (Abb. 1) zeigt, in den Kanal von Beaucaire ein Dammbalkenwehr eingebaut und die Schifffahrt während höherer Außenwasserstände in einem Seitenarm um dasselbe herumgeleitet. In diesen Umgehungskanal wurde dann eine zeitweise in Gebrauch tretende Schleuse eingebaut, welche das Wasser nach außen kehrt. Da man mit dieser Anlage in die unmittelbare Nähe des ebenfalls den Meeresschwankungen unterworfenen Kanals von Bourgidou kam und auch diesen gegen die höchsten Fluten gern durch ein ähnliches Wehr geschützt sah, so lag der Gedanke nahe, hier eine Verbindung herzustellen, statt wie bisher die von letztgenanntem Kanal nach dem von Beaucaire bestimmten Schiffe den Umweg an der Stadt Aigues-Mortes vorbei machen zu lassen. Man vereinigte die erforderlichen Schleusen zu einem gemeinsamen Bauwerke, welches dem Verkehr nach drei Richtungen genügen sollte:

1. von Aigues-Mortes und dem Kanal de la Radelle nach Beaucaire,

2. von dem Kanal de la Radelle nach dem von Bourgidou und

3. zwischen den Kanälen von Beaucaire und Bourgidou.

Diese Anforderungen führten zu der Anordnung einer Sackschleuse, und zwar in der erweiterten Form, wie sie auch in Bromberg in Erwägung gezogen und neuerdings noch von den Regierungs-Baumeistern Havestadt und Contag für den Berliner Südwest-Kanal geplant wurde. Schleuse bei Aigues-MortesAbb. 2. Schleuse bei Aigues-Mortes. Die von dem Kanal von Beaucaire in den von Bourgidou oder umgekehrt übergehenden Schiffe machen genau den Weg und die kleine Drehung in der Schleuse, wie bei der Bromberger Anlage. In der Abb. 2 ist der Grundriss des Bauwerkes, welches wegen der verschiedenen Wasserstände der einzelnen Anschlusslinien in den drei Häuptern fünf Torpaare besitzt, in größerem Maßstab dargestellt. Das Alter des Kanals von Bourgidou wird auf Ludwig den Heiligen (1250) zurückgeführt, während der Kanal von Beaucaire nach jahrhundertelangen Vorarbeiten und gelegentlichen Bauanfängen 1806 dem Verkehr übergeben werden konnte. Die dreihäuptige Schleuse wurde 1834 beendet, besteht also bereits länger als 50 Jahre.

Eine etwas andere Anordnung einer Sackschleuse, diesmal in der einfachsten Weise wie in Bromberg nur mit zwei Häuptern versehen, findet sich an dem Vereinigungspunkt des Seitenkanals der Loire mit dem Allier (Abb. 3). Die vom Kanal kommenden Schiffe sollen den Fluss sowohl stromauf, wie stromab befahren. Schleuse in ApremomtAbb. 3. Runde Schleuse in Apremomt. Seitenkanal der Loire. Die Kammer hat in diesem Falle die Form eines vollen Kreises erhalten, was den Vorteil hat, dass bei einigen Verkehrsrichtungen die erforderlich werdende Drehung des Schiffes in der Schleuse selbst während des Füllens oder Leerens derselben vorgenommen zu werden vermag. Man kann auch ganz vermeiden, dass die Fahrzeuge mit dem Steuer voran in die Schleuse hinein- oder aus derselben herausgezogen werden müssen. Ein besonderer Wendeplatz im Kanal ist nicht mehr erforderlich. Dass im Übrigen die Kreisform mancherlei Nachteile hat, liegt auf der Hand; insbesondere wird die Anlage etwas teurer, die Schleusung etwas verlangsamt werden, und der Wasserverbrauch ist ein erheblicher. Wo der letztere jedoch keine Rolle spielt, konnte die Ausführung gegebenen Falls in vergleichende Erwägung gezogen werden. Der Bau des Seitenkanals der Loire wurde 1837 – 38 beendet und vermutlich zu gleicher Zeit die besprochene Kopfschleuse.

Eine dritte Form der Sackschleuse ergibt sich, wenn zu den zwei Häuptern der eben beschriebenen Anlage ein drittes hinzutritt. Die Abweichung von der zuerst erwähnten Grundrisslösung beruht nur darin, dass die drei Fahrtrichtungen in ganz beliebigen Winkeln zusammentreffen können. Schleuse bei BéziersAbb. 4. Schleuse bei Béziers. Eine derartige Anordnung finden wir auf dem Kanal du Midi; sie ist in Abb. 4 veranschaulicht. Der Arm A führt nach dem Fluss Hérault oberhalb eines in den letzteren eingebauten Wehres, B nach Béziers und C nach dem Hafen von Agde unterhalb jenes Wehres. Alle drei Kanalzweige haben verschiedene Höhenlage, und zwar hat A den höchsten, C den tiefsten und B einen zwischen jenen liegenden Wasserspiegel. Das bei B liegende Schleusenhaupt ist demnach mit doppelten Torpaaren versehen, da es einmal als Unterhaupt, dann wieder als Oberhaupt zu dienen hat. In der Richtung des niedrigst gelegenen Kanals C nach dem Hafen von Agde ist die Sohle der Schleusenkammer entsprechend vertieft.

Geht man in der Entwicklung der Kopfschleusen nun noch einen Schritt weiter, so erhält man die Kesselschleuse mit vier Häuptern für zwei sich kreuzende Verkehrsrichtungen. Eine derartige Anlage wird man am besten kreisförmig oder doch so gestalten, dass eine vollständige Drehung der Schiffe in der Kammer und dadurch der Übergang von einem Kanalarm in jeden der drei anderen ermöglicht wird. Kesselschleuse in DünkirchenAbb. 5. Achteckige Kesselschleuse in Dünkirchen. Ein Beispiel eines derartigen Bauwerkes mit achtseitigem Grundriss findet sich in Dünkirchen und ist in Abb. 5 veranschaulicht.

Es gestattet den Fahrzeugen, nach Belieben in jede der anschließenden Wasserstraßen einzubiegen. Die Zeit der Ausführung fällt bald nach 1831, in welchem Jahre die Genehmigung erteilt wurde. Eine ähnliche, mit der vorigen jedoch nicht ganz zu vergleichende Kesselschleuse von kreisrunder Form ist von dem Regierungs-Baumeister Germelmann für die Kreuzung des Ems-Jade-Kanals mit dem Stadtgraben in Emden entworfen.

Eine vollständig durchgeführte Betrachtung zeigt hiernach, dass die Sack- und die vierhäuptige Kesselschleuse verschiedene Stufen ein- und desselben Entwicklungsganges darstellen und etwa in demselben Verhältnis zueinanderstehen, wie eine einfache zu einer doppelten englischen Weiche oder wie eine nur zwei Gleisenden bedienende Drehscheibe zu einer solchen für zwei Gleiskreuzungen. Beschränkt wird die Anzahl ähnlicher Anlagen zwar immer bleiben, es erscheint aber gar nicht ausgeschlossen, dass diese französisch-deutschen Wasserweichen noch zuweilen eine zweckentsprechende Verwendung finden.

• Auf epilog.de am 23. Januar 2025 veröffentlicht

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