Handel & Industrie – Fabrikation
Kalksandsteine
Die Umschau • 4.3.1905
Bei einer Wanderung durch die Straßen unserer Städte fallen jetzt häufig Neubauten auf, die aus hellgrauen, früher kaum gesehenen Bausteinen aufgeführt werden. Es sind das Kalksandsteine, auch Hartsteine genannt. Die Nachfrage nach diesen Steinen wächst beständig, weil sie sich bewähren. Kalksteinpresse. Der Fabriken, die sie herstellen, werden immer mehr, weil bei guter Aussicht auf Absatz verhältnismäßig geringe Kosten zur Anlage einer Kalksandsteinfabrik erforderlich sind.
Das hauptsächlich notwendige Rohmaterial, der Sand, ist in vielen Gegenden mehr wie für andere Zwecke erwünscht vorhanden, der Kalk ist unschwer zu beschaffen. Für 1000 Normalsteine sind etwa 2,5 m³ = 4500 kg Sand und 175 – 200 kg gebrannter Kalk, d. h. 4 % erforderlich. Die Herstellung der Kalksandsteine beginnt damit, dass der scharfkörnige Sand und gelöschter Kalk gut miteinander gemischt werden. Das Mischen des mäßig feuchten Gemenges geschieht entweder von Hand oder in besonderen Mischmaschinen. Das vorbereitete Gut gelangt dann in die Presse, in der es in die bestimmte Form gebracht wird. Die Abbildung zeigt eine Presse von F. Kömnick in Elbing. Während aber die für die Herstellung der Backsteine bestimmten Pressen im Allgemeinen einen ununterbrochenen Strang des Materials zu ihrem Mundstück herauspressen und das Zerschneiden zur Steingröße erst hinter der Presse erfolgt, arbeiten die Kalksandsteinpressen derart, dass sie das Material in Löcher von der Steingröße hineindrücken. Das Ausheben des fertig gepressten Steines erfolgt dadurch, dass der Lochboden mit dem Steine selbsttätig angehoben wird, so dass dieser durch den bedienenden Arbeiter vom Tisch abgehoben und auf einen bereitstehenden kleinen Wagen gesetzt werden kann. Auf diesen werden die Steine in große Kessel, sogenannte Härtekessel, eingefahren. Hier folgt die eigentümlichste Periode der Herstellung der Kalksandsteine.
Das Bild zeigt unter dem mit Steinen beladenen Wagen einen eisernen mit gebranntem Kalk und Wasser gefüllten Löschkasten. Der Kesselboden ist abgenommen, es sind nur die eigentümlichen zum Verschluss dienenden Schrauben zu erkennen. Nachdem der Kessel verschlossen ist, wird hochgespannter Dampf eingeleitet und Steine und Kalk zehn Stunden lang einem Dampfdruck von ca. acht Atmosphären ausgesetzt. Hierdurch wird ein schnelles und gründliches Ablöschen des Kalkes und Erhärten der Steine durch Bildung kieselsauren Kalkes bewirkt. Versuche der Professoren Hartmann und Stavenhagen von der Kgl. Technischen Hochschule in Berlin haben ergeben, dass durch die Löschung des Kalkes in den Härtekesseln ca. 35 kg Kohle für 1000 Normalsteine gespart werden können. Die Steine haben, wie oben erwähnt, gewöhnlich eine hellgraue Farbe, werden aber durch Farbenzusätze auch gelb oder rot gefärbt. Im letzteren Fall erhalten sie die wunderschöne Farbe des natürlichen roten Sandsteins, wie er z. B. am Heidelberger Schloss und am Straßburger Münster verbaut ist. Die Kalksandsteine werden außer im Normalformat (25 × 12 × 6,5 cm) in beliebigen Formen als Profilsteine oder auch als Dachsteine hergestellt. Ihr gleichartiges Material eignet sich auch zur Herstellung von Säulen, Balustern etc. sowie auch zu späterer bildnerischer Bearbeitung.
Während in einer Ziegelei, in der Backsteine hergestellt werden, sehr bedeutende Flächen zur Vortrocknung der frisch gepressten Ziegel erforderlich sind, der Ton sorgfältig und lange vorbereitet werden muss, ferner ein großer und teurer Brennofen vorhanden sein muss, erfordern das Löschen des Kalks sowie die Herstellung der Kalksandsteine geringe Zeit und Raum. Erhärtungskessel. Sieben und Mischen von Kalk und Sand ist hier die einzige schnelle Vorbereitung für das zur Presse fertige Rohmaterial, das zehn Stunden später als fertiger Mauerstein den Härtekessel verlässt. Die großen Stapelplätze für halbfertige Ziegel sind nicht erforderlich.
Die Versuche, die bisher mit den Kalksandsteinen angestellt worden sind, haben günstige Resultate ergeben. So hat die Kgl. mechanisch-technische Versuchsanstalt in Charlottenburg eine mittlere Druckfestigkeit der Steine (bei der Zertrümmerung) von rund 220 kg/m² gefunden. Ebenso haben die in der gleichen Anstalt vorgenommenen Brandproben, bei denen die Steine 1¼ Stunde lang einem heftigen Feuer ausgesetzt wurden, und nach dem Löschen und Besprengen mit kaltem Wasser nur schwach rissig waren, deren Feuerbeständigkeit erwiesen. Zur Untersuchung ihrer Wetterbeständigkeit wurden zehn wassersatte Mauersteine 25-mal abwechselnd je vier Stunden dem Frost von durchschnittlich −10° C ausgesetzt und je drei Stunden in Wasser von Zimmerwärme wieder aufgetaut. Nach diesem Versuch zeigten sich die Proben unversehrt.
Wenn auch abzuwarten steht, ob der Kalksandstein den Backstein verdrängen wird, so ist letzterem in jenem ohne Zweifel ein heftiger Konkurrent entstanden. In Gegenden, die früher ihre Bausteine von außerhalb beziehen mussten, können jetzt diese gut und billig hergestellt werden.
• Regierungsbaumeister Vogdt.